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Memoiren im Zwielicht

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Es ist naturgemäß sehr schwer, auch wenn man über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügt und mit größter Gewissenhaftigkeit zu Werke geht, bei der Wiedergabe persönlicher Erinnerungen an längst vergangene Tage unbeeinflußt zu bleiben von der Fülle des seither Erlebten und nicht, unwillkürlich, viel spätere Empfindungen und Gedanken, Hoffnungen oder Befürchtungen in jene ferne- Zeit zurück-zuverlegen. An einer Stelle seines Buches zeigt sich Anthony Eden dieser Schwierigkeit bewußt. Ein' kurzer Rückblick auf den Ausbruch des ersten Weltkrieges gibt ihm Anlaß zu der Bemerkung:

„Jedermann trägt bis zu einem gewissen Grad den Stempel seiner Generation. Die meinige ist gezeichnet von dem Mord in Sarajewo und allem, was sich, aus ihm ergab. Ich war damals in Eton und befand mich beim Rudertraining? als die Nachricht eintraf. Bilde ich es mir heute ein oder hatte ich wirklich einen Augenblick lang das Gefühl, als bliebe unsere junge Welt in Angst und Schrecken stehen-, ehe. sie ihren Lauf wieder aufnahm? Als ich zum Bootshaus zurückkehrte, sah ich meinen Lehrer tief niedergeschlagen. Ich war wenige Tage vorher siebzehn geworden ...“

Ob er ein solches Gefühl damals wirklich hatte oder nicht, jedenfalls ist die Lehre, die er aus Englands Haltung angesichts der sich entwickelnden Tragödie in späteren Jahren zog, dem Minister und auch noch dem Regierungschef Eden stets vor Augen geblieben. Es selbst schreibt über die Rat- und Tat-losigkeit des Kabinetts Asquith:

„Zwischen der Ermordung des Erzherzogs und dem österreichischen Ultimatum an Serbien lag ein ganzer Monat. Wir haben uns in dieser Zeit nicht gerührt. Wir hofften, der Konflikt ließe sich auf Österreich und Serbien lokalisieren; wir hatten keine Befugnis, einzugreifen... In jenen langen Wochen hätten wir die Stimmung in Kußland erforschen und Wien vor der Gefahr allzu großer Forderungen warnen sollen, und das noch vor der öffentlichen Bekanntgabe der Forderungen, von denen dann schwer zurückzutreten war. Wenn wir hier nicht schon ein Beispiel von der Vorstellung .ein kleines, weit entferntes Land' vor uns haben, dann doch gewiß ein Wunschdenken: Nur nicht hineingezogen werden, es könnte schlimme Folgen haben! Noch befremdlicher war, daß wir selbst noch nach dem österreichischen UltilnatUm alle mme aeh'to kWg$n Ermahnungen zur' Mißt-gtmg.-.Sber' Berfa- gehe- ließen, sttftt aueh den direkten Kanal z;kekHtteÄy.ilnmjemr--fatale:' Schritt hinter dem Gang der Ereignisse her...“

Einen solchen Fehler sollte man einem Anthony Eden nicht nachsagen können. Mit den Ereignissen Schritt halten, jeder Gefahr für den Frieden beizeiten begegnen, der Gefahr vor allem, die er mit Recht in dem unersättlichen Machthunger totalitärer Diktaturen erblickte und die durch schwächliches Nachgeben nur wachsen konnte, das war der Gedanke, dem er auf seiner gesamten politischen Laufbahn Geltung zu verschaffen bemüht war; gerade in kritischen Phasen allerdings auf eine Weise, die seiner Prinzipientreue ein besseres Zeugnis ausgestellt hat als seiner Gabe, politische Gegebenheiten richtig einzuschätzen und die Folgen seiner Aktionen zu überblicken.

Die vorliegenden Memoiren, im englischen Original „Füll Circle“ betitelt, umfassen, nach einem kurzen einleitenden Kapitel, den Zeitraum zwischen 4em Wahlsieg von 1951, der die Konservativen neuerlich zur Macht und Anthony Eden ins Foreign Office zurückbrachte, und dem Ausscheiden Edens aus der Regierung, an deren Spitze er seit dem Rücktritt Churchills im April 195 5 gestanden war, Anfang Jänner 1957; nur wenig mehr als fünf Jahre also, aber reich an schwierigen und weltpolitisch bedeutsamen Problemen. Das Ringen um einen Waffenstillstand in Korea, die langwierigen und schließlich fruchtlosen Verhandlungen über eine europäische Verteidigungsgemeinschaft gegenüber dem wachsenden sowjetischen Druck, die Berliner Konferenz, Frankreichs unglücklicher Krieg in Indo-china, der anglo-persische Ölkonflikt, die Gipfelkonferenz in Genf, die revolutionären Vorgänge in Ägypten, diese und andere Seiten des Sorgenkatalogs seines damaligen Amtes werden vom Verfasser mehr oder weniger objektiv beleuchtet und mit oft nicht sehr originellen Kommentaren versehen, ehe er den Versuch unternimmt, und darin liegt wohl der eigentliche Zweck dieses Buches, den letzten Akt seines politischen Lebens, das Suez-Abenteuer, verständlich zu machen und als gerechtfertigt, klug und erfolgreich hinzustellen. Er hätte besser getan, das Urteil über dieses Unternehmen unbefangenen und lediglich an der Feststellung der Wahrheit interessierten Historikern zu überlassen.

Mit dem Beitritt der Türkei zur NATO im Herbst 1952 konnte die Räumung der Kanalzcme vom Standpunkt der westlichen Verteidigungsstrategie um so eher ins Auge gefaßt werden, als der 'militärische Wert der dortigen britischen Position durch die zunehmende Englandfeindlichkeit der ägyptischen Bevölkerung ohnedies problematisch geworden war. Es ist daher Eden kein Vorwurf daraus zu machen, daß er zur Räumung drängte und einen diesbezüglichen Beschluß, trotz erheblichem Widerstand im Kabinett selbst und in Kreisen der Partei, schließlich auch erreichte, wohl aber daraus, daß er, ungeachtet seiner oft bekundeten richtigen Meinung über die Unersättlichkeit des totalitären Appetits, nicht daran dachte, wie sich der britische Rückzug — nach ägyptischer Lesart natürlich ein von Kairo erzwungener Rückzug — auf die Ambitionen des Kairoter Revolutionsregimes auswirken würde. Statt die Räumung der Zone von der Einrichtung einer effektiven internationalen Kontrolle des Kanals und seiner freien Benützbar-kei't abhängig zu machen, begnügte er sich mit der Hoffnung, daß Ägypten, auch wenn ein Gamal abd el Nasser das Heft in der Hand hatte, die Stipulationen des am 19. Oktober 1954 mit ihm abgeschlossenen Räumungsvertrages einhalten und ebenso die Konvention von 1888. die die freie Kanaldurchfahrt in Krieg und Frieden allen Nationen garantiert, gewissenhaft respektieren würde — eine Konvention, die es durch Sperrung der Durchfahrt für israelische Schiffe schon seit Jahr und Tag in den Wind schlug . . . Dazu kam, was früher oder später kommen mußte, auch wenn die Amerikaner ihr Angebot finanzieller Hilfe für den Bau eines neuen Nildamms nicht zurückgezogen haben würden. Am 19. Juli 1956 beschlagnahmte Nasser den Suezkanal und enteignete ihn samt allen der internationalen Kanalgesellschaft gehörenden Anlagen, Einrichtungen und Bankkontis zugunsten des ägyptischen Staates, Das war ein flagranter Rechts- und Vertragsbruch und eine offene Herausforderung aller seefahrenden Nationen, Großbritanniens vor allem, dessen Flagge über einem Drittel der den Kanal passierenden Schiffstonnage wehte; aber eine Aggression, die im Sinne auch der UNO-Charta automatisch das Recht auf bewaffnete Gegenwehr nach sich ziehen würde, war es offenbar nicht. Überdies, worauf es jetzt, nach Nassers Streich, in erster Linie ankam, war die möglichst ungestörte Weiterführüng des Kanalverkehrs, und daß ein Waffengang dafür kein geeignetes Mittel war, lag ebenfalls auf der Hand. Doch in seinem an sich gerechten Zorn ließ Eden alle Bedenken und auch die sehr nachdrücklichen Warnungen der amerikanischen Regierung außer acht. Unmittelbar nach dem ägyptischen Vertragsbruch setzte er im Einvernehmen mit Frankreich militärische Vorbereitungen in Gang; ein wohl schlüssiger Beweis dafür, daß er von Anfang an entschlossen war, dem ägyptischen Diktator einen Denkzettel zu geben und nicht, wie er in seinem Memoirenwerk darzutun versucht, nur deshalb zur bewaffneten Aktion schritt, um eine weltfriedensbedrohende Ausbreitung des israelisch-ägyptischen Konflikts zu verhindern; denn erst am 27. Oktober, zwei Tage bevor es seinen Präventivschlag gegen Ägypten führte, ließ Israel seine Streitkräfte mobilmachen. Wohl erhielt Nasser den ihm zugedachten Denkzettel, von den siegreich vorstürmenden Israeli aber und nicht im Wege der anglo-französischen Intervention, die tatsächlich zu nichts anderem gedient hat. als die ägyptische Armee vor einer vernichtenden Niederlage und das Regime Nasser vor dem ihm binnen Stunden drohenden Sturz zu bewahren. Wie sich dieser Dienst in Ägypten und im gesamten arabischen Raum bezahlt gemacht hat, das hat sich seither ja genügend gezeigt.

„Ich war überzeugt“, so schrieb Eden am Ende seines Buches, „daß die Nachwirkungen der Suezaktion unsere Politik, und zwar bald, rechtfertigen würden ...“ Man möchte wünschen, daß ihm diese Überzeugung zum Trost für seine alten Tage unversehrt erhalten bleibt.

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