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Mensch sein in der Unmenschlichkeit

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Die Tragödie an der Drau. Von Josef Mackiewicz. Aus dem Polnischen übersetzt von Armin Droß. Bergstadt-Verlag Wilh. Gottl. Korn, München. 332 Seiten. Preis 12.80 DM. — Traumbuch eines Gefangenen. Prosa und Gedichte. Von Horst Bienek. Carl-Hanser-Verlag, München. 67 Seiten. Preis 5.40 DM. — Im Frührot Gedichte der Ungarn. Herausgegeben von Clemens und Dorothee Podewils. Carl-Hanser-Verlag, München. 77 Seiten. Preis 4.80 DM. — Der verdammte Hof. Erzählung von Ivo Andric. Aus dem Serbischen übersetzt von Milo Dor und Reinhard Federmann. Suhrkamp-Verlag, Berlin. 174 Seiten. Preis 4.80 DM

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Die Tragödie an der Drau. Von Josef Mackiewicz. Aus dem Polnischen übersetzt von Armin Droß. Bergstadt-Verlag Wilh. Gottl. Korn, München. 332 Seiten. Preis 12.80 DM. — Traumbuch eines Gefangenen. Prosa und Gedichte. Von Horst Bienek. Carl-Hanser-Verlag, München. 67 Seiten. Preis 5.40 DM. — Im Frührot Gedichte der Ungarn. Herausgegeben von Clemens und Dorothee Podewils. Carl-Hanser-Verlag, München. 77 Seiten. Preis 4.80 DM. — Der verdammte Hof. Erzählung von Ivo Andric. Aus dem Serbischen übersetzt von Milo Dor und Reinhard Federmann. Suhrkamp-Verlag, Berlin. 174 Seiten. Preis 4.80 DM

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Das zentrale Thema der hier vorliegenden Bücher ist der Konflikt zwischen Freiheit und Gewalt. Mackiewicz spricht von der „verratenen Freiheit“ — er bringt politische Gesichtspunkte in seine Auseinandersetzung. Die drei anderen Bücher dringen in tiefere Schichten vor. Ausgehend von der Perspektive des Gefangenen, kommen sie vom Verlust der äußeren Freiheit auf die Frage nach der inneren Freiheit des Menschen, auf jene „Macht der Ohnmächtigen“, die in der geistigen Bewältigung des aufgegebenen Schicksals liegt und in seiner Ueberwindung durch Menschlichkeit und Liebe — der einzige Weg, um aus der Hölle des Hasses auf neuen, tragfähigen Boden zu gelangen. Bei Andric geht es zudem noch um ein absolutes Gefangen-Sein des Menschen im Sinn des Existentialismus.

Der polnische Emigrant Mackiewicz berichtet in seiner „Tragödie an der Drau“ — die Wege der Kosakenfamilie Kolzow von der russischen Revolution an verfolgend — vom Leidensweg eines ganzen Volkes; seinem tapferen Kampf gegen den Bolschewismus schon während der Friedensjahre und dann, nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges, auf Seite der Deutschen, in denen die Kosaken ihre natürlichen Verbündeten gegen das stalinistische System zu finden glaubten. Ein verhängnisvoller Trugschluß, der sie ins Verderben führen sollte. Der Rückzug der Deutschen in Rußland zwang diese Stämme zum Aufbruch in die Fremde. Die kampffähigen Männer wurden teils auf dem Balkan, teils an der Westfront eingesetzt, und schließlich alle — Soldaten und Zivilisten —, die am Ende des Krieges noch lebten, von den Engländern als „Verräter an Stalin“ den Bolschewisten ausgeliefert.

Unverständlich bleibt die Form, in der die Auslieferung der russischen Kampfverbände und Zivilisten vor sich ging, die bewußten Täuschungen, mit denen die Engländer mit ihrem „Ehrenwort“ die Menschen in eine Falle lockten. Doch scheint hier Mackiewicz die Situation einseitig zu. sehen. In Jürgen Thorwalds Buch „Wen sie verderben wollen“

wird jedenfalls die englische Haltung wesentlich fairer geschildert.

Horst Bienek, ein 1930 in Gleiwitz geborener Oberschlesier, der 1951 in Berlin verhaftet und nach Sibirien deportiert wurde, legt mit seinem „Traumbuch eines Gefangenen“ sein erstes Werk vor. Ein Versuch, die bitteren, fünf Jahre währenden Erfahrungen und Leiden in den Verhören, in russischen Zwangsarbeitslagern und im Bergwerk von Workuta durch die Gestaltung zu bewältigen und sich von ihnen zu befreien. Bienek wählt dafür die dem Gefangenen so naheliegende Form der Tag-und Wachträume, die ihn aus der schrecklichen Wirklichkeit in die lichtere Vergangenheit entrücken, die ihm die schöne Welt ins Gefängnis holen, ihn zugleich aber auch mit der Unzulänglichkeit des Menschen unserer Zeit hadern lassen: „Ihr habt scharfsinnige Diagnosen geliefert, Aber keine Rezepte für Heilmittel. . .“ Träume, die schließlich doch immer wieder in die

Ausweglosigkeit des „Käfigs“ münden, aus dem es kein Entrinnen gibt; in dem, neben den Erinnerungen, allein der Bruder, der das gleiche Kleid des Gefangenen trägt, lebendig ist und helfen kann.

Bieneks Gestaltungsvermögen erweist sich in den Gedichten ungleich stärker als in seiner Prosa, die in den Anfangskapiteln, in denen er sich an das tatsächliche Geschehen hält, am eindrucksvollsten ist. Da, wo er Visionen zu gestalten versucht, gerät er leicht ins Reflektieren, zum Schaden der Unmittelbarkeit und manchmal auch der Glaubwürdigkeit seiner Aussage, die hier und da ins Literarisch-Unverbindliche abzugleiten droht.

Ein einzigartiges Dokument ist die von bekannten deutschen Autoren übersetzte und in dem Band „Im Frührot“ gesammelte Untergrundlyrik junger ungarischer Dichter, die im Oktoberaufstand gefallen sind oder heute in der Emigration leben. Zeugnisse einer Jugend, die ihre Gedichte vor der Erhebung in den Gefängnissen schrieb und jetzt verstummt oder verschollen ist.

Das Erregende nun ist, daß diese für ihre Freiheit aufgestandene Jugend nicht etwa Kampf- und Haßgesänge anzubieten hat, keine Pamphlete und Aktionsprogramme, wie wir sie jenseits des Eisernen Vorhangs zu erwarten pflegen. Nein, alle diese jungen Leute sind im Leiden und in der Bewährung bis zum Einsatz des Lebens, das ja so viele in ihrem Kampf für die Freiheit hingaben, erst ganz und vorbehaltlos Mensch geworden und verkünden aus der Welt des Zwanges und der Knechtschaft, in der sie gefangen waren, eine Botschaft der Liebe. „Mensch sein in der Unmenschlichkeit“ heißt ein Gedicht von Endre Ady, und im „Gesang der Abgeschiedenen, die nie sterben“, schreibt ein verschollener ungarischer Student, dessen Braut vor ihm erschlagen wurde:

„Sagt es, dafl ich glaube, bete, singe.

Und die lieben will, die Mörder sind.“ Wie sehr uns, die wir in einer glücklicheren Welt leben dürfen, diese Dichtung und das in ihr bezeugte Geschehen angeht, erweist am klarsten Tibor Tollas'- „Im Kerker von Vac“, dessen Schlußsatz

„Ein Sklavenchor braust auf: Habt acht, ihr drauflen!

Man schlägt das letzte Fenster zu mit Blech!“

gewiß auch Mahnung für uns sein will. Wir dürfen diesen Anruf nicht überhören und auch nicht die Worte des Herausgebers Clemeni P o d w i 1 s, der in diesen Gedichten den Vorboten eines neuen Welttages sieht, „der heraufkommt, still, ohne Gewalt und mit der Macht des Lichtes, das schon weite Teile des Horizontes im Osten ergriffen hat. Ist die Nacht im Westen so tief, das Licht noch so fern, daß wir an seinem Kommen zweifeln?“

Eine Ueberraschung aus der Welt hinter dem Eisernen Vorhang ist auch Ivo Andric, ein im deutschen Sprachraum bisher unbekannter jugoslawischer Dichter, der in seiner Heimat hochverehrt wird. Seiner Erzählung „Der verdammte Hof“ möchten wir Weltformat zusprechen. Auch in der ausgezeichneten Uebersetzung von Dor und Federmann ist seine klare Prosa ein hoher Genuß; und hinreißend seine Fähigkeit, in dem bunten, vordergründigen Geschehen Existenzprobleme des heutigen Menschen durchsichtig zu machen. Die Fragen nach Schuld und Unschuld, nach Freiheit und Gebundenheit des Menschen, seiner Abhängigkeit von Mächten und Kräften, die ihm die freie Gestaltung seines Lebens aus der Hand nehmen, werden ähnlich wie von den westlichen Existentialisten beantwortet. Von Djamil, einem jungen Türken, heißt es einmal, daß er offen und stolz zugab, identisch zu sein „mit dem Menschen, der — unglücklicher als irgendeiner — in eine Enge ohne Ausweg getrieben worden war, und der nicht verleugnen konnte und wollte, was er war“.

Die makabre Bühne, auf der das Geschehen der Novelle abläuft, ist das Gefängnis von Konstantinopel, auf dessen „verdammtem Hof“ sich Verbrecher, Gauner und Abenteurer jeden Ranges mit Unschuldigen treffen; ein vergifteter Ort, dessen Atmosphäre „den Menschen auf den dunklen Grund hinunterzieht wie ein Strudel“; der die Persönlichkeit unterhöhlt und auslöscht. Und doch leuchtet in die Hoffnungslosigkeit, Gleichgültigkeit und Verzweiflung dieses „verdammten Hofes“ immer wieder ein Schimmer der „verlorenen, richtigen und menschlichen Welt“, das Wissen, „daß auch das hier nicht ewig ist“. Andric, will uns dünken, bestätigt nicht, sondern widerlegt letztlich, daß der Mensch rettungslos dem Nichts ausgeliefert ist.

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