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Menschen und Mächte

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Franz Theodor Csokor hat uns einst im „3. November“ gezeigt, wie am Ende des ersten Weltkrieges die vom Offizierskorps vertretene Völkerfamilie des Habsburgerreiches durch das Schicksal auseinander- und gegeneinander getrieben wird, so daß am Ende die beiden Kriegskameraden und Blutsbrüder, der Kärntner und der Slowene zu mordendem Kampf gegeneinander antreten müssen. Ähnlich braust nun im „Verlorenen Sohn“, den uns das Burgtheater bringt, der Sturm des zweiten Weltkrieges über eine abglegene dalmatinische Insel hin, greift in die Gemeinschaft einer Sippe und treibt deren Glieder in schrecklichem Brudermord gegeneinander.

Otac, der Vater, der die Welt von gestern verkörpert, haßt die fremden Eindringlinge mit dem zähen, verbissenen, durch die geschichtlichen Erinnerungen der alten Heldenlieder seit Jahrhunderten immer wieder geschürten Volkshaß. Ihm steht sein Sohn gegenüber, der Partisane, dem dieser Krieg kein Ringen der Völker und Reiche ist, kein Kampf um die Sicherheit von Haus und Hof — denn ginge es darum, dann hätten ja seine beiden Brüder recht, die durch Kopfeinziehen und Anklammern an Heim und Weib und Kind den Sturm überstehen wollen. Der verlorene Sohn aber will aus Kampf und Mord eine neue, bessere Welt aufbauen, in der es weder arm noch reich geben soll, eine Welt der allgemeinen Bruderliebe — und wird darüber zum Mörder an seinen beiden leiblichen Brüdern. In seinem blinden Gehorsam gegenüber dem „Auftrag“ aber ist er, wie Teta, die alte Hausmutter zuletzt erkennt, selbst ein Gefangener, ein Getriebener, ein Unfreier, dem Trunksüchtigen gleich. Hat dieser Brudermörder nicht noch einen, einen geistigen Bruder, den faschistischen Kommandanten, der, wie er ein Ausführender, im „höheren Auftrag“ mordet und wie er einer „Idee“ sein Menschentum opfert. Wenn Csokor auch heute diese Parallele — auf die er schon im „3. November“ den Regimentsarzt hat hinweisen lassen'.— nicht ausdrücklich zieht, so ist sie doch auch hier deutlich zu erkennen.

Im Ringen dieser beiden feindlichen Brüder im Geiste zerbricht die von beiden mißachtete bestehende Ordnung, werden Heim und ' Sippe zerstört. So bleibt nur Teta, die Alte, Trägerin des Glaubens an das Göttliche, hochaufgerichtet bis zuletzt, um, wie Pater Ambros in den „Marmorklippen“ mit den letzten Trümmern des Hauses zu fallen. Mit dem gemordeten Glauben zerbricht die Welt. .

Es ist die große Tragödie unserer Zeit, die Csokor, weder anklagend noch verteidigend, sondern nur tief miterlebend und miterleidend vor uns hinstellt, in dem Versuch, das unfaßbare Geschehen unserer Tage mir den Mitteln einer uralten Symbolik zu gestalten.

Unfrei sind diese Menschen, unerlöst von jener Schuld, die einst durch Adam in die Welt gekommen, getrieben von den dunklen Mächten eines unerforschlichen Schicksals, von der „Moira“ der antiken Tragödie.

Führt so das zeitnahe Stück zurück zu den dunklen Ursprüngen und zu einer letztlich zeitlosen menschlichen Tragik, so erlebt man in der Renaissancebühne bei der Neuinszenierung von Schnitzlers „Professor ßernhardi“ mit gemischten Gefühlen den Versuch, ein einst betont zeitnahes, doch inzwischen in seiner Problematik etwas verstaubtes Stück wieder „aktuell“ zu machen. Gewiß, als Anklage gegen den Antisemitismus entbehrt es nicht einer dauernden Aktualität, auch in dem weiteren Sinne einer Kampfansage gegen eine Mentalität, die nicht den Menschen, das Individuum, sondern die Gruppe, das Kollektivum sieht, bekämpft, verdächtigt oder auf der anderen Seite auch verherrlicht. Doch gerade dieses am Grunde der Schnitzlerschen Komödie ruhende ernste Problem des Kampfes der Persönlichkeit gegen die Einordnung in kollektive Gruppen und Fronten wird in der Neuinszenierung bewußt vernachlässigt durch die Streichung jener Szenen, in denen Bernhardi sich dagegen wehrt, daß aus seiner Gestalt der Rammbock einer polirschen Partei gemacht wird und wo er schließlich erkennt, daß hier wie überall, letztlich alles auf die Frage der Willensfreiheit hinausläuft. Auch in dieser Komödie geht es so im Grunde wieder um das Ringen des Menschen mit den von außen her in sein Schicksal eingreifenden Mächten, die sein Menschentum bedrohen. Dieser tiefere, geistige Hintergrund und zentrale Gedanke, der die Komödie von innen heraustragen, zusammenhalten und erwärmen muß, ist in der Aufführung verlorengegangen. Durch diesen Verlust an Tiefe aber wird das Stück flächenhaft, um nicht zu sagen flach, tritt das Zeitbedingte, treten alle eben an der Oberfläche haftenden Schwächen des. Stückes nur noch stärker und auffallender hervor: das. ziemlich unglücklich konstruierte „erregende Moment“ des Zwischenfalls um die Sterbesakramente, der trotz ehrlichen Bemühens doch nie ganz fair geführte Dialog, vor allem aber die geradezu gespenstisch anmutende Antiquiertheit des hier aufgeworfenen „weltanschaulichen Problems“ der Zeit um die Jahrhundertwende, jenes heute niemanden mehr interessierenden angeblichen „Widerstreits zwischen Wissenschaft und Religion“. Vor allem aber fällt nun, da der zur Einheit verbindende Gedanke fehlt, das Stück auseinander. Auf vier 'Akte einer leidenschaftlichen Anklage folgt nun, da die innere Wandlung Berri-hardis nicht gezeigt wird, unvermittelt und unverständlich ein fünfter Akt, in dem die solcherart beschnittene Komödie zur Posse absinkt und der Schluß, bei Schnitzler ursprünglich mit dem feinen Lächeln weiser Resignation verklärt, jetzt zynisch, gesinnungslos und grotesk wirkt.

So hat man diese Komödie gerade dadurch, daß man sie gewaltsam den Gegenwartsverhältnissen anpassen wollte, ihres zeitlosen ,und daher auch heute noch gültigen Charakters, ihrer Tiefe und damit eines guten Teiles ihrer Wirkung beriubt.

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