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Menschen wort und Nachtigallenfuge

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Daß Johannes Urzidil so jäh aus seinem Leben und Schaffen gerissen wurde, vermögen wir noch kaum zu fassen: so lebendig, so unternehmensfroh, so geistvoll war er uns noch wenige Tage vorher bei seinem Vortrag über „Cervantes und Kafka“ begegnet, hatte er mit heiterem Ernst aus seinem Leben, über Werfel und Kafka, Brod, Csokor und Willy Haas erzählt. — Am 10. Dezember wollte er wieder in New York sein, und bald, schon bald wieder nach Wien kommen. Nun liegt er auf dem deutschen Friedhof in Rom...

Begonnen hatte Urzidil als Lyriker des Expressionismus. Lieder eines Unsteten ließ der Jüngling aufklingen, der den ,JSturz der Verdammten“ belauschte. Vorbei an krummen Flüssen und endlosem Hügelgelände zog der junge Dichter, durch die Täler des Jammers, wo die Gewässer der Klage rauschen und der Mensch hinsinkt im Sturze der Stunden. Die peinigenden Gedanken von den unzulänglichen und minderwertigen Möglichkeiten des Daseins überzogen ihn wie schweres Gewölk. Aber als sich dieses zerstreute, da glänzten die Sterne der Zuversicht und des Glaubens an Maß und Ordnung doppelt hell. — Im Germanistischen Seminar Professor August Sauers in Prag beginnt schon im Jahre 1914 die Geschichte des Buches „Goethe in Böhmen“, das die Bedeutung dieses Landes, seiner Natur und seiner Menschen für den größten Genius Deutschlands zeigte. 1932 erschien die erste Fassung dieser Studie, die den Beifall Gerhart Hauptmanns fand. 1962 ließ der Dichter eine tiefgreifende Neubearbeitung dieses Buches folgen. Geboren wurde Johannes Urzidil 1896 in Prag, das damals noch die Stadt der Tschechen, der Deutschen und des österreichischen Adels war, aber auch die Synagogenstadt, wo noch immer der Golem herumgeisterte, die Stadt Kafkas. 1939 zwangen die politischen Verhältnisse Urzidil, der bis dahin in mancherlei mehr oder weniger öffentlichen Berufen und Ämtern, in Redaktionen und im Gesandtschaftsdienst tätig gewesen war, zur Flucht. Er emigrierte über England nach Amerika, wo er 1941 ankam und als Lederkunsthandwerker arbeitete. 1945 erschien seine Stifter-Novelle „Der Trauermantel“ in New York. Zehn Jahre dauerte es, bis das Buch in seiner vollen Gestalt in Deutschland gedruckt wurde. Damit aber war der Bann des Schweigens um den Dichter endgültig auch in Europa gebrochen Er wurde „wiederentdieckt“. Hier war nichts Zeittypisches, nicht eine Botschaft der Angst wurde verkündet, sondern eine des Herzens. Es wurde ganz einfach wieder erzählt, und das Merkmal der Kraft war wieder Maß und Klarheit. Den wirklichen Durchbruch erlebte Urzidil mit seiner großen Prosadichtung „Die verlorene Geliebte“, in der er sich die Heimat, die er verlassen mußte, rein und innig in seiner Seele wieder aufbaute. Es folgten „Das große Halleluja“, ein Amerikaroman, der die Verwandlung unserer statischen Zivilisation in eine mobile spiegelt, Essays über „Amerika und die Antike“ und Goethes Amerikabild, unter dem Titel „Das Glück der Gegenwart“, und die Erzählbände „Das Elefantenblatt“, „Die erbeuteten Frauen“, „Entführung“ und „Bist du es, Ronald?“ Ihrer äußeren Handlung nach sind diese Erzählungen oft weit auseinanderliegenden Zonen zuzuordnen. Einmal ist New York der Schauplatz des Geschehens, ein andermal die Prager Kleinseite, Alltägliches wird gespiegelt und im Spiegeln verwandelt, Figuren der Antike und der biblischen Überlieferung werden beschworen: Eurykleia, Archi-medes, Agamemnon, die Männer im Ofen des Nebukadenezer. Und es erstehen vor uns die schrulligen, absonderlichen Bewohner des böhmischen Dorfes Gibacht, Schicksal und Untergang des genialischen Kupferstechers Ho-lar. Allen diesen Erzählungen, so weit sie thematisch und auch stilistisch auseinanderliegen, ist eines gemeinsam die Demut vor dem Leben, die Ehrfurcht vor dem Schöpferischen, vor dem Geheimnis, die Erkenntnis, daß das Größte aus dem Einfachsten hervorgeht.

Aber nicht nur der Erzähler träumte sich in die alte Heimat zurück, auch der Essayist: unvergeßlich bleibt, wie er in „Da geht Kafka“ die Figur dieses großen Einsamen umwandert. — Tief fühlte Johannes Urzidil, der auch Träger des österreichischen Staatspreises war, die Zerspal-tenheit in Du und Ich, in Sinn und Gebilde. Der späte Waldgänger wußte um die Einheit alles Lebendigen. Und er entnahm der Nacht ihr Allerbestes: Menschenwort und Nachtigallenfuge. — Ein Meister der Sprache war Johannes Urzidil — und, was ebensoviel zählen mag: ein Mensch, der auch in unserer Zeit zerstörerischen Hasses an das Leben glaubte, an die schützende Macht der Ordnung.

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