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Menschliches und Störversuche

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In Ingmar Bergmans neuestem Film „Die Stunde des Wolfs“ bekennt der Maler Johan Borg: „Ungewollt bin ich ein Künstler. Ein innerer Drang bewegt mich dazu. Doch ich weiß, die Kunst ist im Alltagsleben der Menschen ohne Bedeutung.“ Kulturpolitk ist, wenn man das, was Geschäft sein muß, mit dem verbindet, was nicht Geschäft sein kann. Und die Initiative zum Ausbruchsversuch aus dem trostlosen und abgegriffenen Kontrast von Filmgeschäft und Filmkunst formte das neue Image der Viennale 1968: Filme, die uns nicht erreichten.

Damit ist es auch vorbei mit der Heiterkeit der vergangenen Jahre, die zum Krampf geworden war, weil cf as kärgliche internationale Angebot an heiteren Filmen die Trostlosigkeit geradezu provoziert hatte.

Das Motto der Viennale öffnete ein Spektrum des Filmerlebens, weitab vom normalen Kinoprogramm, das sich bis auf wenige Lichtblicke zwischen Ignoranz und Dracula einge- pendelt hat. Und bei der weiten Streuung des Suchifeldes, in dem das einzige Auswahlkriterium die Qualität der Filme war, ist die Frage interessant: Woran orientiert sich der internationale Spitzenfilm, wo findet er seine lohnenden Themen?

Jedoch die erwartete Vielfalt entpuppte sich als globales Engagement am Menschen. Die bisher scheinbar zwingende Konvention, daß Kino unterhalten müsse, wird als einzige Daseinsberechtigung des Films einfach negiert. Weiters haben die bisherigen Stilrichtungen konsequent zu einer Prägnanz des filmischen Vokabulars geführt, zu einer Vielfalt formaler Ausdrucksweisen, so daß es nicht mehr möglich ist, allein aus dem Inhalt eine Aussage zu konkretisieren. Der Film ist mehr denn je zum Spiegel menschlichen Erlebens geworden und dies ist zugleich seine Chance, wenn er die Werte für das Seübstverständnis des Menschen zu setzen vermag. Denn Banalität und Transzendenz liegen eben eng beieinander.

Schon zur Eröffnung der Viennale wurde eine Kostbarkeit für sidi präsentiert. JMärtyrer der Liebe“ (Mucednici lasky) des Tschechen Jan Nemec, der sich bei uns schon mit den „Diamanten der Nacht“ ins rechte Licht gesetzt hat. Die Märtyrer der Liebe sind drei einsame junge Menschen, die ihren Tagträumen nachhängen, drei Episoden, drei alltägliche Schicksale.

Bewundernswert ist die Stilsicherheit des Films, der als klassische Groteske mit allen lyrischen, absurden und musischen Mitteln reinste Poesie erstehen läßt. Auch Melancholie kann schön sein.

Die Melancholie der Sinnlosigkeit hingegen zelebrierte Alain Resnais mit seiner Seelenanalyse des resignierenden Widerstandskämpfers in „Der Krieg ist aus" (La guerre est finie). Der routinierte Revolutionär, von der politischen Situation überrollt und in die Emigration getrieben, hängit nur noch am Pathos der Brüderlichkeit des gemeinsamen Kämpfens. Diesem Pathos hat sich Resnais in der Inszenierung nicht ganz entziehen können, doch bleibt der Film durch seine unkonventionellen Akzente bemerkenswert.

Schon 1962 in Mexiko gedreht war für Lwis Bunuel der Mensch in seiner gesellschaftlichen Situation eine apokalyptischen Vision wert. „Der Würgeengel“ (El Angel Exter- minador) desillusioniert eine auf geheimnisvolle Weise in einem Haus eingeschlossene Gesellschaft vornehmer Menschen, läßt ihre Konventionen sich in Nervosität, Hysterie und animalische Verhaltensweisen auflösen. Mit Hilfe der sur- re alen Verfremdung zerstört Bunuel den Mechanismus der bügerlichen Gesellschaft.

Die Tragödie des personifizierten Hungers brachte Henning Carlsei mit seinem Versuch, den Roman Knut Hamsuns „Hunger“ (Suit) entsprechend seiner literarischen Vorlage genau in den Stimmungen zu treffen. Bei diesem Film steht mindestens gleichberechtigt die Leistung des Hauptdarstellers Per Oscarssor zur Beachtung, der sich auch ir seinem Privatleben während dei Dreharbeiten ganz seiner Rolle hingab.

Ebenfalls von der literarischer Vorlage her in seinem StimmungS’ gehalt mitbestimmt war Rober Bressons „Mouchette“ nach den Roman von Georges Bernanos. Mi dem Einsatz der Musik weiß Bres sons der Geschichte des an der Lieb losigkeit zugrunde gegangenen klei nen Mädchens den Akzent trans zendentaler Verwandlung zu geber ebenso wie mit seiner asketisch poetischen Bildsprache.

Während bei uns vor kurzem vo:

Jerzy Skolimowski „Der Start“ zu sehen war, bot nun die Viennale die Gelegenheit, einen noch im Stil eigenständigen Film des Polen zu sehen: „Die Barriere“. Im Stil der ironisierenden und attackierenden Distanz und mit einem Blick für faszinierende Bildkompositionen inszenierte er die Ausbruchsversuche eines jungen Mannes aus der kommunistischen Gesellschaft und seine Versuche, sich neu zu orientieren.

Soweit das Menschliche der Viennale, und was die Störversuche betrifft, so kamen sie aus England, Italien und der Tschechoslowakei. „The War Game“ oder „Die Bombe“ von Peter Watkins liegt ganz im Bereich des emotionalen politischen Engagements. Mit einer gewissen Raffinesse bedient sidi Watkins des Stils der Dokumentation, um die Fiktion des möglichen Atomangriffs zu einem konkret erlebten Schock werden zu lassen.

Dasselbe Ziel, einen Stachel in das Fleisch bürgerlicher Saturiertheit zu senken, hat Vera Chytilova mit ihrem „Tausendschönchen“ vor Augen. Ihr Stil ist Pop-art und ihr Mittel die Provokation von Vorurteilen, um sich den Zuschauer gerade bei seinen eigenen Vorurteilen ertappen zu lassen.

„La Ricotta“ (Quarkkäse) von Pier Paolo Pasolini provoziert im religiösen Bereich: Während der Aufnahmen zu einem Bibelfilm versucht ein Komparse seinen Hunger zu stillen und stirbt inmitten der grausamen Gleichgütigkeit seiner Umgebung am Kreuz. Jedoch hinterläßt dieser Episodenfilm einen zwiespältigen und etwas aufgeblasenen Eindruck. Aber Provokationen sind immer ein Risiko.

Es bleibt nur noch der Wunsch offen, daß die auf der heurigen Viennale gezeigten Filme auch noch auf dem normalen Verleihweg das Licht der heimischen Kinoleinwände erblicken mögen: Denn sie sind der Auseinandersetzung wert.

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