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Mercedes, Modell 1933

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Für den Taxifahrer ist die Tagung der Goethe-Gesellschaft offenbar uninteressant; „die kommen ja alle in ihrem eigenen Wagen“, meint er. Auftrieb geben ihm Wolkenbrüche, nicht schöngeistige Treffen. Der „Mercedes“, den er steuert, ist höchst ehrwürdigen Alters, Modell 1933, wie wir vernehmen; trotz seiner 687.000 Kilometer habe bisher nichts Wesentliches ersetzt werden müssen … Ein neues Auto? Nun ja, er möchte schon; der brave „Mercedes“ wackelt doch beträchtlich. Aber Westautos sind nicht zu bekommen, und der „Wartburg“, findet unser Mann, „ist kein Wagen“.

Ein hartes, ungerechtes Urteil; der „Wartburg“ (1000 Kubik) sieht ansprechend aus und fährt ganz ordentlich. Gemessen an Größe und Leistung ist er freilich viel zu teuer: etwa 15.000 Ost-Mark, bei jahrelangen Lieferfristen. Und der kleine, wirklich bescheidene „Trabant“ (600 Kubik) kostet nicht weniger als 9000 Ost-Mark. Wer kann, wer mag das bezahlen?

Die Frage drängt sich auch im Zusammenhang mit den Benzinpreisen auf. „Es gibt zwei Sorten“, sagen mir zwei mürrische Motorfahrer am Frauenplan, bei denen ich mich nach dem Treibstoff erkundige, „eine schlechte und eine noch schlechtere“. Kostenpunkt 1.50 bzw. 1.40 DM-Ost je Liter. Ganz so arg steht es zwar nicht mit der Benzinqualität, nach meinen Erfahrungen zu schließen; aber 17 Fr. oder 45 DM für 30 Liter, das macht wahrhaftig einen Unterschied! Wer in der DDR Auto fahren will, muß es büßen.

Eine Rechnung, die nicht aufgeht

Spaziergang im Park an der Ilm, wo Goethes Gartenhaus steht; ein Abstecher zum putzigen Schlößchen Tiefurt; kleiner Rundgang beim Schloß Belvedere. Überall Spuren des großen Klassikers. Am Teich vor dem Schloß füttert ein älterer Mann (Schwerstbeschädigter) die Sehwäne. „Traurig“, sagt er, „daß es nicht nur Weimar, sondern auch Buchenwald gibt…"

Buchenwald, das ehemalige KZ auf dem Ettersberg, einige Kilometer nordwestlich der Stadt: ein harter, grauenhafter Kontrast zu den Stät-

ten der Humanität. „Jedem da Seine“, steht inwendig am Toreingang des Lagers, wo die Besucher (und es kommen viele) auf Schritt und Tritt jenem minuziösen Sadismus begegnen, der hier planmäßig an der Tagesordnung war. Man be-

dürfte der kommunistischen Deutungen nicht, um bis ins Mark zu erschrecken. Der kleine Lampenschirm aus Menschenhaut, zum Beispiel, macht jeden Kommentar überflüssig. Es ist zwölf Uhr, als wir Buchenwald verlassen. Von Mittagessen kann einstweilen keine Rede sein.

Weimar und Buchenwald: eine Rechnung, die nicht aufgeht.

„Klub der Intelligenz“

„Der Rat der Stadt Weimar gibt sich die Ehre, Sie und Ihre Angehörigen zu einem Gespräch in kleinerem Kreis über aktuelle Probleme, welche die deutsche Nation in ihrer Gesamtheit angehen, einzuladen."Das Gespräch im „Klub der Intelligenz“ beginnt abends um acht und dauert bis halb zwei Uhr früh. Es ist durch Offenheit, Höflichkeit und minime Ergebnisse gekennzeichnet. Prof. Hans Rodenberg, Mitglied des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, bittet die westdeutschen Diskussionsteilnehmer: „Sehen Sie nicht nur die Schale, sehen Sie auch den Kern!“ (Was meint er mit der Schale?) Er sagt: „Jeder Schritt, den wir in der DDR tun, ist Neuland. Nichts ist vorgezeichnet in unserer deutschen Geschichte. Wir lernen, wir können es schon ganz gut…“ Er sagt: Zweimal sei von Deutschland ein Krieg ausgegangen; beide Male habe die private Großindustrie zum Krieg getrieben; das dürfe nicht mehr geschehen; deshalb müßten die Produktionsmittel gemeinsam verwaltet werden. (Verstaatlichung der Industrie: das ist der harte Punkt, darüber lassen die Gesprächsteilnehmer aus der DDR nicht mit sich reden.) „Man soll uns glauben", sagt Prof. Rodenberg, „daß wir nicht Frieden sagen und Krieg meinen; man soll damit aufhören, uns ständig einem Trommelfeuer der Welt auszusetzen; man soll einsehen, daß die Spannung immer größer wird, wenn wir nicht reden miteinander.“ (Da hat er recht; aber das Reden ist schwierig, so lange verschiedene Sprachen gesprochen werden.)

Fragen ohne Antwort

Die ostdeutsche Prominenz — tiefernst, bisweilen sentimental, fast völlig humorlos — neigt zu langen, grundsätzlichen Monologen; konkrete, präzise Einwürfe sind nicht willkommen. Ein ausgezeichnet argumentierender Studienrat aus der Bundesrepublik möchte wissen, ob es aus DDR-Sicht denkbar sei, daß die kommunistische SED im Parlament eines wiedervereinigten Deutschland sich mit der Rolle der Opposition begnügen würde? Die Frage bleibt unbeantwortet; zuerst heißt es, müsse Bonn seine aggressive, friedensfeindliche Politik aufgeben, dann erst könne man ernsthaft über Probleme der Wiedervereinigung diskutieren. Ein Schweizer möchte wissen, warum er die DDR nicht betreten und verlassen kann, wo er will; warum er sich in der DDR nicht aufhalten kann, wo und solange er will; warum er in der DDR nicht die Zeitungen lesen kann, die er will. Die Fragen bleiben unbeantwortet; was die mangelnde Freizügigkeit betrifft, so wird ihm bedeutet, daß seine Regierung die DDR anerkennen solle, dann regle sich alles von selbst: eine rein rhetorische Auskunft.

Es gibt an diesem Abend immerhin minimale Ansätze zu einem wirklichen Dialog; man spricht wechselseitig von den Sachen, von den Problemen statt von den Schlagworten her; man sucht einander zu verstehen, so schwer es auch fallen mag; man unterzieht bisweilen die eigene Position einer gewissen Kritik. Ein Professor aus der DDR ärgert sich über Transparente, welche „die Bonner Wichte“ anprangern (so hätte er vor zwei Jahren noch nicht reden können); ein Lehrer aus der Bundesrepublik findet, man habe in Westdeutschland unnötige Angst vor Kontakten mit der DDR (und er erntet Zustimmung). Als neutraler Beobachter gewinnt man den Eindruck, daß zwar unter den gegebenen Umständen an Wiedervereinigung nicht zu denken ist, daß aber die überreizte Spannung zwischen Ost- und Westdeutschland bei einem Mindestmaß an Verständigungsbereitschaft gemildert werden könnte.

Um halb zwei Uhr stellt eine kleine, resolute Frau einen Ordnungsantrag auf Abbruch der Diskussion: „Kinder, ihr gehört alle ins Bett“, sagt sie.

Samstagabend im Hotel „International“. Eine kleine Band spielt zum Tanz auf, und die Paare drehen sich bei ziemlich moderner Jazzmusik. Die Stimmung ist von gedämpfter Fröhlichkeit. Grölende Halbstarke (die gibt es hier auch) schickt der Concierge energisch weg. Ich blättere im Gästebuch des Hotels und stoße auf eine bekannte Schrift: „Dankbar für die schönen, erlebnisreichen Tage, die ich mit den Meinen in diesem gastlichen Hause verbrachte. Thomas Mann. Weimar, 15. 5. 55.“ Leicht zitternd schon, aber immer noch wie gestochen, hat er’s hingeschrieben mit seiner zierlich-aristokratischen Schrift; ein bißchen Rührung, denke ich, ist erlaubt.

Hernach (der Ausflug am Nachmittag zum Goethe-Häuschen auf dem Kickeihahn bei Ilmenau hat durstig gemacht) eingehendes Studium der Weinkarte; sie sieht anders aus als bei uns. Man offeriert folgendes:

Weißweine: Odobesti (Rumänien) 6.25; Banater Fuchsberg (Jugoslawien) 9.35; Balaton Füredi, original ungarisch 12.25. — Dessertweine:

Balkanfeuer 7.50; Armenisch Dessert 11.35; Muskat (Sowjetunion) 13.55. — Sekt: Zarea (Rumänien) 21.25.

Mit zwei Gymnasiallehrern aus St. Gallen, die anderntags in die Schweiz zurückfahren, trinke ich zum Abschied eine Flasche rumänischen Sekt. Er schmeckt sehr ordentlich, vermag aber die Müdigkeit des einen Kollegen nicht aufzuhalten: der arme Mann, in Ost-West-Ge- sprächen ein Novize, hatte nach der politischen Diskussion letzte Nacht kein Auge zugedrückt.

(Wird fortgesetzt)

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