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Digital In Arbeit

Merkblatt für sick Ärgernde

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Vergiß nie, daß dein Aerger dein Bestes ist, und weise darum alle Begütigungsversuche — auch die eventuellen de”-»s Inneren — als Schwäche und Kompromißlerei ab: am besten derart, daß du gerade sie zum Anlaß eines neuen Aergers nimmst. Denn der Aerger ist darum dein Bestes, weil er dir gleichzeitig zwei wunderbare Gefühle gibt — davon, wie gut du bist, und davon, wie böse die anderen sind. Du allein gut und die ganze Welt schlecht: das gibt dir einen festen Standpunkt und ein schwellendes Selbstbewußtsein, unter dessen Blutdruck du dich eine Weile für mutig und temperamentvoll halten kannst. Diese scheue Andacht vor dem eigenen Ich kann sich (bei genügendem Aerger) bis zu Mitleid, Rührung und heißen Tränen über dich selbst steigern, ja sogar bis zu einem gewissen Heroismus, wenn du dir nämlich sagst, daß Aerger zweifellos am Leben zehrt, und du dich dennoch ärgerst, nun gerade! Ueberhaupt sei „nun gerade!“ (in Oesterreich „Justament!“) der Leitstern über den Wogen deiner Wut. Denn es gibt dir, was du sonst eigentlich nicht hast — einen stahlharten Charakter.

Den weitläufigen Irrtum, daß Aerger blind mache, widerlegst du nun, indem du deinen Aerger liebevoll ins Auge fassest. Hierbei wirst du mit Leichtigkeit feststellen, daß du gerade am Morgen und überhaupt beim Erwachen zur Wut aufgelegt bist; eventuell auch bei großer Hitze, bei Föhnwind, vor dem Gewitter usw. (Letzteres gibt dir zudem dasangenehmeBe- Vūij'tseltt.’.įift „erdhäftet Mansch“ zu sein.) Und zweitens erkennst du, daß deine Wut noch eine andere, innere Periodizität hat: nachdem deine Giftdrüse plötzlich durch Zubiß entleert ist, wirst du ein sanftes Lamm, bis die Drüse allmählich wieder Füllung bekommt, bis aus dem Pfund Mandeln wieder der eine Tropfen Blausäure destilliert ist und du unvermutet losspritzen kannst. Diese Art Aerger besitzt den Vorzug, daß man dich’ nach dem „Rauhe-Schale- weicher-Kern“-Schema beurteilt und dir deinen Aerger um der Periode der Giftarmut willen verzeiht. Man sagt „er ist innerlich doch ein guter Mensch“, und damit ist manches gewonnen. Diesen Eindruck kannst du noch durch die Erklärung verstärken, daß du ein offener, ein „Ge- rade-heraus"-Mensch bist und daß alles Insich- hineinärgern bloß die Seele und die Verdauung vergifte. Dank solcher proklamierten Offenheit, die deinem Aerger die Weihe der Weltanschauung gibt, kannst du dann ruhig losdonnern.

Demnach habe dein Verhalten zu den Nebenmenschen drei Phasen: engelhafte Sanftmut nach dem Wutausbruch (die dich gar nichts kostet, denn deine Giftvorräte sind ja momentan verspritzt), hierauf hartnäckiges „Schweigen in dreißig Sprachen“, und endlich der Ausbruch selber. Diesen darfst du nicht forcieren. Außer vielleicht bei Menschen, von denen du weißt, daß sie zart und schreckhaft sind: bei denen kann plötzliches Losbrüllen allerdings Wunder wirken — sie erbleichen, sie machen große Augen, .sie beginnen zu weinen. Das sind natürlich nun ganz hübsche Erfolge, die man durch ein paar Verachtungsfloskeln über „Jammerlappen“ und so weiter noch verstärken kann. Nur hat der Fortissimobeginn einen Nachteil: er dauert, eben wegen des jämmerlichen Zusammenklappens des anderen, zu kurze Zeit. Er hinterläßt dich unbefriedigt. Du mußt gleich darauf nach einem neuen Aerger suchen, und zersplitterst solcherart deine ganze schöne Wut. Darum fange fein behutsam an, und womöglich mit einem, bei dem du vermutest, daß auch er einen Aerger, eventuell sogar auf dich, hat. lieber das stetige Anschwellen und den vulkanischen Ausbruch brauchst du dir dann keine Sorge zu machen; „ein Wort gibt das andere“, wie die Sprache so treffend sagt. Aber halte Haus mit deinem Rasen wie ein guter Jockei. Selbstverständlich kommt als Schlußeffekt das völlig hemmungslose ,Auspacken“, und du hast das Hochgefühl, als tragische Heldenperson vor schlotternden Kulissen zu stehen. Doch mußt du bedenken, daß du deinen Nebenmenschen auch wirklich kränken sollst; es muß gesessen haben. Darum verfahre wie ein raffinierter Kutscher, der seine Pferde nicht einfach auf den Rücken peitscht, sondern dort, wo es fühlbar ist: auf den Bauch oder zwischen die Ohren. Das heißt, greife nicht deines Nächsten Fehler an, sondern seine Ideale. Das wirkt stärker.

Beim Schluß des Krachs ist Türenzuschlagen sehr vorteilhaft, denn mit der Klinke hast du auch das letzte Wort in deiner Hand (weil, sobald die Türe geschlossen ist, das übrige nicht mehr „gilt“). Und das letzte Wort hat beim Krach bekanntlich eine Art mystischer Qualität: Wer es spricht, ist Sieger — denn der andere ist seines nicht losgeworden und es bleibt ihm als ewiger Adamsapfel im Halse stecken. Manchmal rennt er darum noch schnell zur zugeworfenen Tür, reißt auf, brüllt es hinaus, und schlägt sie nun selber zu. Doch das ist nicht mehr das Wahre. Auch kannst du ihm immer noch aus dem Treppenhaus mit einem höhnischen Gelächter antworten . . Darum ärgere dich nie in deinem eigenen Zimmer; von dort kannst du nämlich nicht mehr knallend ab durch die Mitte gehen.

In der nun einsetzenden sanften Lammperiode schalten viele die große Versöhnungsszene ein. Ich möchte da weder zu- noch abraten. Einerseits genießt man ja unleugbar die Wonnen der Reue, auch wird der andere „wieder'gut ', in Sicherheit eingelullt, und so für den nächstfälligen Aerger fertiggemacht — doch anderseits: dein Aerger verliert durch das Gewinsel die ästhetische gerade Linie, die prachtvolle Konsequenz, und vor allem können dich die unhygienischen Gewissensbisse noch dahin bringen, dich darüber zu ärgern, daß du dich wieder geärgert hast — was deine ethische Bilanz in völlige Konfusion bringt. Besser, du wirfst dem anderen ein halbversöhnliches, brummiges Wort hin und läßt es dabei bewenden. „Ich bin, wie ich bin!“ sei deine Devise. Sich ärgern ist ein seelisches Ekzem, und wen es juckt, der muß sich eben kratzen. Für den, den es juckt, ist kratzen die höchste Lust. Wohl denen darum, die sich ärgern, denn sie werden sich immer wieder ärgern.

Dennoch mußt du dich mit Auswahl ärgern, weil sonst alle an dir Rache nehmen und du vorläufig noch nicht der liebe Gott bist. Daher ist es zweckmäßig, wenn du einen bestimmten Kreis von Menschen hast, die du deinen Aerger spüren lassen kannst, weil sie nicht von dir loskönnen: aus Gründen der Verwandtschaft, der Ehe, der materiellen Abhängigkeit, eventuell auch der Freundschaft und der Verehrung. (Im Notfall genügt auch ein Stuhl, den man an die Wand Schleudert.) Diese Menschen kannst du ruhig ein wenig peitschen. Das hat günstige Folgen für die Verbreitung des Sich-Aergerns, da man eigene Seelenstriemen bekanntlich nur durch fremde los wird. „Dieser Aerger, der muß wandern, von dem einen zu dem andern."

Wegen seines Wundscheuerns gibt der Aerger dir nicht nur das täuschend echte Gefühl, ein höchst sensibler Mensch zu sein, sondern liefert auch geradezu einen Beweis für die Existenz der menschlichen Seele, wobei sich herausstellt, daß diese zwar unsichtbar, aber doch eine Art Körper ist. Sagt dir jemand „du Idiot“ oder besser noch: „Das ist kein hübscher Zug von dir, daß du…", und so weiter, so wirkt das nämlich genau wie ein Fausthieb. Zuerst, in der Hitze des Gefechtes, merkst du gar nichts, fühlst keinen Schmerz, sondern nur eine unmerkliche Erschütterung. Nach einer gewissen Zįbit beginnt aber diese Seelenstelle erst ein wenig, sodann immer mehr und mehr anzuschwellen. Wie, sagst du dir — ich ein Idiot, bei mir kein schöner Zug? Ja wie kommt er dazu; ja wie wagt er es. . . und so weiter. Kurz, es entwickelt sich die rich tige Blutunterlaufung, die unverkennbar seelische Beule. Diese kann im weiteren Verlauf allerhand Regenbogenfarben spielen, eitern, aufplatzen und eventuell auch interessante Entzündungen der umliegenden Organe nach sich ziehen. Kein Zweifel, du hast eine Seele.

Dilettanten des Sich-Aergerns könnten schließlich die unsinnige Frage stellen, wie man so was los wird. Sie sollten sich lieber die Frage vorlegen, was ihnen dann noch bleibt, um ihr Inneres auszufüllen? Diese Schwächlinge spüren in luziden Intervallen, daß sich da bei ihnen ein Wutdämon eingenistet hat, der sich behaglich den Bauch streicht. Und sie wollen ihn loswerden wie der Bauer seinen Dämon, welchen der Bauer bekanntlich in den Heustadel sperrte und schnell Feuer anlegte. Wie er nun froh auf die Flammen schaute, klopfte ihm der Dämon von hinten auf die Schulter und sprach: „Ein Glück, daß wir zwei uns noch retten konnten.“

Nein, sich Entärgern ist sehr schwer, Jedesmal langsam bis dreißig zählen? Das ist, wie wenn man Krebs mit Lanolinsalbe behandeln wollte. Als ob die Patrone aus dem Lauf verschwindet, bloß weil man nicht abdrückt! — „Nicht daran denken?“ Aber wenn man daran denkt, daß man nicht daran denken soll, so denkt man ja gerade daran! — „Sich ablenken?" Alle Wege führen nach Rom, in das Heiligtum deiner Wut. — Ein Zimmerschmuck mit der Aufschrift: „Mensch ärgere dich nicht!“ Das ist fast so kläglich wie das bekannte gestickte Kissen: „Wie man’s macht, ist’s recht.“ Was, frage ich, könnte einem mehr in Wut versetzen als gerade dieses Kissen?

Ein kleiner südamerikanischer Staat hat da einmal einen originellen Ausweg gefunden. Es gab dort eine Zeit, wo sich viele Menschen ärgerten. Da wurden an den Straßenecken menschliche Gestalten aus Gummi aufgestellt, denen man gegen Erlag eines geringfügigen Geldbetrages Ohrfeigen (sogenannte Watschen) geben konnte. Wer nun eine Wut hatte, ging zum nächsten Watschenmann, haute dem die ganze Geschichte links und rechts herunter und zog dann lächelnd und ein wenig müde ab. Das System soll sich bewährt haben, und überdies hatte auch der Staat Einnahmen davon. Ein anderes Mittel ist. sich den Menschen, über den man sich ärgert und mit dem man nie mehr reden will, oben am Lifer eines Kanals vorzu- stellen, sich selbst aber ertrinkend mitten drin im Kanal. Ob man dann mit dem Mann nicht eventuell doch zu reden beginnt? Das überlege einmal.

Und endlich könnte jemand doch die ganz dumme Frage stellen, worüber man sich eigentlich ärgert. — Aber das ist doch völlig gleichgültig! .. .

Man ärgert sich.

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