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MICHAEL PFLIEGLER BAHNBRECHER DES NEUEN ÖSTERREICH

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Am 26. Jänner wurde Michael l f ll e g l e r siebzig Jahre alt. Sein leben ist tragisch und groß mit der österreichischen Tragödie 1918 bis 1938 verbunden. Sein Wirken als htgendführer, Seelsorger, Prediger, fheologe und geistlicher Schrift- ;teller gehört der christlichen Welt in. Seine dreißig Bücher, in einer oesamtauflage von mehr als einer kalben Million Bände verbreitet, laben im ganzen deutschen Raum md durch Übersetzungen ins Französische. Englische, Ungarische, Kroatische, Spanische und Portugiesische viele Menschen in Glaubens- und Gewissensnot erreicht. Fünfzig Zeitschriften zählen ihn als Mitarbeiter. Zu seinem 70. Geburtstag legt der Flerder-Verlag eine Festschrift zu seinen Ehren vor, die den Titel eines seiner frühen aufrüttelnden Aufsätze, 1926 im ,,Seelsorger“ erschienen, trägt. Die Her- ausgeber, Karl Rudolf und Leopold Lentner halten im Vorwort schlicht und entschieden fest: „Im Grunde seines Wesens und Wirkens ist er Prophet.“ — „Er teilte auch Prophetenschicksal.“ Nicht also von dem erfolgreichen Lehrer, Professor, Schriftsteller Pfliegler ist hier zu handeln, sondern von dem Manne, der der Kirche, dem Staat, dem Volk in Österreich den Weg in den Abgrund ersparen wollte.

Bäuerliche Zähigkeit, bäuerliches Gottvertrauen prägt das Kind aus Guttenbrunn im Bezirk Mistelbach. Der Vater mußte Maurer werden: dies und die Nähe Wiens verweisen das Bauernkind Michael auf die schwere Not des Arbeiterkindes in einer Zeit des Umbruches und Zerfalls. Dazu kommt die Prägung durch die deutsche katholische Jugendbewegung, deren Führer in Österreich Pfliegler im „Neuland geworden ist. Als solcher wird er zum Erzieher einer jungen katholischen Intelligenz in Österreich. Seit Clemens Maria Hofbauer, den Pfliegler verehrt, hat wohl keiner so stark wie dieser kühne und leidenschaftliche Bauernsohn die Intelligenz in Österreich erreicht. Nicht zuletzt sozialistische Studenten. Als Arbeiterfreund versucht er, die Kluft zwischen der radikalisier- ten Arbeiterschaft und der Kirche zu überbrücken, ln dem bereits genannten Aufsatz von 3 926 erklärt er: Unsere Religion ist bürgerlich geworden, gesättigt, ohne Fragen. Sie ist nicht tägliche Aufgabe, sondern Verteidigung dessen, was gestern war. Dazu gehört der Priesterbeamte. „Brüder, wir wollen einander nichts vorwerfen, aber religiös genug für diese aufgewühlte Welt sind wir nicht. Uns fehlt der Mut, der nicht die Augen schließt, wenn Gott nach uns schaut. Uns fehlt die Bereitschaft, in grenzenlosem Opfer um die Rettung der Seelen willen .. . daß sich Tausende ihr Gehirn zermartern und daneben Priester Tarock spielen, kegeln, mit Besuchen und Theater die Zeit totschlagen können und höchstens am Sonntag über die Feinde Gottes ein wenig schimpfen — und nicht mehr! Wir können nur an die Brust klopfen und sagen: Gott sei uns armen fixbesoldeten Beamten Gottes gnädig!“ — Einen Monat vor dem Juliaufstand 1927 veröffentlicht er einen Aufsatz: „Kirche, Sozial demokratie. Christlichsoziale und Christus der König.“ Pfliegler fordert da: die Verbindung von Kirche und Arbeiterschaft, die Koalition der Christlichsozialen und Sozialdemokraten. — Ja, Michael Pfliegler ist der Denker der Koalition — diese in ihrem besten, ursprünglichsten

Sinne verstanden. Seipel steht gegen Pfliegler. Im Jahr der Julirevolte 1927 allein fallen rund 30.000 Menschen von der Kirche ab. Politische Worte von der Kanzel, Hetze der Austromarxisten und Freidenker gegen die Kirche im Banne einer Partei. Pfliegler aber, spricht mit den Sozialisten, nicht nur mit den religiösen Sozialisten: 3 927 bis 1931 sind die Höhepunkte dieses seines Wirkens. Ein schwerer Schlag ist die 1931 erschienene Enzyklika „Quadragesimo Anno“ mit ihrer Ablehnung des Sozialismus für seine Arbeit. Pfliegler gibt jedoch nicht auf und verteidigt gegen zahllose Angriffe nicht zuletzt von Amtsbrüdern seine Sozialistenseel.- sorge. Nach 1945 ist dann endlich der Weg frei, nach den blutigen Tragödien der Jahrzehnte zuvor. Pfliegler selbst charakterisiert ihn: „Die Kirche in Österreich hat seit 1945 jene Stellung bezogen, für die zu werben nach dem ersten Weltkrieg ein aussichtsloses Unternehmen schien.“

Wer in die heutige innere Situation in Österreich hineinsieht, bemerkt, daß allzu viele diese Lage vergessen haben oder überhaupt nicht kennen. Es ist an der Zeit, daß in den Priesterseminaren und den höheren Schulen Österreichs ein Vademekum erscheint, zusam- mengestellt aus den Reden und Werken dieses Mannes. Michael Pfliegler ist eine Mahnung unserer Vergangenheit und ein Programm für die Zukunft in Österreichi.

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