Mit dem Segelschiff ins Unbekannte

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Gérard Chaliands Reisebeschreibungen erzählen von einer strapaziösen Atlantiküberquerung und einem Monat Leben bei Indios.

Der französische Kapitän Patrice Franceschi verwirklichte ohne Sponsoren ein gigantisches Unternehmen: Mitte 2004 brach er mit seinem Dreimast-Segelschiff "La Boudeuse" ("Die Schmollende") von Bastia auf Korsika zu einer Weltumseglung auf, bei der zwölf Expeditionen zu acht Völkern, die nur vom Wasser aus erreichbar sind, unternommen wurden. Nach 1063 Tagen und 60.000 zurückgelegten Kilometern kehrte das Schiff im Juni 2007 nach Bastia zurück.

Schriftsteller als Chronist

Für jede der Expeditionen lud der Kapitän einen Schriftsteller ein, der als Chronist berichten sollte. Die erste Expedition zu einem winzigen Indianerstamm am Amazonas begleitete der französische Dichter, Essayist, Politologe und Terrorismusforscher Gérard Chaliand, ein Abenteurer, der in 60 Ländern war und sich mit 70 Jahren (geb. 1934) den gewaltigen Strapazen zunächst der Atlantiküberquerung stellte und dann einen Monat mit Indios lebte. Sein Bericht, der erste der zwölf geplanten, "Bis an die Grenzen von Eldorado", passt in keine Schublade und ist von hohem Informationswert und mit poetischem Zauber durchtränkt.

Chaliand beschreibt lebendig das streng disziplinierte Leben an Bord eines Schiffes mit 660 Quadratmetern Segel; die Angst, über Bord zu fallen; seine Erinnerungen an Romane über das Meer; er berichtet von berühmten Geographen und Seefahrern und über den letzten Sagenzyklus der abendländischen Literatur, die "Lusiaden" des Portugiesen Camoes (1572), dessen Amtstitel lautete: "Provedor dos defuntes e ausentes", Kommissar für die Toten und Verschwundenen. Und er lässt den Kapitän zu Wort kommen, der seine Altersversorgung als Einsatz für diese Weltumsegelung hergab: "Ich mag nicht auf den Spuren eines anderen wandeln, selbst wenn man heute nichts Neues mehr entdecken kann. Die Welt birgt noch viele Gegenden, die wenig besucht oder beschrieben wurden." Zeit bekommt auf dem Segler eine neue Qualität: "Eine verlangsamt ablaufende, tropische Zeit, die zu Erinnerungen und Zukunftsträumen anregt."

Die Suche der Spanier und Briten im 16. Jahrhundert nach dem Goldland Eldorado, das sie im größten Flussbecken der Welt, im Amazonasgebiet, vermuteten, bildet den Hintergrund zum spannendsten Abschnitt des Buches, der Begegnung mit Indios. Das Ziel der Expedition mit dem Thema "Völker am Wasser" war nicht ein ethnologisches; vielmehr sollte das Alltagsleben und der Einbruch der Moderne bei kleinen Gemeinschaften erforscht werden.

Alltagsleben der Indios

Dem erfahrenen Reisenden Chaliand fällt sofort auf: Anders als in allen Gesellschaften zwischen Maghreb und Afghanistan, berühren sich die Indios ohne Scheu. Sexualität ist kein Tabu. Diese Menschen kennen keine Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Sie kauen Coca, um zu träumen. Sie respektieren die Natur und haben Angst vor ihr. Tote müssen nach acht Tagen vergessen werden, "sonst hindert dich der Tod am Leben". Doch in dieses Paradies wollen die Jungen, die zur Ausbildung die engere Heimat verlassen, nicht zurück.

Ein Abenteuerbuch? Ja, doch ein subtil reflektierendes: "Unsicherheit, die man auf lange Frist wählt und durchsteht, ist das nicht das Wesentliche am Abenteuer?'' Diese Wahl hat der Autor ein für alle Mal getroffen, "um nicht im Trott gleichförmiger Tage leben zu müssen".

BIS AN DIE GRENZEN VON ELDORADO

Von Gérard Chaliand

Aus dem Französischen übersetzt von Beate Thill

Wunderhorn Verlag, Heidelberg, 2008

166 Seiten, geb., € 19,90

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