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Mit dem Zauberschlüssel

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Im Jahre 1954 erschien im Verlag „Herold“ der erste Roman einer damals noch unbekannten jungen Dichterin, die nach 1945 zu den großen Hoffnungen der österreichischen Literatur zählte. Das Buch trug den für das Zeitklima bezeichnenden Titel „Sie warten auf Antwort“. — Inzwischen sind 25 Jahre vergangen. Das Zeitklima ist nicht besser geworden, aber die Dichterin, die jetzt auf der Höhe ihres Lebens steht, hat nach schweren Jahren inneren und äußeren Ringens endlich jene Anerkennung gefunden, die ihr schon lange gebührt und die vor kurzem durch die Verleihung der „Adalbert-Stifter-Medaille“ durch den Bundesminister für Unterricht ihren schönsten Ausdruck fand.

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Im Jahre 1954 erschien im Verlag „Herold“ der erste Roman einer damals noch unbekannten jungen Dichterin, die nach 1945 zu den großen Hoffnungen der österreichischen Literatur zählte. Das Buch trug den für das Zeitklima bezeichnenden Titel „Sie warten auf Antwort“. — Inzwischen sind 25 Jahre vergangen. Das Zeitklima ist nicht besser geworden, aber die Dichterin, die jetzt auf der Höhe ihres Lebens steht, hat nach schweren Jahren inneren und äußeren Ringens endlich jene Anerkennung gefunden, die ihr schon lange gebührt und die vor kurzem durch die Verleihung der „Adalbert-Stifter-Medaille“ durch den Bundesminister für Unterricht ihren schönsten Ausdruck fand.

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Der Wiener Dialekt bezeichnet einen traumbefangenen Menschen, der manchmal langsam auf das äußere Leben reagiert und sich vielfach schwer zurechtfindet, als „tramhap-pert“, und er meint damit — obwohl in der Stadt des großen Traumdeuters Sigmund Freud lebend, ihm nicht mehr ganz bewußt — das große Bild des „Traumhäuptigen“, dem der Sinn und Unsinn der Welt in den Chiffren und verschlüsselten Buldern des Traumes offenbar wird. Seine Aufgabe ist es, für den Menschen die Brücke zu bauen, die aus dem Urberach mythisch-magischer Traumwelten, die Himmel und Hölle in sich bergen, in die Wirklichkeiten des realen Lebens führt — über den Abgrund hinweg, der beide voneinander trennt. Er muß aus der dunklen Traumsprache — sei sie nun die eines Engels oder Teufels — in unsere arme Menschensprache übersetzen. Dies und nichts anderes ist die Funktion des erzählenden Werkes der österreichischen Dichterin Jeannie Ebner, der Nichte des großen Denkers Ferdinand Ebner, dessen Werk erst in unseren Tagen zu seiner ganzen Wirkung kam. In allen ihren Büchern finden wir die Spielarten der Träumer, angefangen von den hohen Traumhäuptigen, die die Zeichen der Götter und Dämonen zu dechiffrieren suchen, bis hin zu den Märchen träumender Kinderseelen und den bloß „Tram-happerten“, die erst durch einen bösen Schock zum realen Leben erweckt werden. Dabei wurde sich die Dichterin, die diesen Brückenbau mit ihrem ersten Roman geradezu mit schlafwandlerischer Sicherheit begann, immer mehr der Schwierigkeiten des Übersetzens aus der Traumund Bilderwelt in die Welt des begrifflichen Wortes bewußt Aus dieser Not dürfte die starke Hinneigung der Dichterin zur Parabel und ihren verwandten Formen zu erklären sein. Ihre besten Erzählungen und Novellen können als „metaphysische Parabeln“ aufgefaßt werden, und in ihren Romanen — zwischen ihrem Erstling und dem Gesellschaftsroman von 1964 „Figuren in Schwarz und Weiß“ stehen noch das zauberhafte Buch „Die Wildnis früher Sommer“ vom Jahre 1958 und der Erzählungsband „Die Götter reden nicht“, der 1961 erschien — finden wir eindrucksvolle Musterstücke parabolischer Erzählart, wie etwa die Parabel vom Luzi-fer, die die altjüdische Legendentradition wieder aufnimmt, nach der Christus und Luzifer Brüder gewesen sein sollen.

Jeannie Ebners beste und repräsentativste Erzählungen sind — mit Ausnahme der preisgekrönten Arbeit, „Der Königstiger“, die 1959 gesondert erschien — in dem bereits zitierten Band „Die Götter reden nicht“ zusammengefaßt. Es handelt sich dabei um fünf Erzählungen, die zusammen eine religiöse Mythen-und Seelengeschichte des Menschen ergeben. Die Chiffren Gottes sind zwar nicht für jeden zu entschlüsseln, denn sie verbergen sich eben hinter den geheimnisvollen Zeichen, Bildern und Symbolen. Der Dichter aber, der sich ihrer auf magischmystische Art zu bedienen weiß, gibt den „Zauberschlüssel“ dem Leser in die Hand. Er muß dann allerdings selbst zum Hermeneuten, zum Wortausleger, Sinn- und Zeichendeuter werden.

So ist die Inhalts- oder Stoffwelt dieser Dichterin immer die Auseinandersetzung mit dem Hintergründigen, mit dem Metaphysischen, mit dem Göttlichen. Jeannie Ebner versucht sie oft mit sehr merkwürdigen Bildern einzukreisen. Zugleich aber ist ihr Werk eine ebenso leidenschaftliche Auseinandersetzung mit der vordergründigen, sehr lebendigen Welt und deren Licht- und Schattenseiten. Den Traumwelten werden immer auch sehr körperhafte, reale Welten entgegengesetzt. Das ergibt sich schon aus ihrer Entwicklung, die sie am Beginn ihrer Laufbahn als Schriftstellerin, die um 1950 zu datieren ist, sehr launig geschildert hat:

„Als Kind war ich reich, zärtlich und voller Illusionen und Phantasien. Elfjährig liebte ich GStt ausschließlich und wolte ins Koster gehen. Mit zwölf Jahren schrieb ich mein erstes Gedicht, und das bereitete mir solche Freude, daß ich nicht mehr davon abließ und hoffe, niemals davon abzulassen. Mit sechzehn Jahren saß ich tagsüber im Büro, abends las ich Karl Marx und Rilke. Den ersteren verstand ich nicht, der zweite erweckte in mir den Wunsch, an Schwindsucht zu sterben. Aber ich war dick und rotwangig. Mit zwanzig Jahren betrieb ich ein Speditionsgeschäft, das ich ein Jahr später vernachlässigte, um an der Akademie der bildenden Künste in

Wien Bildhauerei zu erlernen. Dreißigjährig, versuchte ich erstmalig etwas in einer Zeitschrift zu publizieren. Es gelang, und die Zeitschrift ging ein. Seither lebe ich als freie Schriftstellerin, doch schreibe ich nach wie vor zu meinem Vergnügen. Ich führe Selbstgespräche. Da ich aber genau wie alle anderen Menschen lebe, denke und fühle, gibt es manchen, der mir gerne zuhört, mitredet oder widerspricht.“

Entgegen allen programmatischen Verkündigungen der Theoretiker des „nouveau roman“ oder jener, die von der „Krise der Wirklichkeit“ als einer „Krise des Romans“ reden, entwickelte diese Autorin neben ihrem „Traumstil“ auch einen sehr realistischen Erzählstil, und ihren hellwachen Sinnen entgeht nichts. Sie schaltet souverän mit den möglichen Erzahlhaltungen des auktoria-len, des Ich und des Er- oder personalen Romans, und sie würde, wie sie einmal sagte, noch weitere zwanzig Erzählhaltungen für sich in Anspruch nehmen, wenn es die „innere Form“ ihrer jeweiligen Einfälle geböte. Sie fühlt sich auktorial als allwissende Schöpferin einer Weit mit allem Recht zur Subjektivität und zweifelt sehr, daß der Schriftsteller, der Mensch überhaupt, „objektiv“ sein könne. Das gesteht sie nur wenigen exakten Wissenschaftlern zu. Sie will mit ihren Büchern Welten und Weltbilder geben. Die „objektive Welt“ und ihre Darstellung gehört heute zu den schwierigsten Problemen des Dichters. Wie oft erscheint die Welt ihnen nur noch als „Angsttraum“. Darum gehört auch dies zum mühevollen Geschäft der „Traumhäuptigen“ wie der „Tramhapper-ten“: Einen Weg aus der Welt der Angst zu finden, aus dem dunklen Reich des Bösen, das sich sehr real in dieser Welt kundgibt. Zumindest sollen sie uns den Weg suchen lehren im Sinne jener alten theologischen Einsicht daß alle Kreatur nach ihrer Erlösung seufzt.

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