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Mit den Augen der Frau

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WELT IM WIDERSCHEIN. Von Hilde Spiel. Verlag C. H. Beck, München. 297 Seiten. Preis 15.80 DM.

Wenn man auf den hinter dem Trocadero gelegenen Friedhof von Passy kommt, so bleibt man, kaum hat man das Eingangstor durchschritten, verblüfft vor einem riesigen, turmförmigen Grabmonument stehen, dessen Außenwände mit Werktiteln und Lobpreisungen beschriftet sind, während im Innern des Grabmals, vor einem Altar, ein üehn-stuhl und eine Staffelei aufgestellt sind. Vermoderte Teppiche liegen auf dem Fliesenboden und verblassende Bilder hängen an den Wänden: von dieser Art ist das Grabmal, das man Marie Bashkirtseff errichtet hat, jener einzig durch ihre Tagebücher berühmt gewordenen jungen Russin, die, sagenhaft reich, von einem kleinen Hofstaat begleitet, lebenshungrig, ehrgeizig und schwindsüchtig, in Europa herumreiste, viele Zelebritäten ihrer Zeit kannte und von sich selbst sagte: „Ein wirklich großes Talent hätte mich gerettet!“ Auf dem gleichen Friedhof, ganz hinten, fast schon an der rückwärtigen Mauer, ist das Grab Claude Debussys: das bescheidenste auf dem ganzen Totenacker, das einzige, das den Namen und den knappen Text auf der Rückseite des Steines zeigt, während dem Besucher eine schwer entzifferbare Arabeske zugekehrt ist. — Der Dilettant und der Künstler, der echte, große: man könnte sich kaum ein sinnfälligeres Symbol ausdenken, als es diese Gräber sind ...

Mit Marie Bashkirtseff beginnt Hilde Spiel die Reihe ihrer Porträts und Essays. Wobei sie neben die Berühmten auch Kunstdilettanten und Lebenskünstler stellt, die alle in ihr eine verständnisvolle, eher zur Huldigung als zur Kritik geneigte Darstellerin gefunden haben. Auf die „Drei Frühvollendeten“ (Marie Bashkirtseff, Henri Alain-Founier, der — nach 50 Jahren — die Träume der deutschen Romantiker noch einmal träumte, und Loris, der, wie in den Literaturgeschichten üblich, gegen den mittleren und den späten Hofmannsthal ausgespielt wird — der ja aber nicht nur den „Turm“ geschrieben und ein Romanfragment hinterlassen hat...) folgen drei Frauenporträts (Ciaire Sheridan, Alma Maria Mahler und Lady Diana Cooper), hierauf der Titelessay des Bandes, dessen drei Seiten man am liebsten ganz zitieren möchte: eine knappe Charakterisierung der englischen Literatur als Widerspiel des nach Ständen gegliederten und von Standesunterschieden bestimmten englischen Lebens. Den Hauptteil des Buches bilden Essays über englische Schriftsteller und Dichter der letzten 50 Jahre, bekannter (wie Maugham, Priestley, Lawrence, Dylon Thomas, Virginia Woolf, Shaw, der älteren Blake und Byron) und auf dem Kontinent weniger bekannter. Den Beschluß bilden eine kleine österreichische Literaturfibel mit einer Reihe treffender Charakteristiken und drei Einzelporträts zeitgenössischer österreichischer Schriftsteller: Egon Friedell, Lernet-Holenia und Heimito von Doderer — jeder von ihnen nicht nur in seiner künstlerischen Leistung, sondern auch als Mensch, als Persönlichkeit mit psychologischem Einfühlungsvermögen erfaßt und brillant dargestellt. — So erfährt der Leser durch die Autorin, die als eine der bestinformierten Mittlerinnen englischen Geisteslebens bekannt ist, auch über seine eigenen Landsleute allerlei Interessantes und Aufschlußreiches, das mit solcher Offenheit und Frische in den eigenen vier Wänden kaum je ausgesprochen wird.

DER SCHWERPUNKT. Von Luise Rfnser. S.-Fischer-Verlag. 212 Seiten. Preis 12.80 DM.

Auch dieser Band enthält Essays und Studien zur neueren deutschen und österreichischen Literatur. Von Annette Kolb zeichnet die bekannte Autorin ein ebenso treffendes wie psychologisch fundiertes Porträt. Annette Kolb, die sich in ihrem „Exemplar“ selbst als ein Original gekennzeichnet hat, steht überall „dazwischen“: in der Münchner Gesellschaft, mit ihrer Katholizität, die durch alle möglichen Proteste und Revolten durchsetzt ist, schließlich als unverheiratete Frau, die ständig zwischen „Verliebtheit“ und „Distanz“ hin und her gerissen wird. Dann steht da der Schlüsselsatr: „Zum Schreiben drängt sie nicht das Talent, sondern ihre Meinungen, und darin liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeiten.“ Das trifft nicht nur für Annette Kolb, sondern in gewissem Sinn auch für Luise Rinser zu. Souverän und einfühlsam ist die Beschreibung des Phänomens Franz Werfel mit seinen Komponenten von großem Talent, Verstand und Gefühl, Kunst und Kitsch, Politik und Religion, Spannungen, die sich im gesamten Werk Werfeis ebenso spiegeln wie in seiner Sprache. — Carl Zuckmayer sagt Luise Rinser auf den Kopf zu, daß sein eigentliches Wunschbild das des Teufelsgenerals Harras ist, und die Definition Zuckmayers als eines „Mannsbildes“ und Naturtalents konnte so treffend vielleicht nur von einer Frau gefunden werden. — Von stärksten, unausgeglichenen Spannungen erfüllt sind Persönlichkeit und dichterisches Werk der Elisabeth Langässer, deren dunkle, unheimliche Seiten ebenso ausgeleuchtet werden, wie das große Talent seine Würdigung findet: die übergebildete Schulmeisterin, die dilettierende Theologin, die „erfahrene“ Frau, die Mystikerin, die Einsiedlerin und die Intellektuelle, Mutter, Nonne und Magierin — all das wird, trotz eines gefährlichen Triebes zur Zerstörung, zusammengehalten von dem, was die Langässer „Glauben“ und „Gnade“ nennt.

Mehr als die Hälfte des Bandes nimmt eine Studie über Bertolt Brecht ein (S. 99 bis 212). Hier erweist die Autorin ihren bedeutenden Rang. Bei aller Wertschätzung des Künstlers B. B. wird der Parteimann und Propagandist Brecht scharf unter die Lupe genommen: seine Widersprüche, seine Problematik, vor allem aber die „falsche Wahrheit“, auf die er — angeblich auf dem Weg über das reine, vorurteilslose Denken — gekommen ist und die er mit allen Mitteln seiner raffinierten Kunst propagiert. Im Brechtschen Werk findet sich kein einziger „geistiger Held“, und die als solche angelegt scheinen, widerrufen: vom kleinen Genossen bis zu Galilei. „Brecht sieht das Leben mit der Anteilnahme eines geduldigen, aber wachsamen und strengen Lehrers, der von Zeit zu Zeit ein Exempel statuieren muß, wobei er, die Rolle des Lehrers überschreitend, jene des Richters sich zulegt.“ Brecht propagiert den Musterkommunisten, den leicht Gehorchenden, Veränderlichen, in jeder neuen Lage neu Nachdenkenden. Gehorsam war Brecht selbst allzusehr, ohne sich zu ändern hat er seine Stücke geändert, wenn es ihm befohlen wurde, und das Nachdenken in neuer Lage hat er sich abgewöhnt.

ALLES, WAS ICH WILL - IST ALLES. Von

Marion M i 11 - P r e m i n g e r. Mit zahlreichen Bildbeigaben. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 342 Seiten. Preis 99 S.

Den Namen „Marion Mill“ bekam die junge Frau, di£ damals Maria Rieder hieß, von Max Reinhardt af? Künstlernamen. Das war in den zwanziger Jahren, als sie, mit ihrer schlanken Modefigur, ohne Hüften, mit langen Armen und Beinen, das von dem großen Regisseur für eines seiner Stücke benötigte Schönheitsideal verkörperte. Diese junge, ehrgeizige Frau, die aus der ungarischen Gentry kam, hatte zwar als Schauspielerin keinen Erfolg (eigentlich erstaunlich!), aber dafür um so größeren als Glamour-Girl, Photomodell von Kitty Hoffmann und Favoritin des New-Yorker Modekönigs Fred Frederics. Den Regisseur Otto Preminger, ihren späteren Mann, lernte sie kennen, als sie den studierten Dr. jur. gleichen Namens in Sache einer Klage wegen Vertragsbruchs konsultierte. — In New York und in Hollywood hatte sie ihre glänzendste Zeit. Ihre Eleganz, ihr Reichtum und ihr Charme trugen ihr den Ruf der „Frau mit dem Eine-Million-Dollar-Lächeln“ ein. Es mag auch so gewesen sein, daß dies berühmte Lächeln ihr zu Reichtum und damit auch zu Eleganz ver-holfen hat. Das ist bei der Lektüre dieser Lebenserinnerungen (die Grete Friedmann recht flott ins Deutsche übersetzt hat) nicht genau festzustellen. Jedenfalls übte sie auf eine ganze Reihe berühmter Zeitgenossen, Männer und Frauen, e..ie große Anziehungskraft aus, und der Namenskatalog ihrer Freunde ist recht stattlich: Thornton Wilder, Gabriele Mistral, die Zuckmayers, Salvador Dali und zuletzt Dr. Albert Schweitzer.

Nachdem Marion Preminger nämlich in Paris, in Cannes, in Hollywood, in Lissabon und in anderen Zentren europäischer und amerikanischer Eleganz gelebt hat, macht sie — von einem Bild und einem Buch angeregt — die Bekanntschaft Dr. Schweitzers, für dessen Werk sie von nun an wirbt und den sie immer wieder in Lambarene aufsucht. („Nach seinem Hund bin ich Albert Schweitzers Neueste Anhängerin“, steht unter einem der hübschen Bilder, mit denen dieses amüsante Buch ausgestattet ist.) Marion Preminger plaudert über sich und die große Welt, und da es ihr weder an Selbsterkenntnis noch an Selbstironie fehlt, sind ihre Erinnerungen auch sympathisch. („Andere Menschen werden erwachsen. Ich habe statt dessen geheiratet“) Man wird auch nachdenklich, wenn diese mondäne Frau mit dem Eine-Mülion-Dollar-Lächeln sagt, daß sie nach ihres Vaters Tod nicht eine innerlich wirklich frohe Stunde gehabt habe. Und auch die letzten Seiten dieses Buches, die über ihre zahlreichen Afrikareisen berichten und in denen sie von Pere Foucauld erzählt, jenem französischen Offizier Charles de Foucauld. der als Trappist im Hoggar von Tuaregs ermordet wurde, klingen ehrlich und lösen auch im Leser Ergriffenheit aus.

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