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Digital In Arbeit

Mit den Wölfen heulen

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Im allgemeinen sei dieser Abschnitt mit der Feststellung beschlossen, daß dem „Riecher“ des Chefs folgend der Mitarbeiterkreis und damit der Blattraum des Lokalteiles, des Sports, des Films, bei Großprozessen auch des Gerichtes grundsätzlich größer war als derjenige anderer Sparten. Wir mußten, offen gesagt, manchmal mit den Wölfen heulen, um am Platz konkurrenzfähig zu bleiben, ohne uns natürlich dabei weltanschaulich etwas zu vergeben. Die Zeiten ändern sich freilich. Es ist heute einfach unvorstellbar, in einer Zeitung 6 bis 12 von 10 Seiten einem Mord oder einem „Lainzer Prozeß“ zu widmen, worüber man sich in unseren Kreisen wohl grundsätzlich freuen darf. Die Polizei sieht diese Entwicklung freilich mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn die große Ausbreitung einer Lokalsensation und die Eigenberichterstattung der Zeitungsreporter, die den vagesten Spuren nachschnüffelten, haben ihr oft wertvolle Spuren geliefert. So hat eben jedes Ding zwei Seiten.

Keine Ware ohne Werbung

Es ist im Zeitalter einer Prosperity nicht schwer, der Werbung in allen Formen eine, wenn nicht die entscheidende, Mitwirkung am Absatz einer Ware zuzuschreiben. Auch die Zeitung ist eine Ware, die durch Werbung an den Mann gebracht werden muß.

Chefredakteur Mailler und seine Werbeabteilung haben diese Kraft

Vgl. „Die Furche" Nr. 4 und 5/1968

und Macht der Publicity früh erkannt — zu einer Zeit düsterer Wirtschaftsflaute und allerschärfster Pressekonkurrenz. Es ist fast unglaublich, wenn man sich heute in Erinnerung ruft, was das „Kleine Volksblatt“ in den zwanziger und dreißiger Jahren, den mehr als sieben mageren Jahren der österreichischen Wirtschaft, auf diesem Gebiete geleistet hat. Ohne diese Werbung hätte das Blatt, das muß rundheraus gesagt werden, die inneren und äußeren Krisen der Zeit und des Betriebes nicht überlebt.

Der heutige Werbeleiter Otto Mangold, der mit anderen unter der Leitung Dr. Richard Soukups besonders Intensiv werbend tätig war, hat darüber eine eingehende, nicht weniger als 25 Maschlnschriftseiten umfassende Dokumentation verfaßt. Er erinnert darin an die nicht weiter erstaunliche Tatsache, daß die Werbung natürlich schon vor dem Erscheinen des Blattes einsetzte, was besonders im Norden und Nordosten Niederösterreichs Sorgen machte, aber von ihm erfolgreich gemeistert werden konnte.

Anfang: mit Wasser kochen

„Geworben wurde", meint er, „sehr früh, aber man kochte noch mit Wasser, und es gab noch keine eigene Werbeabteilung. Man beobachtete gewissenhaft Versammlungstermine, registrierte Daten von Kirchen- und Fahnenweihen und beschickte sie mit Werbeschriften- verteilem und Kolporteuren. Aber alles nur neben unserem eigentlichen Arbeitsgebiet beim Verlag und mit Unterstützung externer freiwilliger Mitarbeiter, die wir kaum nennens wert entlohnen konnten. So zum Beispiel Karl Liko, dessen sympathisches Wesen und seine Art als Vortragskünstler sehr willkommen war. Er fungierte in hunderten Versammlungen als Sprecher des Appells, ,Die gute Zeitung'. Wir sondierten die Ambitionen unseres Leserkreises durch Veranstaltung von Kunstführungen, um die sich besonders Doktor Gottfried Strohschneider sehr verdient gemacht hat, wir testeten durch Hausfrauennachmittage und Autobusfahrten (beides war Anfang der dreißiger Jahre noch etwas Neuartiges), womit man gleichzeitig bestrebt war, das Blatt mit seinen Lesern in eine Art Volksblattfamilie zu bringen. Man aktivierte die Arbeit von Abonnentenwerbern durch Kontakte mit christlichen Bürgermeistern und Pfarrämtern. Wir suchten Verbindung zur jungen Generation, den Reichsbündlern und Pfadfindern. Ja sogar die Jüngsten wurden nicht vergessen, denn unser Freund Liko zog mit einem kleinen Team und seinem Kasperltheater kreuz und quer durch Wien und in wochenlangen Blattourneen durch Niederösterreich. Allerdings waren wir verhalten, die Kosten für unsere Werbung paradoxerweise — durch Werbung hereinzubringen. Wir holten sie uns bei den Umworbenen, den Besuchern und Besucherinnen der Hausfrauennachmittage bei den Führungen, Leserfahrten Kinderfesten und Kasperltheatertourneen durch Eintrittsgelder. Diese Situation änderte sich gottlob, all die bisher selbständige ,Volksblatt'- Verwaltung in der Bandgasse mi\ der Gesamtleitung des Herold-Verlages zusammengelegt wurde. Sc konnte Dr. Richard Soukup ursprünglich als Verwaltungsdirektor für das ,Volksblatt' bestellt, vor verwaltungstechnischen Aufgaber entlastet werden und sich ganz dei Organisation einer richtigen Werbeabteilung widmen. So konnten etwc jetzt den Zug der Bauern von Parlament zur NordwestbahnhalU vor hunderttausend Zuschauern an Ring und in der Praterstraßi 50 ,Volksblatt'-Standarten, von Pfadfindern getragen, begleiten. Werbesprüche über Lautsprecher und dei Rundfunk ertönten, während tausende Hände nach,Volksblatt'-Werbeexemplaren griffen, die von Mädchei verteilt wurden. Ähnlich, aber vielleicht noch wirksamer, war unsei Einsatz beim Katholikentag 1933 Wir ließen unter anderem unter den Jubel von Zehntausenden auf dei Tribünen des Stadions als völlige Neuheit an großen Luftballon bündeln zehn Meter lange und dre Meter hohe Leinenplakate mit den ,Volksblatt'-Kopf steigen. Am glei chen Tag waren im weiten Rund de Trabrennplatzes bei einer große 1 Kundgebung, bei der Bundeskanzle Dr. Dollfuß sprach, hundert Pfadfin der postiert, die auf ein Kommandi nach der Rede des Kanzlers groß Einzelballons, an denen ,Volks blätter' und Gutscheine auf eil Freiabonnement für den Finde angebracht waren, steigen ließen Schon wenige Tage später käme: viele dieser Gutscheine zum Groß teil aus Niederösterreich, aber aud einige aus der CSSR und aus Ungari zu uns zurück."

Reisen und Flugblätter

Ein Titelbild des „Kleinen Volks blattes“ ermöglichte die Werbuni auf dem Weg des Fackelläufer durch Österreich bei der Olympiad 1936 in Berlin. Eine Fahrt 1937 zu Internationalen Presseausstellung ii Rom mit Sonderaudienz beim Heili gen Vater und anschließende: Kreuzfahrten im Mittelmeer mi Landungen in Athen, Rhodos, Tri polis und Neapel bildete die Krö nung der zahlreichen „Volksblatt“ Reisen, die Zuzug — und bis heut Nachahmung fanden. Ein vierseitige Flugblatt mit Bildern der brennen den Rotunde 1937 fand nicht wenige als 20.000 Käufer auf der Straße.

Die eigentliche Werbung flni natürlich schon beim Start des Blat tes mit dem Rätselraten über dei Inhalt eines Schaffes mit Ein groschenstücken und mit einen Würfel von 1 kg reinem Gold ar Es folgten ein Wettgehen der Sieb zigjährigen im Prater, die Suche nach dem Urwiener, die von zehntausenden Schaulustigen begleitete Grinzinger Hochzeit, Beteilungen von braven kinderreichen Familien in allen Bundesländern, Besuche von Damen in „Volksblatt“-Ballkleidern auf Faschingsveranstaltungen, eine Landbriefträgeraktion, Werbefahrten mit einem Ponygespann bei Jugend- und Sportveranstaltungen, die Aktion „Jedem Christkindl ein Christkind“, Ski- und Schwimmkurse, Filmvorführungen, eine höchst erfolgreiche Zwillingsparade am Schafberg und die besonders populären H ausf rauennaehmiittage.

Reiche Firmung der Armen

Große Verdienste erwarben sich Werbeabteilung und Redakteur Richard Quapil (heute Regierungsrat, Direktor i. R. des österreichischen Sporttotos) durch die Aufbietung von politischen Persönlichkeiten oder ihren Frauen als Firm- paiten beziehungsweise -paitiinnen. Kinder armer Leute (so etwas gab es lamais!), meist ein oder zwei Dut- :end wurden unter der Stabführung 2uapils von Kopf bis Fuß neu einge- deidet, frisch gewaschen, geschneuzt and frisiert, in aufsehenerregenden Autokolonnen unter Polizeibegleitung in den Stephansdom geführt, wo sie in besonders feierlichem und würdigem Rahmen das heilige Sakrament der Firmung empfingen. Altem Wiener Brauche folgend wurde darnach auch nicht auf eina dem religiösen Ereignis noch anhängige Form des Vergnügens, auf reichliches Essen und Trinken, nicht vergessen, im Prater besonders beim Kadermann, im Bockkeller, auf dem Kahlenberg usw. Daß sich die hohen Paten mit wertvollen Erinnerungsgeschenken nicht lumpen ließen, versteht sich von selbst.

Alle diese Veranstaltungen trugen reichlich Früchte. Die berühmte Mundpropaganda trug den Namen des Blattes herum — wer zählt die Abnehmer, Leser und treuen Freunde, die dem Blatt damit geworben wurden!

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