„Mit der ganzen Liebe im Gepäck“

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Wer Gedichte zu lesen als schwierig empfindet, hat vielleicht zuviele Kriterien im Kopf. Die Lyrikerin Kerstin Hensel plädiert für einen verspielten und leichten Zugang.

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Wer Gedichte zu lesen als schwierig empfindet, hat vielleicht zuviele Kriterien im Kopf. Die Lyrikerin Kerstin Hensel plädiert für einen verspielten und leichten Zugang.

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Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit Lyrik: als Autorin von Gedichten, in Schulen, als Leiterin von Lehrerfortbildungsseminaren und Schreibwerkstätten und als Poetikdozentin an Universitäten. Seit 2001 ist Kerstin Hensel Professorin für Deutsche Verssprache und Diktion an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" und 2015 wurde sie in der Akademie der Künste Berlin als Stellvertretende Direktorin für die Sektion Literatur gewählt.

DIE FURCHE: Selbst literaturversierte Leser wie Lehrer oder Literaturkritiker scheinen es heute zu vermeiden, über zeitgenössische Gedichte zu sprechen oder zu schreiben. Kann das daran liegen, dass man nicht recht weiß, mit welchen Kriterien man überhaupt an Poesie herangehen soll?
Kerstin Hensel:
Ja, es ist schon ein Problem, wenn man sich fragt, mit welchen Kriterien man an Lyrik herangehen muss. Alleine dieses "muss" verdirbt einem schon jeden Spaß. Man kann natürlich gewisse Sachen lernen: Handwerk oder Metrik. Doch das ist nicht besonders sexy, wenn man so etwas nur lernt bzw. lehrt und denkt, man könne damit die Geheimnisse der Lyrik vermitteln oder gar welche schreiben. So geht es nicht. Man muss schon zunächst bei sich die Liebe zur Lyrik entdecken. Dass man diese Liebe entdecken kann, geht meiner Erfahrung nach nur durch Lesen von Dichtung. Auch dazu darf man nicht gezwungen werden, sondern man muss sie entdecken: durch Singen, Spielen, durch die Leichtigkeit dieser Formen. Dann erst kann man sich mit der ganzen Liebe im Gepäck professioneller damit beschäftigen. Da darf der Zauber nicht verloren gehen, sondern muss sich übertragen. Das ist ein ganz komplexer Sachverhalt, der übrigens für alle Künste gilt.

DIE FURCHE: Weil Sie das Singen angesprochen haben: Lesen wir zu selten laut?
Hensel:
Absolut. Das laute Lesen ist Urgrund der Lyrik überhaupt. Vor dem Schriftlichen war das Singen, der Rhythmus, das Gebet. Es ist auch nicht so, dass heute keine Lyrik laut gelesen wird. Ich denke zum Beispiel an Spoken Poetry, das ist eine mündliche Form und sie bezieht ihren Reiz aus dem Vortrag, der Performance.

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