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Mit doppeltem Boden

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Ebensowenig wie Firandello, dessen Vaterschaft zur moderneu Dramatik immer deutlicher erkennbar wird, glaubt der heute etwas über dreißig) ährige Engländer Harold P i n t e r an jene absolute Wahrheit, die sich folgerichtig in den dreidimensionalen Bühnenraum, der ja einst eigens zu ihrer Darstellung geschaffen wurde, übertragen ließe. Er schreibt „Es gibt keine klare Trennungslinie zwischen dem, was wirklich ist, und dem, was unwirklich, und zwischen dem, was wahr, und zwischen dem, was falsch ist.“ Das Merkwürdige ist nur, daß er seine Werke dennoch im dreidimensionalen Raum ansiedelt. Er will diesen auch nicht symbolisch verstanden wissen. Es ist kein „besonderes“ Zimmer, in dem das Brüderpaar Mick und Aston haust, wie etwa der Dachboden der Familie Ekdal in der „Wildente“. Und es ist auch kein Strindbergscher „Fremder“ oder von Priest-ley ersonnener „Inspektor“, den der eine der beiden Brüder plötzlich in diese Welt mitbringt. Es ist ein sehr konkreter, mit greifbaren Schuhen versehener, riechender und schnarchender Strolch, der hier die groteske Illusionsrolle eines Hausmeisters (eines caretaker — „Sorgeträgers“) spielen soll. Und ganz entfernt ist es auch ein sehr konkretes Land, in dem das alles spielt. England 1960. Der gänzlich herabgekommene Mann der „unteren Mittelklassen“ mit seinem ohnmächtig gallebitteren Haß gegen die „Farbigen“, die sich jetzt überall breitmachen dürfen, der Bruder aus der verlorenen Generation nach dem Kriege, der sich seinen Verschlag als Schutz vor der Wirklichkeit bauen will, und der andere Bruder, der sich in krampfige Phrasen flüchtet. („Man muß die Sache groß aufziehen!“)

Aber das Merkwürdige, das schlechthin Ergreifende ereignet sich in diesen zwei ohne rechten Handlungsablauf vorübergehenden Stunden, für die man dem Akademietheater aufrichtig Dank sagen muß, dann doch: Man erkennt die Gleichnis-haftigkeit dieses Spiels ru dritt, gerade weil es auf den Symbolismus verzichtet. „Nichts geschieht und am Ende heulst du doch“,

sagte Fontane einmal von einem seiner Romane. Eben dies trifft hier zu. Eine Grundspannung, eine Grundbefindlichkeit des heutigen Menschen ist angesprochen: seine merkwürdige Abhängigkeit von jedem inneren und äußeren Gerumpel, das sich hier (im Bühnenbild Erich Kondraks sehr naturalistisch konterfeit) in den Dingen wie in der Figur des „Hausmeisters“ abbildet, und die schließliche Loslösung in einem erlösend empfundenen Akt des Entschlusses. Helmuth M a t i a s e k nahm sich dieses bedeutenden Stückes trotz seiner plumpen Verdeutschung (Willy H. Thiem) an, als ob es ein Original sei. Uns schien Alexander Trojan in seiner Verhaltenheit dem Stil Pinters näher zu sein als der virtuos spielende, aber um eine Spur zu konturenreiche und überdeutliche Günther H a e n e 1 in deT Titelrolle. Peter B r o g 1 & gab dem jüngeren, brutal-selbstverliebten Bruder vor allem die Rasanz seiner Bewegungen.

Ob wir uns wegen der da und dort attestierten „Lachstürme“ bei der Aufführung von Paul O s b o r n s Lustspiel „Erinnerst du dich?“ im Theater im Zentrum genieren sollen, oder nicht, können wir kaum entscheiden. Wir lachten nämlich kaum. Das Stück selbst ist eine jener Komödien, die in den dreißiger lahren jene uns heute legendär erscheinenden Erfolge erzielten, die sich heute nicht mehr recht einstellen wollen. Das Geheimnis liegt im Fehlen eines bestimmten Schauspielerstils, der auszusterben scheint: des charmanten Blödlers und seines weiblichen Gegenstücks. Solche Leute hätten uns diese reichlich plump erzählte Familiengeschichte über ersehnte und noch nicht oder schon nicht mehr realisierte Liebesabenteuer wahrscheinlich so serviert, daß wir sie für Molnar gehalten hätten. Heute geht das nicht mehr recht und schon gar nicht bei den zum Teil mit Ambitionen bemühten Schauspielern, die Josef K r a s 11 in eine entsprechende Atmosphäre zu bringen suchte. Es blieb diesmal leider beim Wollen.

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