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Digital In Arbeit

Mit Kokarde und Psychologie

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NÄCHTLICHE VERFOLGUNGSJAGD durch ausgestorbene Straßen, kreischende Bremsen, die Kriminalbeamtin lenkt mit der einen Hand und bringt mit der anderen die Pistole in Anschlag …

Oder sie hat sich als Lockvogel in das Hauptquartier der Rauschgiftschmuggler gewagt, wurde erkannt, nun sitzt sie gefesselt auf einem Stuhl, und der Bandenchef hält ihr das Messer an die Kehle …

Ja, derlei kommt vor — in Schundheften und gewissen Filmen. Die Wirklichkeit sieht auch in jenen Ländern, aus denen derartige Erzeugnisse kommen, wesentlich anders aus. Mit dem Alltag der österreichischen Kriminalbeamtin haben sie schon gar nichts zu tun. Die Arbeit jener vierunddreißig Damen in Zivil, die sich mit der Kokarde und dem von der Polizeidirektion Wien ausgestellten Dienstausweis legitimieren können und ihren männlichen Kollegen dienstrechtlich völlig gleichgestellt sind, ist nicht so photogen.

Die Kriminalbeamtin wird bei uns immer dann herangezogen, wenn Burschen unter 14 oder Mädchen unter 18 mit der Polizei zu tun bekommen oder wenn Dinge zu erörtern sind, über die es sich von Frau zu Frau leichter spricht.

Ihre vornehmste Aufgabe jedoch ist es nicht, die Gesetzesbrecher von heute zu fangen oder zu vernehmen -» sie ist vielmehr in einem viel größeren Ausmaß als ihr männlicher Kollege berufen und imstande, die potentiellen Verbrecher von morgen aufzuspüren und vor dem Rutsch auf der schiefen Bahn zu bewahren, denn Vorbeugen ist besser als Einsperren. Die Kriminalbeamtin benötigt demnach für ihre Arbeit keine Pistole, dafür um so gründlichere Kenntnisse in der Psvcholoeie.

IM ZEICHEN DES ALLGEMEINEN PERSONALMANGELS ist leider auch der weibliche Kriminalbeamte zur Mangelware geworden. Aus diesem Grund ist man geneigt, Bewerberinnen entgegenzukommen: Obwohl die untere Grenze für die Aufnahme in das Kriminalbeamtinnenkorps mit 23 Jahren festgelegt wurde, ist das jüngste Mitglied, Fräulein Benjamin sozusagen, erst 21 Jahre alt. Wichtiger ist jedenfalls die Mindestgröße von 163 Zentimetern, möglicherweise auch die Bestimmung, daß die Kandidatin bei ihrem Eintritt in den Polizeidienst nicht verheiratet sein darf. Absolute Voraussetzung für die Aufnahme jedoch ist das Zeugnis der Wiener Fürsorgeschule, deren Absolventinnen . in zwei Jähren intensiver Schulung eine gründliche theoretische Ausbildung in Psychologie, Psychiatrie, Pädagogik, Gesetzeskunde usw. und erste praktische Erfahrungen mitbekommen haben.

Hingegen braucht, wer Kriminalbeamtin werden möchte, keinen Krimi-

nälroman gelesen und keinen Praterbudenschießpreis gewonnen zu haben. Die Kriminalromane, deren Entstehung man im Polizeidienst miterlebt, folgen meistens ohnehin ganz anderen Gesetzen als die geschriebenen. Dafür muß die Kandidatin, die auf Grund ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung im Jugendamt einer österreichischen Stadt oder in irgendeiner anderen öffentlich-sozialen Institution sofort mit der Arbeit beginnen könnte, bei der Polizei noch einmal auf die Schulbank. Und dort lernt sie im Kreise ihrer künftigen Kollegen alles, was ein Kriminalbeamter wissen und können muß. Und erst nach bestandener Definitivprüfung wird die Aufnahme in den Polizeidienst endgültig.

Zu den Dingen, die ein Kriminalist können muß, gehört — übrigens und nun einmal — auch der Umgang mit der Pistole. Auch für die Frau. Und obwohl die Kriminalbeamtinnen — allerdings auf eigenen Wunsch — nicht bewaffnet sind, müssen sie von Zeit zu Zeit zeigen, daß sie das Gelernte nicht vergessen haben und auf dem Schießstand erscheinen. Und dort: Spöttische Blicke von den Herren der Schöpfung? Bestimmt nicht, seit Frau Revierinspektor Kainz vor einiger Zeit einen für den besten Schützen eines

Polizeilehrganges gestifteten Pokal nach Hause tragen konnte.

UND DIE PRAKTISCHE ARBEIT — wie sieht sie aus? Verhöre mit gestrauchelten jungen Frauen. Streifendienst durch das nächtliche Wien, zusammen mit männlichen Kollegen. Bereitschaftsdienst. Lange Gespräche mit Eltern, die nicht einsehen, daß sie Erziehungsfehler gemacht haben, Bescheide zur Einweisung in Erziehungsheime. Langwierige Recherchen — irgendwo in einem Wiener Bezirk treibt sich ein kleiner Bub herum und stiehlt kleinen Mädchen Kämme oder nimmt ihnen einen Schilling weg. Er wird gestellt. Es war höchste Zeit — er hat schon ein paar Altersgenossen um sich geschart und zu Schrebergarteneinbrüchen angespornt. In einem Jahr hätte es für einige junge Menschen zu spät sein können. Eine Hausgehilfin, primitives Mädchen mit trüber Lebensgeschichte, hat Schmuck gestohlen und geschickt den Hausmeister in Verdacht gebracht. Hausdurchsuchung. Ein Brillantring findet sich in der Hautcreme. Vernehmung einer Zehnjährigen: Überfallen, vergewaltigt … glücklicherweise nur ein Märchen, chaotischer Jungmädchenphantasie und vielleicht auch allzu früher Zeitungslektüre entsprungen.

Überhaupt die Vernehmung von Kindern … Kein Erwachsener kann so verstockt schweigen. Und kein geltungssüchtiger Erwachsener kann solche Raubersgeschichten erfinden, um Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein.

Und das traurigste Kapitel: Kinder als Randfiguren tragischer Ereignisse. Als Zeugen, wenn der Vater die Mutter erschlagen hat oder wenn die Polizei beide mitnehmen mußte, oder, oder, oder … Langsames Auftauen. Dann zum Kern der Sache. Und dann wieder das Gespräch zurücklenken zu den Spielsachen, bei denen es seinen Anfang genommen hat — das Kind, dessen schreckliche Erinnerungen noch einmal aufgewühlt wurden, soll doch beruhigt nach Hause gehen.

Wenn Kinder vernommen werden, muß man auf das Protokoll besondere Sorgfalt verwenden. Bis zur Gerichtsverhandlung kann es Monate dauern. Bis dahin kann manches aus dem Gedächtnis des minderjährigen Zeugen entschwunden sein, denn Kinder vergessen schnell. Vielleicht kann man sich bei der Verhandlung überhaupt mit dem Protokoll begnügen und dem Kind das Erlebnis der öffentlichen Aussage ersparen… Vor dem Krieg wurde von dieser Möglichkeit aller dings weitaus öfter Gebrauch gemacht als heute. Dabei gab es vor dem Krieg noch gar keine weiblichen Kriminalbeamten. Damals gab es Frauen nur in der sogenannten Polizeifürsorge, aus der das Korps der weiblichen Kriminalbeamten vor nunmehr zehn Jahren hervorgegangen ist. Viele heutige Kriminalbeamtinnen, so auch Frau Oberinspektor Bianca Heß, die Beamtin mit der längsten Erfahrung und dem höchsten Dienstrang, kommen noch aus der Polizeifürsorge.

„WAS HAST DU IN DEINER TASCHE?“

Der kleine, so sechs, sieben Jahre alte Bub schweigt verstockt. Aber die Kriminalbeamtin läßt nicht locker: „Was hast du in der Tasche?“

„Nichts!“

„Zeig es uns! Ich weiß, daß du etwas in der Tasche hast.“

„Ihr nehmt es mir weg!“

„Nein, wir nehmen’s nicht weg.“

„Versprochen?"

„Versprochen.“

Ein funkelnagelneues kleines Spielzeugauto kommt zum Vorschein. Die Beamtinnen sind sicher, daß es aus einem Geschäftseinbruch stammt. Der Bub, ein etwas zurückgebliebenes Kind, kennt die Einbrecher. Aber wie soll man den Beweis dafür erbringen? Wie bringt man den Buben zum Sprechen?

„Wo hast du das Auto her?"

Schweigen. Die Frage wird mit Nachdruck wiederholt.

„Ich hab’s gefunden!"

„Du mußt uns die Wahrheit sagen. Wo hast du das Auto her?“

„Gefunden!“

So ist nicht weiterzukommen. Das Auto wird auf den Schreibtisch der Polizeistube gestellt und mit dem Finger ein Stück vorwärtsgeschoben.

„Ein schönes Auto. Und wie gut es fährt!“

Die Augen des Kleinen leuchten. Die Finger zucken.

„Spiel ruhig damit. Wir tun dir nichts!“

Zaghaft greift der Knirps zu. Schiebt das Spielzeugauto ebenfalls ein Stück vorwärts. Die Beamtinnen geben Anregungen: „Jetzt fährt es geradeaus. Und jetzt lenken wir es um lie Ecke, ja? Jetzt muß es warten. Rotes Licht. Und jetzt geht’s weiter!"

Der Uhrzeiger rückt langsam weiter. Die Zeit vergeht. Aber mit Kindern muß man vor allem Geduld haben …

„Wo fährt das Auto jetzt hin?“

„Zur Oper!“

„Und jetzt?“

„In den Wurstelprater!“

„Und jetzt lassen wir es nach Hause fahren, gelt?“

„Ja!“

„Wo ist denn seine Garage?"

„In der Nußdorfer Straße!“

Die Kriminalbeamtin muß ihre Stimme beherrschen damit sie harmlos klingt, nicht anders als bisher:

„Wo in der Nußdorfer Straße?“

„No, in der Auslage!"

Die „Garage“ ist die aufgebrochene Auslage jenes Geschäftes in der Nußdorfer Straße, das von einer Bande halbwüchsiger Einbrecher heimgesucht wurde. Der Bub hat sich verplappert. Die weitere Arbeit ist nicht mehr so schwer. Er sieht sich ertappt und erzählt weinend, was er weiß.

Der Fall hat sich wirklich so zugetragen. Ein Beispiel für die Arbeit der weiblichen Kriminalbeamten; ein Beispiel für ein Stück Polizeiarbeit, das nur eine Frau leisten konnte.

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