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Peter Strassers philosophische Auseinandersetzungen mit der Gehirnforschung und dem Bewusstsein, mit der Gültigkeit von Werten und dem "Profiler", der das Monster verstehen will, um anderen eine Falle stellen zu können.

Der mystisch Entrückte tritt aus seinem Körper. Er wird in ein Rohr hineingesogen und nach oben geschossen. Durch das Fegfeuer hindurch geht seine Jenseitsreise weiter, bis ihn gleißendes Licht empfängt und ihm die Schau ermöglicht: Flügelputzende Engel, saftige Weiden mit grasenden Schafen und ihren bimmelnden Glöckchen. Gerade als der Myste unter der einsamen Seligkeit zu leiden beginnt, stößt er auf Petrus, der sich anschickt, ihm das Himmelstor - sein ganz persönliches, wie er betont - zu öffnen. Während der dreifachen Drehung des großen Schlüssels schießen unserem Mysten unsägliche Gedanken durch den Kopf: von Parmenides und dessen Fahrt zur Wahrheit, von bohrender Einsamkeit dort oben, gar vom Argwohn, es könnte sich um Teuflisches handeln - und er unterbricht seine mystische Entrückung kurzerhand, um geborgen im heimischen Bett zu erwachen.

Mit diesem unromantischen Kanonenschuss schildert der Autor seine eigene Himmelfahrt, die man - Peter Strasser erfreut sich ja, hoffentlich auch noch beim Erscheinen dieser Rezension, bester Gesundheit - wieder einmal nicht für bare Münze nehmen darf. Freilich geht es Strasser darum auch gar nicht, sondern das Nachdenken über das Leben nach dem Tod dient der Orientierung um das Menschsein, das Ich und die Person und der damit gegebenen Legitimität der Selbstsuche als Sinn des Lebens.

Primat des Bewusstseins

Strasser setzt in dem vielstimmigen Chor, der sich gegen den neuerdings wieder selbstbewusst auftretenden Naturalismus zur Wehr setzt, einen besonderen Akzent. Die aus der Philosophiegeschichte vertraute Strömung möchte in immer wieder neuen, methodisch angeblich fortgeschritteneren Anläufen das menschliche Bewusstsein von den physiologischen Grundlagen her erklären. Warum diese Geschichte so viele Emotionen hervorruft, hat mit den vielfältigen Konsequenzen zu tun. Nicht zuletzt steht die Willensfreiheit zur Disposition und ohne sie ist weder über ethische, noch über kriminologische Fragen zu rechten. Insofern entzünden sich alle drei in jüngster Zeit erschienenen Bücher Strassers an diesem Brennpunkt. Sein Räsonieren über ein Leben nach dem Tod ist daher in erster Linie eine Auseinandersetzung mit der Gehirnforschung. In einem anregenden Gespräch des Autors mit seinem eigenen Gehirn muss diesem schließlich der Hirnforscher beispringen, um Strassers Überzeugung abzuwehren, dass eine materielle Codierung niemals die Bedeutung ist, die sie codiert. Es führt kein Weg von den Gegebenheiten des Gehirns zu denen des Bewusstseins. Damit soll jedoch andererseits auch keinem Idealismus das Wort geredet und das Bewusstsein womöglich als eigene Entität aufgefasst werden. Nur kein (antimoderner) Reduktionismus des Kritikers, scheint Strassers Devise zu lauten, und so beschränkt er sich angesichts der zwangsläufigen Zirkularität des Materialismus auf "gute Gründe" für den Primat des Bewusstseins gegenüber der materiellen Basis.

Naturgemäß ist das angeschnittene Problem auch für die Ethik der Stein des Anstoßes und auf dem Hintergrund des im ersten Buch freigelegten Terrains kann der Autor dieses Genre in Angriff nehmen. Auch hier geht es gegen scheinbar metaphysikfreie, streng säkularisierte (also fortschrittliche) Konzepte, von der naturalistischen Ethik bis zu reinen Willensethiken, aber ebenso vehement auch gegen die Meinung, Ethik sei nur ein subjektives, gar relativistisches Geschäft. Strasser pocht demgegenüber darauf, dass es Werte gibt, so genannte intrinsische Werte, die in allen möglichen Welten Gültigkeit haben. Der Philosoph wandelt hier wieder auf dem dünnen Eis eines Idealismus und allgemeiner: des Metaphysikverdachts. Die Gültigkeit erläutert er am Beispiel des Widerspruchs zwischen Werten, wie sie Menschen vor Jahrhunderten vertreten haben und solchen, die wir zu ähnlichen Fragen heute vertreten. Allein dass hier zwei Wahrheitsansprüche mit Geltung ausgezeichnet sind, reicht ihm. Die Überzeugungskraft bezieht ein solches Argument aus der Tradition des alten Antiskeptikerarguments. Wirklich überzeugt hat das freilich stets nur jene, die den Skeptizismus ohnehin ablehnen.

Auch in der Ästhetik macht der Autor eine objektive Schönheit aus, die sich in allen möglichen Welten bewährt - und diese liegt in den Dingen selbst. Das ist nach Kants Wende zum Urteil im Subjekt keine leichte Kost. Wer so unerschrocken metaphysisches Terrain touchiert, ja bisweilen erbaulich wird, tut gut, an den alten Kalauer zu denken, dass Angriff die beste Verteidigung sei.

Zersetzung der Argumente

In der Tat erinnert Strassers Zersetzung der Argumente der Gegner an Sokrates, der davon lebte, dass es die Kontrahenden ja noch schlechter machten. Aus der Sicherheit solch sokratischer Distanziertheit kann er zusammenfassende Aphorismen formulieren wie jenen, dass die christliche Vorstellung des Weiterlebens nach dem Tod die einzige Art sei, "die es lohnt, dass sie stattfindet".

Bereits 1984 hat Peter Strasser seine Streitschrift gegen die Mystifizierung des Verbrechens als Krankheit verfasst. Geschrieben wurde dieses Buch damals als späte Einmischung in die Debatte der Sechziger- und Siebzigerjahre. Die Konservativen vertraten das Modell von Schuld und Sühne und setzten damit einen freien Willen des Täters voraus. Demgegenüber etablierte sich eine fortschrittliche Meinung, die den Verbrecher als abnorm und krank klassifizierte und die Frage nach der Schuld in die Krankheit auflöste oder in die Verantwortung einer entarteten Gesellschaft delegierte. Inzwischen ist der Theorieeifer längst erlahmt, die einschlägigen Fächer der Psychologie und Soziologie haben zwischenzeitlich dem neuen Paradigma wirtschaftlicher Effizienzüberlegungen Platz gemacht. Zudem hat eine weitgehende Humanisierung im Strafvollzug manchen Extrempositionen den Wind aus den Segeln genommen. Allerdings ortet Strasser angesichts der neuen Bedrohungen der offenen, liberalen Gesellschaft von konservativer Seite ausgehend einen Abbau rechtsstaatlicher Sicherungen, vor allem in den USA und auch hier eine biologistische Welle. Dieses Szenario habe ihn zur Neuauflage motiviert.

Monster verstehen

Der Autor reibt sich exemplarisch am modischen Erfolgsmodell des Profilers. Dieser will weder resozialisieren noch therapieren, er will einzig selbst das schlimmste Monster verstehen, um anderen erfolgreich eine Falle stellen zu können. Er wird so für Strasser zu einem besonders prägnanten Symbol der reaktionären Wende.

In den auf empirischer Basis gewonnenen atavistischen Thesen Cesare Lombrosos, des Begründers der Kriminologie Ende des 19. Jahrhunderts, findet Strasser ein geeignetes Paradigma. Eine solche wissenschaftliche Kriminaltheorie sei nichts weiter als eine mythische Verklärung der archaischen Chaosordnung. Doch auch hier wäre es verfehlt, diesen Mythos nur bei rückwärtsgewandten Forschern zu vermuten. Fortschrittliche Kreise sehen in der Willensfreiheit des Menschen nämlich nichts weiter als eine metaphysische Unaufgeklärtheit. Auch dagegen stützt sich Strasser abseits von Beweisen auf einen Komplex von Evidenzen dafür, dass eine Person niemals bloß die Summe ihrer empirischen Dispositionen sei.

Strassers Auseinandersetzung mit dem naturalistischen Reduktionismus ist keine mühsame Arbeit am Detail, sie entspricht eher einer großen Geste des Kulturgeschichtlers, der lustvoll die ideengeschichtlichen Hintergründe solcher Reduktionismen offenlegt. Dazu kommt bei allem Festhalten an den Postulaten der Aufklärung seine tiefe Skepsis gegenüber einem allzu optimistischen Wissenschaftsglauben. Der wissenschaftliche Methodenpurismus sei Folge der Unbeherrschbarkeit des Erkenntnisobjekts, aber auch der Angst, im Forschen auf sich selbst zu stoßen. Diese an sich ja sympathische Position kommt doch nicht ganz ohne eine moralisierende Immunisierung aus, der nur entkommt, wer sich - hier ist vieles intelligent und kreativ auf den Kopf gestellt - zumindest ein wenig alten metaphysischen Positionen verbunden fühlt.

Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Gehirne, Computer und das wahre Selbst

Von Peter Strasser

Wilhelm Fink Verlag, München 2004

179 Seiten, kart., e 30,80

Gut in allen möglichen Welten

Der ethische Horizont

Von Peter Strasser

Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2004. 286 Seiten, kart., e 35,90

Verbrechermenschen

Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen

Von Peter Strasser

Campus Verlag, Frankfurt 2005

247 Seiten, kart., e 20,50

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