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… mit V orkriegsdiarakter gesucht

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„HERRLICHEN GARTEN für zarten Paradiesvogel! 4o/l82, modernes Weltbild, feinfühlend, Vorkriegscharakter, gut aussehend, mit Mercedes 300, sucht hübsche Dame mit Mannequinfigur für Freizeitgestaltung…”

Der Leser lacht, legt die Zeitung weg und sagt: „Ist ja toll!” Aber er vergißt, daß 95 Prozent aller Heiratsinserate Ausbünde menschlicher, nein, schon halbgöttergleicher Vollkommenheit sind. Und das Woche für Woche in jener Rubrik, in der sich Kolonne an Kolonne reiht, in denen jene Inserate stehen, von denen jedes ein besonders dringliches, originelles, persönliches Anliegen vor allen anderen behaupten möchte, den Wunsch nämlich, zu heiraten. Balkenüberschriften „Von Herz zu Herz”, „Lebenswende” oder schlicht „Eheanbahnung” verraten die mütterliche oder bürokratische Regie.

Die Heiratsanzeige feiert ihr 3000jähriges’ Jubiläum. So lange ist es nämlich her, daß der ägyptische König Rhampsinit aus etwas ungewöhnlichem Anlaß seine Tochter öffentlich ausbot. Man hatte dem reichen Pharaonen den größten Teil der Schätze aus dem Tresor entwendet. Darüber ergrimmt, ließ der Herrscher durch einen heute noch erhaltenen Aufruf bekanntmachen, daß er demjenigen seine Tochter verspreche, der ihm den frechen Dieb namhaft mache. Es ist ungewiß, ob er gefunden wurde. Die erste europäische Heiratsanzeige erschien am 19. Juli 1695 in einem Londoner Landwirtschaftsblatt. Oesterreich hat sich Zeit gelassen. Im „Wiener Journal” taucht um 1840 ein Inserat auf, in dem „ein Mann mit Aussicht auf ein gutes Gewerbe” eine Gattin sucht, die wenigstens 1500 Gulden besitzt. Dieses Beispiel machte Schule, denn im „Schwäbischen Merkur”, der in Stuttgart erschien, steht am 19. Jänner 1844 eine ähnliche Anzeige, in der ein etwas anspruchsvoller Mann von seiner zukünftigen Gattin immerhin das beträchtliche Vermögen von 5000 Gulden verlangte. Es kam Gegeftähgeböt. Die Dame bekundete, daß siš „diė-Sonstigen gewünschten Eigenschaften besitze und auch die größte Lust habe, den Freier zu erhören”. Aber der Mann war ein harter Rechner, die Dame hatte nur 4900 GuWen aufzuweisen, und so erschien sein Inserat in der folgenden Woche abermals.

Der Heiratsmarkt zeigt viele Gesichter: für den einen ist er letzter verzweifelter Ausweg, für den anderen eine Börse, auf der man mit einigem Geschick sein Glück machen kann, und für viele ein Versuchsfeld der Resignation mit unverbindlichem Einsatz. Der heiratswillige Andrang der mittleren Jahrgänge ist erstaunlich stark. Er ist bestimmt durch die Furcht vor dem Alleinsein und die Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit.

DAS ÖSTERREICHISCHE GALLUP-INSTITUT hat dieses moderne Problem der Einsamkeit unlängst auch statistisch durchleuchtet. Eine Repräsentativbefragung; die einen Querschnitt der Bevölkerung über 16 erfaßte, ergab im Gesamtdurchschnitt, daß sich rund 20 von 100 Menschen in Oesterreich einsam fühlen. Bei den älteren, den Menschen über 60, war der Prozentsatz der. Einsamen sogar rund ein Drittel. Aber auch in den Jahrgängen zwischen 16 und 29 klagten noch 15 Prozent über Einsamkeit, bei den 30- bis 49jährigen 17 und von den 50- bis 59jährigen 22 Prozent.

Die Ursachen dieser Einsamkeit formulierten die Befragten in Sätzen, die banal klingen, aber Lebenstragödien ahnen lassen. Zwei von zehn Einsamen sagten schlicht, sie hätten eben niemanden, und weitere zehn Prozent berichteten, sie seien viel allein zu Hause. Andere wieder nannten Alter oder Krankheit als Grund ihres Alleinseins, und nicht wenige alte Leute begründeten ihre Verlassenheit sehr unpathetisch mit dem Hinweis: „Weil die Kinder fort sind.” Wieviel unausgesprochene Vorwürfe gegen unsere Gesellschaft, wieviel Resignation drücken diese einfachen Sätze aus! Resignation, die bei sensiblen Naturen mitunter in Verzweiflung Umschlagen und dann zu Kurzschlußhandlungen führen kann. Wenn aber bei den jüngeren Menschen, die über ihr Alleinsein klagen, die Psychologen Mangel an Kontaktfähigkeit ins Treffen führen, dürfte dies nur zu einem Teil den Tatsachen entsprechen. Denn die Möglichkeiten, Menschen nicht / nur kennenzulernen, oondern ihnen auch menschlich näherzukommen, sind in unserer mechanisierten Gesellschaft nicht besonders zahlreich.

Die Heiratsinserate, das Florieren der Ehevermittlungsbüros, die Briefkastenrubriken mancher Zeitungen deuten ebenfalls auf dieses Problem der Einsamkeit des einzelnen in der Masse hin, das eines der wesentlichen soziologischen Kennzeichen unserer Zeit ist. Es ist auffallend, daß sich diese Frageecken der Zeitungen heutzutage sehr oft zu einer Art Ersatz-Beichtstuhl entwickelt haben. Man könnte es als Paradoxon bezeichnen, als Pointe der Entwicklung des modernen, die meisten Lebensbereiche regelnden Wohlfahrtsstaates: Redakteure müssen unversehens die Funktion eines Seelenführers ausüben. Eine Wiener Wochenzeitung mußte regelmäßige Sprechstunden ihrer Briefkastenredak- teurin einführen, weil der im Blatt vorgesehene Platz nicht ausreichte, um alle Anfragen - sie betreffen vor allem Ehe- und Erziehungsprobleme — erschöpfend zu beantworten.

In den Jahrgängen unter 50 sind heute vor allem Frauen vom Alleinsein betroffen. Es sind die Kriegerwitwen und die Unverheirateten jener Generation, aus der die Männer im Felde blieben. Frauen der Jahre zwischen 33 und 48 scheinen am häufigsten in der Rubrik „Heiratswünsche” auf. Von den 39 Heiratsinseraten in einer der letzten Sonntagsausgaben einer Wiener Tageszeitung waren nicht weniger als 17 Anzeigen von Frauen über 30, unter ihnen sechs Witwen. Das ist mehr als die Hälfte, denn zehn weitere Annoncen waren Ankündigungen von Ehevermittlungen. Unter den restlichen Anzeigen fand man zunächst einen etwas seltsamen Einzelfall — „Sehr junge und hübsche ausländische Studentin, elternlos, würde, um ihr Kunststudium beenden zu können, hochintelligenten, sehr gut situierten Herrn bis 45 heiraten” —, außerdem einen Witwer, drei sachliche Inserate von Gewerbetreibenden um 50, zwei von Männern unter 30 sowie Anzeigen, einer 23jährigen, ein ? 36jährigen und eines 42jährigen, geschiedenen- Beamten und das Inserat eines nicht näher charakterisierten Mannes, der eine „auffallend schöne Dame, 19 bis 23 Jahre, mit Mannequinfigur, aus bester Familie und mit Vermögen” suchte - eine Vorstellung von der Ehe, die offensichtlich den Produkten Hollywoods entnommen war.

Immer wieder kann man ahnen, wie sehr diese Frauen darunter leiden, ehelos geblieben zu sein. Sie bieten in der Rgel nicht nur sich selbst, sondern auch ein „gemütliches Heim”, betonen, daß sie „materiell desinteressiert” sind, und suchen — wohl ohne sich des Widerspruchs ganz bewußt zu sein — meistens einen „charaktervollen, seriösen Herrn”.

Von den Männern, die Korrespondenzinserate aufgeben, kann man das in der Regel freilich nicht sagen. Zum Unterschied von den Heiratsannoncen sind die „Korrespondenz”-Spalteii wesentlich stärker von Männern frequentiert. Dieser Inseratenteil ist vor allem das Jagdgebiet der professionellen Casanovas, der Don Juans aller Vermögens- und Altersklassen. Von den 72 Kor- tespondenzanzeigen in der erwähnten Sonntags- war mehtj als die Hälfte vop indeuti- gefri Inhalt. Da gab es zwei Herrenfahrter”, die „Damen für vergnügliche Stunden” suchten, einen 28jährigen, der einen „kleinen Flirt” an- ;trebte, einen Industriellen „mit großem Wagen”, der „für vier Wochen junge Reisebegleiterin” suchte. In einer verbreiteten Wochenzeitung ivar das Verhältnis der Korrespondenz- zu den Heiratsinseraten in einer wahllos ausgewählten.

Nummer sogar 29 zu 3! Auch hier wurden vor allem „modern denkende” Partnerinnen für Reisen, Urlaub und „diskrete Dauerfreundschaften” gesucht. Das Lockmittel war in den meisten Fällen der Wagen. Die Partnerinnen aber hatten in der Regel durchaus oberflächliche Bedingungen zu erfüllen, „tadellose Figur” zu haben, „jung”, „hübsch” und „temperamentvoll” zu sein, eventuell auch „elegant”.

ES WÄRE GEFEHLT, meinte man, daß es alle Inserenten ernst nehmen. Viele haben einen Heidenspaß daran bei dem Gedanken, hunderte von Briefen zu bekommen, Photos, Erklärungen, Lebensberichte, Beichten, Darlegungen ganz unbekannter Leute. Oder: man sucht die nettesten Photos heraus, kommt zu einer Verabredung, aber heiraten? Ach wo! Das sind die harmloseren ‘Tälle, es gißi1 auch’ Böse von Hochstaplern, Erpressern. Da erstatteten drei Personen vor einigen Jahren in einer süddeutschen Großstadt eine Anzeige gegen die Inhaberin eines Ehever- mittlungs-Institutes. Das Institut hatte mit auffallenden, oft auch gereimten Anzeigen Heiratslustige angelockt. „Ich möcht ein Sternlein werden, das deinen Weg bewacht, und still Wie Himmelssegen das Glück,zu dir gebracht”, hieß es. Oder: „Ich möchte dich begleiten, mit meinem hellsten Licht, damit es dir im Leben, niemals an Trost gebricht. Bin Bürgermeister eines romantischen Städtchens. .Die Anzeigeerstatter erhielten nun statt einer direkten Verbindung mit den jeweiligen Inserenten einen Brief des Instituts, in dem sie aufgefordert wurden, Aufnahmegebühren und Monatsbeiträge in Höhe bis zu 20 Mark zu bezahlen. Die Polizei überprüfte die anderen Angebote des Instituts und stellte fest, daß die Personalien häufig nicht der Wahrheit entsprachen. So entpuppte sich ein „hübsches, sportliches 22jähriges Mädchen mit größerem Landbesitz in Kanada, den es mit einem treuen Lebenskameraden zwischen 28 und 30 verwalten möchte”, als eine 31jährige geschiedene Frau mit Kind.

Die Heiratsanzeige, im Kern eine Selbstdarstellung, ist hochgradig stereotyp. Leitbild ist die gemäß einem sozialisierten humanistischen Bildungsideal allseitig entfaltete Persönlichkeit. Interessanterweise kristallisieren sich aber nur drei Typen heraus. Die marktkonformen Anzeigen, die körperliche und wirtschaftliche Verfassung des erwünschten Partners, lakonisch, aber eindeutig definierend (etwa: Inhaberin eines Gasthauses, Umsatz soundso viel, bietet tüchtigem Kellner Einheirat, Kapital erwünscht), die marktfremden, die das überkommene Liebesbild zur Bedingung machen (etwa: Mädchen, arm wie eine Kirchenmaus, aber mit zartem Gemüt. ..) und die dritte, kombinierte, die Angebot und Forderungen in Geldeswert ausdrückt, aber hinzufügt, daß die reine Neigung entscheide. (Beispiel: Fabrikant mit Pkw. und großem Waldbesitz in Oberösterreich bietet Einheirat, schließt aber materielle Interessen beiderseitig aus da, auch er von ihr eine ideale Auffassung der Ehe erwartet . . .) So geht es fort und fort ins Aschgraue. Immerhin, die Heiratsanzeige gehört zü unserer Gesellschaft. Sie zu kritisieren heißt nicht jammern, heißt vielmehr sie in ihrer Notwendigkeit begreifen. Nicht der, der eine Anzeięe aufgibt, soll ja kritisiert werden, sondern die Gesellschaft, die die Anzeige erst notwendig macht…

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