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Mit weniger als drei Worten

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KLARTEXT, GEDICHTE. Von Heins Piontek. Hoff mann-und-Campe-Verlag, Hamburg, 1966. S 85. — .

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KLARTEXT, GEDICHTE. Von Heins Piontek. Hoff mann-und-Campe-Verlag, Hamburg, 1966. S 85. — .

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Wenn auch der Name Piontek im offiziösen Literaturbetrieb seltener auftaucht (in dien wissenschaftlichen Arbeiten zur modernen Dichtung fehlt er nicht), so machen die Werke, die ihn tragen, ihn um so gewichtiger, die Prägung durch ihn um so nachhaltiger. Der Titel des eben erschienenen Gedichtbandes „Klartext“ mag sofort modische Assoziationen wecken, an Autoren, die nicht mehr Dichter genannt werden wollen, da sie nur Texte verfassen. Vielleicht will Piontek auch nicht mehr Dichter genannt werden, wir wissen es nicht, doch gegenüber seinem Bemühen, Klartexte zu schreiben, wird ein solcher Streit um die Bezeichnung zweitrangig. Der Untertitel jedenfalls lautet auf Gedichte. Angesichts dieser Gedichte selbst wird es erst recht müßig zu streiten, ob ihre Kunst von Können oder vom Künden kommt. Jeder Autor bestimmt neu, was er unter Kunst versteht, sagt einmal Gütersloh. Das ist es, was Piontek die charakteristische Einprägsamkeit verleiht. Seine bisher erschienene Lyrik und Prosa beweisen es. Modernistische Allüren, ästhetische Theoreme, literarische Schulen, artistische Techniken sind ihm fremd. Sicher, niemand kann die Zeit verleugnen, aus der er kommt, doch sie wird ihm nicht zum Vorwand, diesen oder jenen Mangel zu kompensieren. Der erste Eindruck, den man beim Überblättern der

Gedichte gewinnt, der sich bei genauerem Hinsehen vertieft, ist die Beschränkung. Dichtung ist ihm keine Amplifikation durch Gefühle, Visionen, Metaphern, auch nicht durch artistische Qualitäten allein, sondern Beschränkung auf das Wort, in Wahrhaftigkeit und Verantwortung behutsam gesetzt. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt „in der Sprache wohnen“ zu können. Alles andere, ob es zu Tendenz oder zu Artistik gehört, sind mehr oder weniger gekonnte Hilfsmittel. Und wenn schon von Piontek die dichterische Metapher gewählt wird, dann ist sie ihm „ein Fernrohr“, das „erfaßt, vergrößert, verschärft“.

Dichtung vom Wort her, die wie an einem ersten Schöpfungstag den Vorgefundenen Wirklichkeiten in der Landschaft, der Erinnerung, der Seele, im Du einen Namen gibt, „buchstabierend, mit einer Stimme, die stockt — mit einer Rechnung, die nicht aufgeht —, nur von einigen tapferen Selbstlauten nicht hinters Licht geführt“. Es mag brutal erscheinen, dieses eben zitierte Gedicht, in einem Satz zu schreiben, aber wer hörte und sähe daher nicht sofort seine Gliederung im Versbild? Vom Wort her baut sich die Form von innen nach außen. Nichts künstlich Gemachtes, nichts Gekonntes, am wenigsten modisch Vorexerziertes. Verzicht auf Reim, auf genauen Strophenbau, auf nahezu alles, was das klassische Gedicht ausmacht, ist heute nichts Neues mehr, doch hier ist es nicht modernes Kleid, das sich ein Zeitgenosse um wirft, er verzichtet ja ebenso auf gängige Wort- und Stilexperimente. Wo das Gedichtbild nicht nötig ist, wird auch das weggelassen und bleiben nur die Sätze stehen, wie im Mittelteil „Parolen“. Natürlich, einfach leuchten die Worte auf und geben wieder etwas von ihrer ursprünglichen Fülle frei. Sie verdanken ihre Kraft keineswegs einer rationalistischen Anstrengung, das wäre zu wenig. Gerade die „Parolen“, die äußerlich gesehen durch nichts an ein Gedicht erinnern, sind trotzdem keine notierten Gedanken, sondern sie sammeln wie emsige Bienen den Gehalt der Erfahrungen, wie eine solche Parole lautet: „Die Jahre — die Bienen!“ Sie sind Gedichte in Prosa, in ihrem Kern, nach ihrem In-bild (etwas, was an Hopkins erinnert), aus Erlebnisdichte gefiltertes Konzentrat, das auf der Zunge, im Gehör langsam zergeht und auf- geht, durch Intensität statt Gefälligkeit wirkt. Sie zeigen denen, die in ihrem „Wahnsinn“ nicht sehen und nicht hören, das Nächstliegende, die einfache Natur mit ihren lautieren Schriftzeichen, den Farben, den Tönen, den Tagzeiten, ihren bedächtigen Menschen, sie zeigen es in Worten, die das Schweigen, aus dem sie kommen, in das sie wieder münden, in das sich die Meditation versenkt, „überbrücken“. „Die Jäger fallen. Die Vögel bleiben.“ Dabei nichts von einer redseligen Sentimentalität eines „einfachen Lebens“, sondern „emigrieren in

Klareres“, eine Klarheit „mit weniger als drei Worten“.

Schlägt man dann noch die Lebensdaten des Dichters nach, ist man überrascht ob seiner Jugendlichkeit und drängen sich die Verse Rilkes auf: „Mit kleinen Schritten gehn die Uhren neben unsern eigentlichen Tag.“ Auch sonst denkt man an sein Sprachbemühen (ohne ihn damit zum Vorbild Pionteks machen zu wollen), „dort beginnt das Wort, wie wir es meinen, seine Geltung übertrifft uns still“. Wenn Rilke klagte, daß die Dichter so oft die Sprache voller Wehleid gebrauchen, statt hart in Worte sich zu verwandeln, so könnte man die Klage heute abändern auf die literarische Betriebsamkeit von esoterischen Gruppen, bei Großkritikern, in „repräsentativen“ Blättern, mit ästhetisch manipulierter Phrasen- haftigkeiit, „unsere Sicht ist wie im Winter, so dicht fallen die Worte“, meint Piontek, „groß schreiben die Zähneknirscher ihre Namen über kleine Gedichte“. Die meditative Kraft des Wortes, die aus der frühen Reife des Autors spricht, läßt uns dagegen den Atem anhalten und zwingt uns zum sonderbaren Lob des Schweigens, nach den Worten Pionteks selbst: „Wenn du meinen Atem anhältst, sollst du mein Schweigen behandeln wie ein sonderbares Lob.“ Kann es einen schöneren Erfolg einer Dichtung geben als in einen solch gesammelten Dialog mit ihr und über sie mit Welt und Mensch hineingezogen zu werden, „zuhörend“ und „aufklarend“, um darin des Menschen Ureigenstes wiederzufinden, sein Sprache.

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