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Moderne Kammermusik

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Mit einem Kammer.musikabend der Internationalen Gesellschaft für neue Musik eröffnete das ungarische Vegh-Quartett die Reihe zeitgenössischer Aufführungen dieser Spielzeit. Sowohl nach dem Gehalt und Wert der dargebotenen Werke als auch was die Aufführung betrifft, war es ein glücklicher und verheißungsvoller Beginn. Das Streichquartett des dem Schönberg-Kreis nahestehenden Hanns Jelinek hat Substanz und zeugt von gediegenem kompositorischem Können. Es ist kein leichtes Werk, und wer die geistige Leidenschaft, die aus seiner herben Harmonik spricht, nicht nachzuempfinden vermag und nur nach klassischem Maß und Wohlklang sucht, mag das Opus leicht als „unschön“ empfinden. Im Gegensatz zu zahlreichen Werken neuester Musik, etwa denen Hindemiths, gelingt Jelinek der langsame Satz besonders gut. Im Prestissimo erweist sich der Komponist als virtuoser Klangmeister, der die Möglichkeiten des Quartettsatzes nicht nur voll auszunützen, sondern auch zu erweitern versteht.

Laszlo Lajtha, der Direktor des Budapester Radiosenders, nennt sein zum Teil aus der ungarischen Volksmusik inspiriertes und in zarten impressionistischen Farben leuchtendes Streichquartett „Vier Etüde n“. Der Titel paßt nur auf den letzten Satz und kennzeichnet den Schwierigkeitsgrad einzelner Stellen, wird aber dem Gehalt der übrigen Sätze nicht gerecht. Lajthas Musik ist nirgends konventionell und trotzdem geeignet, der modernen Kunst neue Freunde zu gewinnen. Ein prachtvolles, reiches Werk ist B e 1 a Bartöks 6. (letztes) Streichquartett, das der vor kurzem in der Emigration gestorbene ungarische Meister bereits in Amerika geschrieben hat. Die plastischen Themen, die meisterliche Verarbeitung und Konstruktion der einzelnen Sätze erheben das Werk zu einem „klassischen“ Werk der modernen Quartett - Literatur. Bart6ks mitreißender Rhythmus und differenzierter Klangsinn, seit eh und je bekannt, entfalten sich besonders eindrucksvoll in einer „Burletta“, die wiederholt werden mußte — sicher ein nicht alltäglicher Erfolg bei einem neuen Werk!

Das Vegh-Quartett bereitete uns — trotz des guten Rufes, der ihm vorausgegangen war — eine Überraschung. Vier eigenwillige, scharfprofilierte Musiker fanden sich im Dienst schwierigster moderner Werke in einem Zusammenspiel, welches zahllose Proben voraussetzt und das man als vollkommen bezeichnen möchte. Ein großer Teil des Erfolgs, den die drei neuen Werke hatten, ist der hoch musikalischen und virtuosen Interpretation durch das Vegh-Quartett zuzuschreiben.

Wie man zeitgenössische Musik nicht interpretieren darf, demonstrierte uns — wie an einem Schulbeispiel — Peter Szervanszky. Wer der Meinung war, daß sich ein Künstler nur an klassischen Werken erproben könne und es bei der Interpretation moderner Kompositionen nicht so genau drauf ankomme (weil der Hörer angeblich ja sowieso nicht genau wisse, was und wie), der wurde an diesem Abend gründlich eines Besseren belehrt. Kammermusikwerke zeitgenössischer Autoren stellen nicht immer sehr hohe technische Anforderungen an den Spieler, aber sie verlangen von ihm, unabdinglich, volles Verständnis und Vertiefung in jeden Takt, in jede Wendung. Was der Interpret nicht selbst genau erfaßt und erfühlt hat, wird er auch den Zuhörern nicht vermitteln können. Man spürt meist schon nach den ersten Takten, ob der Interpret ein Verhältnis zur neuen Musik hat, oder nicht. Es sei zugegeben, daß Bart6ks Musik nicht eben leicht zu spielen ist. Manche seiner Werke haben etwas merkwürdig Problematisches, Grüblerisches und Zerquältes. Hier kann nur eine aus ähnlichem Erleben kommende Interpretation und technische Meisterschaft helfen. Der Geiger blieb dem Werk, der 2. Sonate für Violine und Klavier, allzuviel schuldig, und so ist es erklärlich, daß auch die Zuhörer mit dem Werk nicht viel anzufangen wußten.

Der ungarische Pianist Peter Solymos spielte die aus drei Stücken bestehende Suite „G a s p a r d de 1 a N u i t“ von Maurice

Ravel. Weiterschreiteid auf dem Weg, den Debussy eingeschlagen, gelingt es Ravel, auf dem Klavier nie gehörte Klangwirkungen zu erzielen, von denen auch Chopin sich noch nichts träumen ließ, an denen er aber vermutlich seine helle Freude gehabt hätte. Diese drei kleinen Wunderwerke des Klanges gestaltete der junge Pianist so ausgezeichnet, daß man sich wünscht, ihn in einem eigenen Klavierabend näher kennenzulernen.

Das Collegium musicum setzte in seinem 1. Kammerkonzert die im Vorjahr eingeschlagene Linie fort: neben vorklassischer und klassischer Musik auch neue Musik aufzuführen. Der Gedanke ist erfreulich, die Auswahl der Stücke des zweiten Teiles war weniger glücklich. Alban Bergs „Vier Stücke für Klarinette und Klavier“ werden uns im Kommentar des Programms als „strikt atonal“ vorgestellt. Es wäre wünschenswert, daß diese mißverständliche Kennzeichnung, die nur Voreingenommenheit erzeugt und gegen die Berg leidenschaftlich angekämpft hat, allmählich verschwände. Bergs Musik stellt ein Letztes an Verfeinerung und Differenzierung des Klanges und der Harmonik dar. Immer wieder vermag sie durch ihre einheitliche und starke Atmosphäre zu fesseln und steht hiedurch irgendwie in der großen romantischen und spätromantischen Tradition, so daß — kraft der starken Persönlichkeit des Autors — fast immer auch ein unmittelbarer Zugang zu ihr möglich ist. Die ultrakurze Form der vier Stücke ließe sich dadurch rechtfertigen, daß man in diesen Ein- bis Zweiminutenstücken entweder flüchtige Augenblicksimpressionen oder auf eine prägnante Formel gebrachte musikalische Gedanken sieht. In beiden Fällen ist ihre Darbietung im Konzertsaal mißlich. Sie sind typische Hausmusikstücke.

Das Klavierquintett von Kurt L e r p e r g e r (geb. 1921) stellt ein Mosaik von Einzeleinfällen, Stilen und Klangeffekten dar. Die ständige — und daher etwas ermüdende — Gegenüberstellung von Streicherensemble und Klavier mag durch das Concerto grosso angeregt worden sein. Aber man kann nicht bei jedem vierten Takt die Register wechseln. Das wirkt manieriert. Fehlt nun noch — zumindest dem unvorbereiteten Hörer — der formale Überblick, dann entsteht nicht einmal ein Mosaik, sondern das, was zustande kommt, wenn man ein Mosaik auseinandernimmt und die bunten, verschieden gefor nten Steine durcheinanderwirft. Das Werk zeugt vom Klangsinn des jungen Komponisten und weist eine ganze Reihe brauchbarer Themen auf. Was den einzelnen Sätzen fehlt, ist die einheitliche Linie und ein auch für den Hörer erfaßbarer formaler Aufbau. Leopold W 1 a c h und Kurt R a p f spielten die Stücke von Berg, das F i e t z - H ü b-ner-Quartett und K. Rapf waren die Ausführenden des Quintetts von Ler-perger.

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