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Moderne Welt

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GENIUS LOCI. Kulturstätten im Mittelmeerraum, geschildert von Michel B u t o r. Biederstein-Verlag, München. 168 Seiten, Bütteneinband. Preis 11.80 DM. — EINZELHEITEN. Betrachtungen zur Zeit von Hans Magnus Enzensberger. Suhr-kamp-Paperback. Preis 15.80 DM. - ERZÄHLUNGEN UND TEXTE UM NICHTS. Von Samuel Beckett. Bibliothek Suhr-kamp. 171 Seiten. Preis 5.80 DM. - DER LETZTE FUSSGÄNGER ODER DIE VERWANDLUNG UNSERER WELT. Eine Untersuchung von Ehrenfried Muthesius. Verlag C. H. Beck, München. 207 Seiten. Preis 9.80 DM.

Michel Butor, der mit den Büchern „Paris—Rom oder die Modifikation“ und „Der Zeitplan“ als einer der Autoren des „Nouveau Roman“ internationale Beachtung fand, legt hier Beschreibungen vor, die Cordoba, Saloniki, Delphi, Mallia (einem Dorf auf Kreta), Mantua, Ferrari und Ägypten gelten. Während seine Romane in der Art wissenschaftlicher Versuche innerhalb gewisser Grenzen ein Novum darstellten, wobei Form und Inhalt einander entsprachen, aus dem Bestreben gestaltet, zum Sinnbild moderner Denkweise, modernen Lebens schlechthin zu werden, geht der Autor hier mehrere Schritte zurück, soweit sogar, daß ganze Passagen seiner Schilderungen, zumal klassischer Stätten, ebensogut vor fünfzig oder mehr Jahren verfaßt sein könnten. Das ist ein Eingeständnis, daß die von ihm avantgardistisch entwickelten formalen Experimente nicht ohne weiteres auf jegliches Lebensgebiet anwendbar sind, daß sie vor gewissen Realitäten versagen.

Enzensbergers „E inzeihe i-t e n“, Zeitbetrachtungen eines der begabtesten jungen Schriftsteller Westdeutschlands, halten mehr als sie versprechen. Enzensberger, Essayist und Literaturanalytiker, begibt sich, neben rein kulturellen Betrachtungen, auch auf das Glatteis kulturpolitischer und politisch-philosophischer Analysen und Auseinandersetzungen, wobei er keinen Augenblick scheut, mitten in das Tagesgeschehen einzugeifen. Daß er in diesem geistigen Spannungsfeld da und dort quasi zerrissen wird, daß er hier über die Stränge schlägt und dort sich einfach irrt, drüben aber Ressentiments wirken läßt, wo größte Objektivität am Platz wäre — dies alles macht ihn, den Antikonservativen, der sich nicht ungern ein enfant terrible nennen läßt, nm so sympathischer, macht ihn zum Sinnbild einer gärenden Generation, die den Mut hat, mehr zu fordern, als sie einst selbst wird leisten können. Untersuchungen, wie etwa jene über die Sprache des „Spiegel“, die Anatomie einer Wochenschau oder „Bildung als Konsumgut“, gehören zum Besten, was, in der Fragestellung stets verblüffend, seit langem darüber gesagt wurde.

Becketts „Erzählungen und Texte um Nichts“ variieren mit beklemmender Sprach- und Assoziationsgewalt das Hauptthema, das der Autor sich gestellt hat: er studiert, wie es Adorno in seiner scharfsinnigen Studie über das „Endspiel“ ausdrückt, „wie im Reagenzglas das Drama des Zeitalters, dal nichts von dem mehr duldet, worin es besteht“. Dies ist durchgeführt mit grandioser Konsequenz, zum Ärgernis aller, die von der Kunst Erbauung wünschen, ihr aber verwehren möchten, zu Zeitanalysen vorzustoßen, zu pessimistischen zumal, durch welche die eigene Bequemlichkeit gestört werden könnte.

Wie als Antwort auf Becketts Pessimismen im Kleid totaler Hoffnungslosigkeit erreicht uns die Untersuchung von M u-thesius, „Der letzte Fußgän-g e r“. und es geschieht, daß Muthesius, als später philosophisch und wissenschaftlich denkender Kopf, dem zugleich als Leitbild der wahrhaft religiöse Mensch vorangeht, zu Konsequenzen gelangt, die frappierend identisch sind mit der von Beckett aufgerufenen Chimärenwelt. Solche Übereinstimmung ist kein Zufall, Antworten über unsere Welt liegen in der Luft, die neue Fronten schaffen werden.

Zur obenstehenden Problematik sind auch folgende Taschenbücher mit Gewinn heranzuziehen: in der Fischer-Bücherei die „G espräche mit Kafka“ von Gustav Janouche und Prosa und Lyrik von Hermann Broch, unter dem Titel „Die Heimkehr“ vorgelegt.

In der Sonderreihe „dtv“ des Deutschen Taschenbuch-Verlags kommen die Texte: „Der Augenzeuge“ von Robbe-Grillet, ein Hauptwerk des „Nouveau Roman“, Jean Geneti „Die Nege r“, als ein exemplarisches Werk in der Bemühung um neue Formen des Theaters, sowie „Labyrinthe“ von Jorge Luis Borges, gerade zurecht, um Material für Diskussionen über unser Thema in liefern; auch das Tagebuch einer Griechenlandfahrt: „Die Götter sind sterblich“ von Walter Jens, bringt Aspekte in das Gespräch.

Die Vorwehen des Heute stehen auf im „Nachlaß zu Lebzeiten“ von Robert M u s i 1, Prosastücke, die neben der Arbeit am „Mann ohne Eigenschaften“ entstanden (rororo Nr. 500), während Sartre in seinem Roman „Der A u f-ichub“ (rororo 503/504) nm die Definition eines neuen Freiheitbegriffs ringt.

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