Klaus Amanns politische Biografie über Robert Musil.
Als Robert Musil noch nicht zwanzig ist, schreibt er in sein Tagebuch: "Neulich habe ich für mich einen sehr schönen Namen gefunden: monsieur le vivisecteur. (…) Mein Leben: - Die Abenteuer und Irrfahrten eines seelischen Vivisectors zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts." Sehr bald begnügte der Schriftsteller sich nicht mehr mit der Untersuchung des eigenen Seelenlebens, sondern wandte das Prinzip der "Sachlichkeit als Teilnahmslosigkeit" auf kulturelle und politische Zusammenhänge der zeitgenössischen Gesellschaft an - in einer Epoche kollektiver Leidenschaft durchaus eine bewusste Provokation.
Konstitution der Zeit
"Jeder Dichtererfolg ist ein Zeichen, woraus man auf die Konstitution der Zeit schließen kann", verkündete Musil, der nicht ganz erfolglos, aber immer in Geldnöten war, in den dreißiger Jahren: einer Zeit von sehr schlechter Konstitution. Erfolgreich waren damals unter anderem völkische Autoren, deren Namen, von Blunck bis Jelusich, man heute nicht mehr kennt.
Klaus Amann, Leiter des Klagenfurter Musil-Instituts und Spezialist für das vom Kulturkampf geprägte literarische Leben dieser Zeit, hat nun eine Art politische Biografie Musils geschrieben, sie um wichtige Essays, Reden und bisher unveröffentlichte Notizen und Entwürfe aus dem Nachlass ergänzt: ein kompaktes Taschenbuch, keine anstrengungslose Lektüre, aber ein schönes Lehrstück in Sachen Künstlerverantwortung und Zivilcourage.
Schon vor dem braunen Umsturz war Musil in Deutschland gar nicht gut angeschrieben: Den Sitz in der Preußischen Akademie der Künste in Berlin - als Nachfolger Arthur Schnitzlers - verweigerte man ihm 1931 mit der Begründung, er sei zu intelligent für einen "wahren Dichter". Max Mell, Autor des "Apostelspiels", hatte dieses Manko nicht.
Von der Traufe in den Regen
Hitlers Machtergreifung im Jänner 1933 erlebte Musil in Berlin, im Mai übersiedelte er mit seiner (jüdischen) Frau zurück nach Wien, wo Dollfuß regierte, er kam also "von der Traufe in den Regen" (Amann). Es herrschte "eine Art provinzlerisch-konservativer, im Kleinen energischer Geist. Hoffentlich irre ich mich." Musil hat sich nicht geirrt, wohl aber hat er, nach eigenem Urteil, Hitler lange unterschätzt. Der Germanist hält es mit Recht für unnötig, den Dichter unter einen moralischen Glassturz zu stellen, er wahrt sympathisierende Distanz. Er zeigt, wie der tabulose Denker dem Nationalsozialismus auch mögliche gute Seiten zugesteht: als einem Mittel gegen den "Verfall der Disziplin" und als einer Erziehungsmacht, die die dahinsiechende bürgerliche Bildungsidee ersetzen könnte. Der Mann elitärer Ressentiments sah den "Durchschnittsmenschen als Bazillenträger aller Gräuel der Welt". 1914 hatte er sich noch für den Krieg begeistert, später jedoch wollte er nur von einer "gewalttätigen", nicht "gewaltigen" Zeit reden.
Amann zeichnet präzis nach, wie der bewusst "unpolitische", sich als autonom verstehende Autor um eine öffentliche Haltung zum Sieg der "Bewegung" im Reich ringt: Der Verleger Rowohlt drängt auf Stillhalten - 1932 ist der zweite Band des "Mann ohne Eigenschaften" erschienen. (Warum der Roman hier nach Geheimbundmanier stets nur "MoE" genannt wird, ist nicht einsichtig.) Musil findet klare Worte, lässt sie, zur Enttäuschung der kommunistischen Hitler-Gegner, aber nicht drucken und sagt selbst, der "Sitz des Mutes" sei weder im Zwerchfell noch im Herzen, sondern "zum großen Teil in der Brieftasche".
Vielleicht war Musil, der Landsturmhauptmann a.D., ja zu klug, um mutig zu sein. Politische Parteinahme war für ihn nichts anderes als eine Dummheit: "Die Feder wie ein Schwert führen, Ideal vieler Schriftsteller. (…) Aber ich bin beim Schwert aufgewachsen, ich bin mißtrauisch gegen diese Vertauschung. Ich weiß, daß ich mit einer Wachskerze fechten müsste!"
Musil trug einiges Material zum nationalsozialistischen Gedankengut zusammen, befragte und analysierte es sorgfältig, wenn auch mit eindeutig negativer Conclusio. Mit der Publikation dieser für die Berliner "Neue Rundschau" verfassten "Bedenken eines Langsamen" war der Dichter dann aber so langsam, dass die politische Entwicklung in Deutschland ihm die Entscheidung aus der Hand nahm. Für die Vertreter der ständestaatlichen, also katholischen "Kulturpolitikskultur" (Musil) war der Standort des Dichters dennoch klar genug: Dessen Ansuchen um eine außerordentliche Staatspension wurde von Bundeskanzler Schuschnigg abgewiesen. Und es nützte dem Antragsteller gar nichts, dass er 1936 der "Vaterländischen Front" beigetreten war.
Robert Musil - Literatur und Politik Von Klaus Amann. Mit einer Neuedition ausgewählter politischer Schriften aus dem Nachlass
Reinbek, Rowohlt TB Verlag 2007
317 Seiten, brosch., geb. € 13,30
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