Moralkatalog des Gaunermilieus

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Der Beat-Literat William S. Burroughs wäre am 5. Februar 90 Jahre alt geworden Kürzlich erschien eines seiner letzten Bücher in deutscher Erstübersetzung.

Künstler sind notorische Tabubrecher, unbequeme Geister, Kritiker ihrer Zeit. William S. Burroughs, einer der wichtigsten Autoren der Beat-Generation, war nicht zuletzt in dieser Hinsicht ein würdiger Vertreter dieser Spezies. Am 5. Februar wäre er 90 Jahre alt geworden und kürzlich brachte der Hannibal Verlag einen der letzten bis dahin unübersetzten Texte in deutscher Sprache heraus: "Ghost of Chance", ein teils abgeklärtes Alterswerk, das aber auch in ehrlicher Trauer über Umweltzerstörung und andere Macken des "Homo sap", der sich so gar nicht "sapiens" geriert, erzählt und eine ganze Reihe "typischer Burroughs-Elemente" wie Drogenrausch, Antireligiosität und sexuelle Phantasien in sich vereint. William S. Burroughs war neben Allen Ginsberg und Jack Kerouac einer der wichtigsten Beat-Autoren, Hauptakteur einer Bewegung, die vor allem durch eines gekennzeichnet war: Individualismus. Was sie eint, ist ein ausgesprochenes Unbehagen an der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft. Die Gruppe traf sich erstmals in den vierziger Jahren in New York und blieb über Jahrzehnte verbunden.

Für Skandale gesorgt

Burroughs Bücher, allen voran die Romane "Junkie" und "Naked Lunch" (1991 von David Cronenberg verfilmt) sorgten bei ihrem Erscheinen gern für Skandale - "Naked Lunch" wurde in den sechziger Jahren sogar verboten -, und sie lesen sich über weite Strecken oft wie ein einziger Drogentrip, der sich verselbstständigt hat. Hippies und Punks waren fasziniert von Burroughs' Arbeit, betrachteten ihn als Urvater der Bewegung, während er sich wohlwollend am Rande hielt, ein damals schon älterer Herr im unauffälligen Straßenanzug, el Hombre invisible.

William Seward Burroughs war gewiss alles andere als ein bequemer Zeitgenosse. Er war drogensüchtig, ein Waffennarr, erschoss in einer volltrunkenen "Wilhelm-Tell-Nummer" aus Versehen seine Lebensgefährtin und wetterte über alles, was ihn umgab. In erster Linie über Biederkeit, Drogenpolitik, Todesstrafe und Intoleranz, unter der er als Homosexueller selbst zu leiden hatte.

Aus "guter Familie"

Er pendelte über die halbe Welt, geboren 1914 in St. Louis als Kind einer "guten Familie", lebte er in New York, Paris, London, Wien, New Orleans, Mexico City - und vor allem lange Zeit in Tanger, der weltoffenen "Interzone", wo er an "Naked Lunch" arbeitete. Neugier und der Drang nach Wissen brachten ihn auf Universitäten (wo er sich nie besonders wohl fühlte), in die Literaturszene und zu bewusstseinserweiternden Stoffen aller Art.

Die "braven Bürger" waren für ihn der Inbegriff der Verlogenheit, er suchte sich seinen "Moralkatalog" in der Unterwelt. Die Verhaltensregeln des Gaunermilieus waren für ihn bald maßgeblicher als jene der Gesellschaft, von der er sich auch abschottete, als er 1974 nach Amerika zurückkehrte - seine New Yorker Wohnung trug die vielsagende Bezeichnung "Bunker". Dort empfing er allerdings noch eine ganze Reihe illustrer Gäste wie etwa Andy Warhol, David Bowie oder Mick Jagger, bis er sich schließlich auf seinen Alterssitz in Kansas zurückzog, wo er 1997 starb.

GHOST OF CHANCE

Von William S. Burroughs

Übersetzung: Manfred Gillig-Degrave

Hannibal Verlag, Höfen 2003

153 Seiten, Leinen, mit 17 Illustrationen des Autors, e 17,90

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