Mord, Filz und Lebenslügen

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Die Mehlspeise ein furchtbares Missverständnis und die Wirtsstuben düster: O. P. Zier geht mit hässlichen Details präzise um.

Fatal, was dem Schriftsteller und Journalisten Werner Burger passiert: Er wird des Mordes an der ebenso erfolgreichen wie verhassten Salzburger Kulturpolitikerin Barbara Lochner verdächtigt. Vom obersten Stockwerk eines in Bau befindlichen Hauses, in dem sie eine Wohnung beziehen wollte, habe er sie hinuntergestoßen.

Für den Untersuchungsrichter wie für die Medien ergibt sich eine lückenlose Indizienkette: Hatte dieser Werner Burger doch als investigativer Journalist Daten und Fakten zusammengetragen, um das Ungeheuerliche zu enthüllen, das hinter der Karriere dieser Tochter aus bestem Hause steckt. "Eine Tat sucht ihren Täter - und findet mich?", muss sich der Unglückliche fragen, dessen Situation nicht von ungefähr an die jenes Josef K. erinnert; nur macht die Tatsache, dass wir es mit den Menschen und Behörden von Stadt und Land Salzburg zu haben, für Werner Burger die Lage noch prekärer als die des Schicksalsgenossen in Kafkas Roman.

In der Untersuchungshaft wird die Geschichte der Recherchen aufgerollt, die Burger unternommen hatte: Es beginnt mit dem Schicksal des Gymnasiallehrers Erwin Lang, der nach erfolgreicher Absolvierung des zweiten Bildungsweges für die Lochner und ihren Chef Hofrat Krenn arbeitet und von der skrupellosen Frau so ausgebeutet wird, dass er darüber den Verstand verliert und in einer psychiatrischen Anstalt landet.

Mühsam arbeitet sich Werner Burger von einem Zeugen zum anderen durch und es geht ihm so wie dem legendären Philip Marlowe bei Raymond Chandler: Statt dass sich Klarheit einstellt, wird alles von Schritt zu Schritt nur rätselhafter. Deutlich wird nur, dass alle Parteien und vor allem die ÖVP einen unzerstörbaren Filz bilden; die Kirche, die Schule und die lokale Presse machen eifrig mit. Von den Institutionen geht eine Dämonie aus, und das Licht der Aufklärung, das der Journalist in die düsteren Salzburger Wirtsstuben bringen möchte, flackert nur kurz auf und erlischt bei jedem Versuch.

Stereotype Szenen

Die Stereotypie der Szenen hat etwas Lähmendes: Burger kommt in ein schäbiges Gasthaus oder in ein abgefacktes Espresso, trifft dort einen kaputten Typ, der ihn auf eine neue Fährte setzt; meistens stellt sich das als bewusste oder unbewusste Irreführung heraus. Man fleht Burger an, er solle seine Nachforschungen einstellen. Natürlich fehlen auch mysteriös bedrohliche Vorgänge nicht, die der Einschüchterung des Journalisten dienen sollen: Da gibt es z. B. eine tote Katze ohne Kopf, die dann wieder aus dem Weg geräumt wird. Solcherlei wirkt wie ein Zitat aus einem anderen Roman.

Ganz elend geht es in Salzburg zu, es gibt keine Lichtblicke, und auch mit der Gastronomie ist es nicht weit her. "Die Mehlspeise stellte sich als eines jener furchtbaren Missverständnisse heraus, die einen in österreichischen Landgasthöfen immer wieder vor den Kopf stoßen können. Etwa Staubig-Trockenes war es nämlich, was da auf dem Teller vor meinen Blicken in Deckung zu gehen schien. Was ein Apfelstrudel hätte sein sollen, war eine entsetzlich harte Hülle mit viel, viel Luft und einigen wenigen eingetrockneten Apfelstückchen, verängstigt hingekauert, mit ihren Zimt-Sommersprossen zwischen ein paar Rosinen auf dem Boden dieses Teigtunnels geduckt." So ein Genuss bleibt einem lange auf dem Gaumen kleben, er stiftet Erinnerung, und was für Marcel Proust die feine, in den Tee getunkte Madeleine war, das ist bei O. P. Zier der Apfelstrudel.

Satirische Energie

In den sauber gearbeiteten Details steckt die Stärke des Autors, in ihnen wird auch seine satirische Energie manifest. Da verliert sich beim Lesen die Frage, wer nun tatsächlich der Täter ist. Am Ende werden wir auch belohnt: Zunächst wird ein anderer verhaftet, der auch geständig ist, Burger kommt frei, aber dieser Verhaftete war auch nicht der Täter - und zuletzt darf der Erzähler wie Marlowe bei Chandler den ganzen Zusammenhang aufklären: Der Täter war - aber das wollen wir nicht verraten, denn sonst wäre der letzte Rest von Spannung draußen.

"Tote Saison" - der Titel spielt auf ein tolldreistes Programm der Salzburger Landesregierung an, das die Region über den ganzen Jahreslauf attraktiv machen soll. Aber dieses Motiv wird nicht so recht im Kontext der Kriminalhandlung verankert, es bleibt ein Seitenhieb auf eine schamlose Politik, die das Land der Hebung des Fremdenverkehrs opfert. Trotz aller Längen ein gut geschriebenes Buch, in dem das Beklemmende provinzieller Politik zur Karikatur vergrößert erscheint. Der präzise Umgang mit den (oft hässlichen) Details, die Ernsthaftigkeit des sozialen Engagements, die satirischen Spitzen - das alles macht die Umständlichkeit und den schleppenden Gang der Handlung vergessen.

Auf die Sprache hat Zier viel Sorgfalt verwendet, und das ist gut bei einem Buch, das über weite Strecken glaubhaft von der Lebenslüge handelt, mehr als hundert Jahre nachdem sie Ibsen zum Thema gemacht hatte: Durch die Exaktheit des Ausdrucks wird Ziers kritisches Anliegen denn auch legitimiert. Man freut sich an den sauber konstruierten Perioden oder an Konjunktiven wie "röche". Warum müssen wir dann gerade beim Zentralthema die Form "lügte" serviert bekommen? Doch die Autoren und die Lektoren machen - wie Homer es schon tat - manchmal ihr Nickerchen.

Tote Saison

Roman von O. P. Zier

Residenz Verlag, St. Pölten 2007

411 Seiten, geb., € 21,90

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