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Mozart ante Portas

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Das Gesetz gegen den Mißbrauch des Namens Mozart, das anläßlich des Mozart-Jahres beschlossen werden soll, hat in gewissen Wirtschaftskreisen Erregung ausgelöst. Es soll sogar einige Unternehmen an den Rand des Ruins gebracht haben. Man will nun retten, was zu retten ist.

Was soll nun etwa mit den zehn Waggons Modellierton, den fünfzehn Waggons Zement und den fünfzehn Waggons Gips geschehen, die auf einem Salzburger Lagerplatz warten? Der Zement ist von der allerfeinsten Sorte und sollte, zu Mozart-Köpfen verarbeitet, von einer Baustoffirma als Reklamesendung ausgeschickt werden. Ein mitgeschickter kleiner Hammer sollte die Qualität des Materials erweisen. Was soll mit dem Gips geschehen? Man wollte Mozart-Köpfe daraus machen. Und wohin mit dem Modellierton? Er war für Mozart-Krüge bestimmt, die, mit feinstem Slibowitz gefüllt und einer Mozart-Kugel garniert, ein Schlager geworden wären!

Die MOKOGE („Mozart-Kopf-Gesellschaft“),: die im Auftrag verschiedenster Firmen bereits große Mengen fertiger Ware eingelagert hat, erwägt die Umarbeitung von fünfzigtausend Souvenirs „Kleine Nachtmusik“ zu Automaskottchens „Unter der Laterne“. Zwanzigtausend gläserne Briefbeschwerer mit einem eingegossenen Mozart-Porträt können allenfalls mit der eingeritzten Inschrift „Schont den Namen des Genies“ an in-und ausländische Werbegesellschaften verschickt werden; die MOKOGE verhandelt noch wegen einer offiziellen Stützung dieser Aktion: Was aber soll sie mit den hunderttausend Mozart-Büsten aus Glas und Marmor, Bronze und Gips, aus Holz und Porzellan anfangen, die sie bereits eingelagert hat? Das Angebot eines Stadtpflasterers, der sie zu Vorzugspreis übernehmen wollte, wurde aus Gründen der Pietät abgelehnt. Die MOKOGE hat einen Wissenschaftler damit beauftragt, Gegenwart und Geschichte nach Persönlichkeiten durchzustöbern, denen man allenfalls eine Aehnlichkeit mit dem großen Komponisten nachsagen könnte. Die Umarbeitung würde zahlreichen jungen, hungernden Künstlern Arbeit und Brot verschaffen.

Ein Fleischhauer, der vor dem Salzburger Dom ein Mozart-Denkmal aus farbigem, unschmelzbar gemachtem Schmalz errichten wollte und eine Schokoladenfirma, die bereits Stöße von farbigem Staniol für ihre „Mozart-Köpfeln“ eingelagert hat, wollen den Gesetzesentwurf sogar auf eigene Faust bekämpfen. Unbestätigten Gerüchten zufolge haben sie bayrische Firmen um Unterstützung ersucht. In Bayern sollen „Mozart-Bergschuhe“, ein „Wolferl-Starkbier“, ein Hutmodell „Papagena“ und eine Waschmaschine „Amadeus“ auf den Markt geworfen werden. Sie sind vor allem für die Gäste der Salzburger Festspiele bestimmt, von denen man erwartet, daß sie deutschem Bundesgebiet einen kurzen Besuch abstatten wollen. Direkt an der Grenze soll aus zusammengesteuerten Mitteln eine fünfzig Meter hohe Mozart-Figur aus Glas aufgestellt werden, die man nachts von innen erleuchten kann.

In Oesterreich werden die Verleger die einzigen Nutznießer des Mozart-Jahres sein, da sich der Schutz des Namens Mozart nicht auf literarische Produktionen erstrecken soll. Ein Verleger kündigte unter dem Siegel der Verschwiegenheit das Buch „Mozart und die Frau“ an, das nicht an Jugendliche verkauft werden soll.

Die größte Initiative jedoch entfaltet auch diesmal die Filmindustrie. Der berühmte deutsche Dichter Jorg Dorwald, Autor des epochalen Werkes „Laprun“, schreibt das Drehbuch für einen Film, der mit historischen Vorurteilen aufräumen soll. Dorwald hat in eingehendem Quellenstudium festgestellt, daß Mozart in Berlin geboren wurde und daß sein Vater, ein in Berlin ansässiger Hamburger, durch ein peinliches Mißverständnis eines Mordes bezichtigt wurde und mit seinem kleinen Sohn nach Wien flüchten mußte. Der Wiener Hof vertuschte damals die Angelegenheit, weil er Mozarts musikalische Begabung erkannt hatte. „Dafür habense Gefiehl“ wird ein berühmter Schauspieler an einer markanten Stelle des Films sagen. Die Amerikaner drehen einen Mozart-Film unter dem Titel „Mozarts first love“, dessen Außenaufnahmen am Wolfgangsee gedreht werden. Mehr Interesse verdient der große Ausstattungs-Mozart-Film der Mosfilm, der unter dem Titel „Liebe am Klavier“ entsteht. Der Regisseur ist davon überzeugt, daß die „Zauberflöte“ ein geheimes, verschlüsseltes Bekenntnis zur Arbeiterklasse enthält und daß Mozart von reaktionären Kreisen aus Haß gegen seine soziale Einstellung ermordet wurde. Der repräsentative Mozart-Film schlechthin jedoch wird in Wien von Regisseur Schiffra gedreht, der sich entschlossen hat, der heimischen Filmkunst neue Impulse zu geben. Er will Mozart von einer ganz neuen Seite zeigen, als einen Menschen wie du und ich.

Einige dieser Mätzchen hätten uns im kommenden Mozart-Jahr sicher erwartet, wenn nicht die „Lex Mozart“ einem bestimmten allzu tüchtigen Geschäftsgeist rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben hätte.

“Wir bringen zur Abschaffung ...

Wir bringen heute zum Vorschlag, daß endlich Maßnahmen zur Durchführung gelangen, die zur Folge haben, daß eine der ärgsten Unschön-heiten, die Amts- und Zeitungsdeutsch zur Auswachsung gebracht haben, endlich zum Verschwinden kommt.

Wenn Sie, lieber Leser, ein normaler Mensch sind, da mißfällt Ihnen dieser Satz — ob Sie nun mitgekommen sind oder nicht. Sie stimmen dem oben so umständlich Gesagten also bei, denn auf gut Deutsch soll es ganz einfach heißen: Wir schlagen vor, einen der häßlichsten Auswüchse an unserer deutschen Sprache endlich abzuschaffen!

Die Diagnose lautet: Circumscriptio can-croidis. Die Sucht, alles, was kurz und gut gesagt werden könnte, zu umschreiben — kann man sie mit etwas anderem vergleichen als mit einer Krebsgeschwulst? Sind die vielen Wendungen, wie „zur ... gelangen“ oder „zum schreiten“, etwas anderes als ein bösartiges Geschwür?

Die Leute stimmen nicht mehr ab, sondern sie schreiten zur Abstimmung oder zur Urne, denn Gehen wäre wohl unfein. Niemand führt mehr ein Theaterstück auf — wo er es doch zur Aufführung bringen kann! Keiner erklärt etwas, denn wenn er eine Erklärung abgibt, klingt das viel gewichtiger. Wenn etwas kompliziert klingt, muß doch etwas dran sein, nicht wahr?

Alltägliche Kleinigkeiten machen den guten Beobachter oft auf unerhörte Dinge aufmerksam. Eine dieser Kleinigkeiten ist die unnötig Umschreibung, die, seltsames Symptom!, gerade in einer Zeit besonders gut gedeiht, die sonst zur rücksichtslosen Vereinfachung, zur grotesken Abkürzung neigt. Eine besonders prachtvolle Blüte am üppig wuchernden Sprachkrebs sproß kürzlich in den Spalten einer Wiener Zeitung: „Das Erkenntnis spricht in Stattgebung der Beschwerde aus ...“

Die Therapie gegen Krebs heißt: Operieren! Schneiden wir alle unnötigen Umschreibungen, alles wilde Fleisch, alles Unkraut aus unseren Sätzen. Schreiben wir wieder normal. Schreiben wir deutsch!

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