6547343-1947_22_12.jpg
Digital In Arbeit

Mozarts Vater

Werbung
Werbung
Werbung

Hoch ragt das prunkvolle Mausoleum Wolf - Dictrid von Raitenau auf dem Rasengeviert des ehrwürdigen Sebastian-Friedhofes zu Salzburg. Nicht weit von ihm, auf der etwas kahlen Wiesenflädie, ruhen die Gebeine des Vizekapellmeisters Leopold Mozart in einem bescheidenen Grabe.

Er diente treu und ergeben, dem Lakaienstande zugezählt, Zeit seines Lebens zwei späten Nachfolgern des gewaltigen Renaissancemenschen, dem milden Bischof Graf Schrattenbach und dem etwas galligen Hieronymus Colloredo.

Genau zwei Jahrhunderte, nadidem Wolf-Dietrich den fürstlichen Thron von Salzburg bestiegen hatte, schloß der Hofmusikus Mozart die Augen. Eine unüberbrückbare Distanz zwisdien dessen inferiorer Stellung und der hochragenden des Fürstbischofs sdieint die beiden im Tode so „nahe beieinanderliegenden Männer zu trennen. Und doch sind sie ebenbürtige Größen: in dem .unvergänglichen Verdienste um Salzburgs Ruhm auf dem Gebiete der Kunst. Der Fürst und Bischof als Schöpfer des unvergleiddichen Stadtbildes, des dreieinigen Platzes mit dem Dom, als Bauherr der berückenden Pracht des Mirabell-sdilosses, der Kapellmeister als Vater und Former jenes Genies, durch dessen Werke die Stadt zum unsterblichen Zentrum, zum Dom der Musik erhoben wurde, zu dem alle pilgern, die dem Sdiöpfer jener Werke huldigen wollen.

Dem Forscher, der mit liebevoller Genauigkeit den Spuren Mozarts folgt, bleibt wohl kaum mehr ein Gebiet, auf das er seinen Scheinwerfer richten könnte, welches nicht schon das Ziel anderer Liditkegel gewesen wäre, um neue Schätze in diesem überreichen Leben zu entdecken. Auch die Beziehungen zwischen Vater und Sohn lassen kaum mehr eine größere Aufhellung zu. Sie sind von allen Seiten beleuchtet, beurteilt, gelobt oder getadelt worden. Dem einen erscheint Leopold als väterlicher Pedant, als Egoist, der das zarte Kind um des Gewinnes willen über den Kontinent und über den Kanal schleifte und dem Jüngling gegenüber verständnislose klein-i städtische Engherzigkeit bekundete. Andere stellen ihn zwar milder dar, wenn auch sein Anteil am Werden des Sohnes nur teil- ' weise gewürdigt wird. Um ihm ganz gerecht zu werden, muß man ihn von dem Standpunkt aus betrachten, den er selbst allen Dingen gegenüber einnahm. Es war der Standpunkt des verantwortlichen Christen. Von diesem aus ist er zu beurteilen, als Hausvater und Familienerhalter, hineingestellt in seine Zeit und in seinen Kreis.

Es wäre ihm trotz seiner anerkannten musikpädagogisdien Leistungen wohl kaum ein anderes Los zugefallen als vielen seiner Kollegen, die im Rahmen ihres bescheidenen Wirkungskreises an kleinen Fürstenhöfen lebten und starben, hätte nicht der Ruhmesglanz seines Sohnes ihn mit diesem in den Mittelpunkt der Beaditung gestellt. Was ihn für immer der Vergessenheit entriß, waren nicht seine Violinschule, seine eigenen Kompositionen, sondern das Verdienst, nicht nur der Vater, sondern auch der Erzieher des großen Sohnes zu sein. Die Verantwortung dieser Aufgabe erfüllte ihn ganz. Er war sich bewußt, eine himmlische Gabe zu verwalten und Gott Rechenschaft geben zu müssen, ob er dieses Talent auch richtig verzinst habe. Leicht ist ihm die Aufgabe nicht geworden. Schwer lastete die Sorge um Frau und Kinder auf ihm. Er ließ es sich sauer genug werden, für die Gattin und nach und nach für sieben Kinder sowie die Schwiegermutter mit etlidnen 20 Gulden monatlich den Unterhalt zu schaffen und „Kindbett, Todtfälle und Krankheiten“ auszuhalten. Eine glückliche Fügung hatte ihn •in dem Hause des angesehenen Handelsherrn Johann Lorenz Hagenauer in der Getreidegasse eine Wohnung finden lassen. Dieser gütige, großzügige Mann hatte den wohlwollendsten Anteil an den Gesdiicken der Familie Mozart, besonders an dem des heranwachsenden Wolfgang Amadeus. Er stand seinem Mieter in den schweren Jahren des Aufwärtsstrebens in finanzieller Hinsidu getreu zur Seite. Dies geht aus den Briefen Vater Mozarts deut-lidi hervor. Es ist- wohl kaum anzunehmen, daß dieser so genaue Berichte über finanzielle Erfolge erstattet hätte, wenn sie nicht Bezug auf vorhergegangene Hilfe-lesitungen nehmen würden. Daß sie zur Zeit von Wolfgangs zweiter Pariser Reise in größerem Ausmaße erfolgten, geht aus den dramatischen Appellen des Vaters an den Sohn hervor, an eine sichere Zukunft zu denken, um die Sdiuldenlast bei Hagenauer tilgen zu können, sollte die Ehre nicht Schaden nehmen. Der alte Hagenauer war ein liebevoller Gläubiger. Er tröstete den sorgenvollen Freund, daß er volles Vertrauen in Wolfgang setze, er werde schon seine Schuldigkeit tun. Man solle ihn ruhig in Paris lassen. Leopolds Feingefühl ließ sich aber nicht beruhigen. Er teilte dem Sohn wohl die tröstlichen Worte mit, fügte aber hinzu, er solle sie wohl erwägen und auch, ob die jetzigen Umstände nicht geeignet seien, ihn schwer zu treffen. Es war nicht Kleinlichkeit, welche die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden herbeiführten, sondernJ der peinlich genaue Ehrbegriff. Schulden waren dem gewissenhaften Manne ein Greuel, und auch sein Stolz litt unter dem Mangel an Wolfgangs finanziellen Erfolgen. Deshalb verbarg er die Geldsorgen und wußte sich auch der Verschwiegenheit der Familie Hagenauer versichert, die dem Erzbischof „in Ewigkeit die Freude nicht madnen wollte“, noch geringschätziger, als er es ohnehin tat, auf den jungen Musiker herabzu-blicken.

Konnte er den Sohn nicht zu seiner strengen Anschauung bekehren, so schränkte er sich selbst soviel als möglich ein und verzichtete auf jeden Putz. Vater Mozarts Lebensführung und Weltanschauung war im selben Grundsatz verankert, für den Grillparzers geniale Einfühlung im „Bruderzwist“ die klassische Forrhel fand, wenn er Rudolf II. im Lobgesang auf die Ordnung die Verse sprechen läßt:

„Kennst du das Wörtlein Ordnung, junger Mann?“

„Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus.“ '

Ordnung im Hinblick auf „Oben“ war das Regulativ von Leopold Mozarts Handeln und Denken, in seinem Verhältnis zur Über- und Umwelt, in der Ökonomie des Haushaltes und in seinem künstlerischen Schaffen. Dieser Ordnungssinn auf dem Gebiete der Musik war das kostbarste Gut, das er dem genialen Sohn vererbte, der sie als Teil des Schöpfungsgleichmaßes in seiner Kunst zur herrlichsten Geltung brachte. Ordnung war Vater Mozarts oberstes Gesetz in der Wahl zwischen Gut und Böse, wenn er audi, nach eigenem Ausspruch, kein Pedant und noch weniger ein Scheinheiliger war. Nach dem Gesetz der Ordnung ging aber Gott allem Irdisdien vor. Die Sorge um Wolfgangs irdisches Glück war daher auch gepaart mit der Sorge, er könne im Weltgetriebe der religiösen Pflichten vergessen. Ergreifend sind die Abschnitte jener Briefe, die von dieser Angst durchzittert sind. Das starke Verantwortungsgefühl äußerte sich auch in diesen Fragen, selbst bis zur rührenden Mahnung, „das Beichten nicht zu vergessen“. Denn: „Gott gehe vor allem, von ihm müssen wir unser zeitliches Glück erwarten urid für das ewiüe Sorge tragen. Junge Leute hören dergleichen nicht gerne. Ich weiß es, da ich selbst jung gewesen. Allein ich bin bei allen meinen jugendlichen Narrenspossen immer wieder zu mir selbst gekommen, habe alle Gefahren der Seele geflohen und hatte Gott, seine Ehre und die gefährlichen Folgen vor Augen gehabt.“

Es gibt kein Gebiet der Moral, des finanziellen Gleichgewichtes, der Geselligkeit, in dem nicht Vater Mozarts Ordnungsgefühl und die durch sie bedingte Sorgfalt für Frau und Kinder zum Ausdruck kommen. Seit dem Novembertag — vor 206 Jahren —, an dem er seine Gattin zum Altar geführt hat, war er in treuester Liebe mit ihr verbunden geblieben. Er hielt auch die Kinder zu Liebe urid Rücksicht gegen die Mutter an und zögerte nicht, energisch einzugreifen, wenn sie es daran fehlen ließen. Für seine Frau war er, der sparsame Rechner, auch bereit, schwere finanzielle Opfer zu bringen. So bat er sie, während ihres Pariser Aufenthaltes, auch'höhere Kosten für eine bessere Ernährung nicht zu scheuen.

Die vielen Mühen und Enttäuschungen seines arbeitsreichen Lebens hätten den armen Vizekapellmeister zu Boden drücken müssen, wenn er nicht eine Eigenschaft besessen hätte: einen gottbegnadeten Humor, der in bitteren Stunden nicht versagte. Das Temperament von Wolfgangs schwäbischem „Bäsle“ finden wir nicht minder deutlich in der Schreibweise ihres Salzburger Onkels ausgeprägt. Seine Gedanken und Gefühle sprudeln quellfrisch mit süddeutscher Lebhaftigkeit dahin und enthüllen seine heitere Lebensauffassung, seine kleinen weltlichen Freuden und seine menschlichen Schwächen. Sein Gott war trotz allem Ernste seiner Weltanschauung kein Gott des Zornes, sondern ein Gott der Freude und der Güte. Seine Seele hatte barocken Schwung, sie war der Struktur nach ebensowenig der Düsterkeit einer falschverstandenen Askese wie dem Geiste der berüchtigten Aufklärung, die damals schon in den Köpfen rumorte, verhaftet. Vor dem Dämon der Auflehnung gegen göttliche und weltliche Autorität bewahrte ihn sein Ordnungssinn und sein gesunder Respekt vor der Obrigkeit. Dem Unabweisbaren fügte er sich mit •Geduld. Audi hier tritt sein geradliniges Denken zutage, wenn er dem Sohne bekennt: „... daß er sidi ins Unglück . wohl zu sdiickcn wisse, wenn er ohneracht aller gemachten guten Anstalten darin verfalle und sich nichts vorzuwerfen habe“.

Diese im Glauben fundierte kraftvolle Ergebung, ermöglichte es dem alternden Mann, der in seiner Jugend goldene Berge für seine Kinder erträumt hatte, trotz allen Enttäuschungen sein Genüge im Kreise alter Freunde und in der noch immer ausgeübten Kunst zu finden. Die großen Hoffnungen auf ein durch die Erfolge des Sohnes vergoldetes Dasein waren langsam einer friedvollen Resignation gewichen. Als letzte Freude trat sein Enkel Poldi Berdi-told von Sonnenberg, Nannerls kleiner Sohn, in sein Leben. S.;h er in ihm eine Wiederholung von Wolfgangs Genie? Ein gütiges Geschick ließ ihn weder hier eine neue Enttäuschung noch den Zusammenbruch der Salzburger Bischofsherrlichkeit erleben. Er schloß die Augen, als sich die kommenden Ereignisse noch kaum als sdiwaches Wetterleuchten ankündigten.

Dürftig, wie Leopold Mozart gelebt, ist auch seine Ruhestätte. Spärliche Kreuze vergessener Mitbürger halten um sein Epitaph die Ehrenwache. Nach dem Urteil verständnisvoller Zeitgenossen hätte er höhere Ehrung verdient. Der Sohn seines Hausherrn, Wolfgangs Jugendfreund, Erz-., abt Dominikus HagenaueV“' vorn'ffifte Slfikt?10 Peter, schildert ihn in lapidarer Kürze als einen Mann von viel Witz und Vernunft, derenzufolge er auch außerhalb der Musik wohl geeignet gewesen wäre, dem Staate gute Dienste zu leisten. Verstand und Talent wurden Vater Mozart in die Wiege gelegt — irdische Schätze der Menschheit einen Wolfgang Amadeus geschenkt zu haben und an seiner Erziehung so tiefgehenden Einfluß nehmen zu dürfen, wiegt alles materielle Glück der Erde auf.

Nehmen wir zuerst den augenfälligen Fall des Materialismus. Seine Erklärung des Weltalls ist eine Art wahnsinniger Vereinfachung. Sie gleicht dem Argument eines Irrsinnigen; man gewinnt den Eindruck, daß gleichzeitig alles ausgesagt und alles ausgelassen ist. Der Materialist versteht alles, aber dieses alles ist so armselig, daß es sich nicht lohnt, es zu verstehen. Sein Universum mag in allen Angeln festgefügt sein, aber es ist kleiner als unsere Welt. Er entrollt uns einen Plan, der offenkundig nichts weiß von den geheimnisvollen Kräften und der tiefen Gleichgültigkeit der Natur, der die wirklichen Dinge dieser Welt überhaupt nicht berücksichtigt, die Kämpfe der Völker, den Stolz der Mütter, die erste Liebe oder die Angst auf hoher See.

G. K. Chesterton: „Das Abenteuer des Glaubens“ (Verlag Otto Walter A. G., Ölten)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung