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Musik der Befreiung

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Als sich Joseph Haydn im Dezember 1790 zu seiner dann so triumphal verlaufenen Konzertreise nach London entschloß, äußerten ihm Freunde ihre Besorgnis, daß er zu wenig Weltgewandtheit, zu geringe Sprachkenntnisse besitze, um mit seinen nahezu neunundfünfzig Jahren ein so großes Unternehmen zu wagen. Lächelnd zerstreute der Meister derartige Bedenken: „Meine Sprache versteht man in der ganzen Welt.“ Der stets bescheidene Mann wollte gewiß mit diesem Ausspruch im allgemeinen und ohne Bezug auf sich die völkerverbindende Macht der Musik charakterisieren.

Sie ist ja auch das lauterste und reinste Verständigungsmittel von Mensch zu Mensch; alle Vorbehalte und Hinterhalte, die eine verschlagene Dialektik der Sprache zu bergen vermag, sind ihr fremd, sie sucht — um Beethovens Motto zu seiner „Missa solemnis“ zu variieren — den Weg vom Herzen zu Herzen.

Was durch die gewaltsame Eingliederung Österreichs in das Dritte Reich und durch den folgenden Krieg für die österreichische Musik verlorengegangen ist und was durch die neuerstandene Unabhängigkeit wiedergewonnen werden konrlte? Die österreichische Musik ist dadurch groß geworden, daß sich Österreich, und im besonderen Wien, aus ursprünglicher Volksveranlagung ein originelles Musikingenium zu wahren wußten und zugleich dauernd eine lebendige und feinfühlige Verbindung mit allen auswärtigen Regungen des Musiklebens hielten, deren Widerhall immer wieder produktiv verarbeitet wurde. Gerade darin liegt das Geheimnis der Weltgeltung österreichischer Musik, daß ihre Sprache bei aller Eigenart wirklich in der ganzen Welt verstanden wird. Man denke nur an den ganz erstaunlichen Fall Wolfgang Amadeus Mozart, bei dem es möglich war, daß sich ein polnischer und ein französischer Gelehrter von Rang, Th. de Wyzewa und G. de Saint-Foin, mit Erfolg zusammentaten, um die ständig wechselnden Einflußsphären nationaler und personeller Art im Schaffen des Meisters zu untersuchen und gerade zur Grundlage einer stilkritischen Darstellung seines Werkes zu machen. Und wer wollte es wagen, den auf jeder Partiturseite fesselnd in die Augen springenden Persönlichkeitswert der Morzartschen „Handschrift“ anzuzweifeln!

Bei dem Verlust der Unabhängigkeit ging zugleich mit der staatlichen Souveränität für Österreich auch die Souveränität der österreichischen Musik verloren. Es wurde von nun an in Berlin entschieden, was und wie in Österreich musiziert- werden sollte. Um etwa Mozarts Gedenken anläßlich des 150. Todestages des Meisters zu feiern, verwarf man Alfred Rollers geniale „Don-Juan“-Inszenie-rung und setzte an ihre Stelle die unmozarti-schen, mit der Musik unvereinbaren Dekorationen eines Bühnenbildners aus dem „Altreich“. Oder man kleidete Mozarts in Wien für Wien geschaffenes Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ in das Gewand einer kalten, werkfremden Inszenierung, die die genaue Kopie einer Hamburger Vorstellung war. Für die Neugestaltung der „Zauberflöte“ nahm man in Berlin Maß, für einen neuen „Lohengrin“ in Bayreuth, vergaß aber dabei, daß Wien oder auch die Festspielstadt Salzburg nach eigenen Maßen gemessen werden sollen, wollten sie weiter die bis dahin behauptete Stellung im musikalischen Weltkonzert bewahren.

Mit dieser „Gleichschaltung“ der österreichischen Musik ging ihre Absperrung von der Außenwelt Hand in Hand, die sie an einem anderen Lebensnerv traf. Was immer unserer Musik den. neubelebenden Auftrieb gab, das Hineinhorchen in die Zeichen der

Paris, 30. September 1860. Seitdem ich diese Stadt des Lärmens und der Bewegung (Wien) verlassen habe, wo die Wagen dahinfliegen, wo das Pflaster davon widerhallt, wo sich auf den Straßen eine lachende, vergnügte Welt in Haufen bewegt, und wo Frauen nicht mehr die Deutschen aus Berlin sind, sondern gemischten Blutes, und die, vom Ladenmädchen angefangen bis hinauf zur Kaiserin, BüVer des Frohsinns sind ..., seitdem erscheint mir Paris grau und verdrießlich, erscheinen mir seine Frauen ausdruckslos, und die Räder seiner Wagen, als hätten sie Filzsohlen an. Nichts von der Heimat lächelt mir zu, nicht einmal unser Interieur.

Aus dem Tagebuch derBrüder • Edmund und Julius de Goncourt. Zeit dahin und dorthin, es war durch die undurchdringlichen Grenzsperren des Dritten Reiches zur Unmöglichkeit geworden. Ein übriges vollbrachte die Ausdehnung des Goebbels-Erlasses auf unser Land, der mit der Abschaffung derKritik und ihrem Ersatz durch eine reglementierte „Kunstbetrachtung“ dafür sorgte, daß an der so geschaffenen Situation nicht gerührt werden durfte.

Der lange Krieg riß die Entwicklung in der so angebahnten Richtung nur noch vehementer vorwärts und abwärts, bis mit der beschämenden Verordnung einer Stillegung der kulturellen Belange vom Herbst des Jahres 1944 dem Musikbetrieb auch in Österreich praktisch ein Ende bereitet wurde. Es folgten die Wochen, wo infolge eines sinnlosen Widerstandes ehrwürdige Stätten österreichischer Musikkultur in Trümmer fielen.

Kaum war der böse Spuk zerstoben, so begann sich in dem zerschlagenen Lande inmitten der Sorgen um die dringendsten Bedürfnisse eines kargen Alltags schon der Geist einer durch den köstlichen Erntesegen von Jahrhunderten geheiligten Tradition zu regen. Man suchte nun auch wieder die zerschnittenen Bande eines vordem blühenden Kulturaustausches mit den führenden Nationen herzustellen und aufzuholen, was durch sieben Jahre versäumt werden mußte. Manche stolze Weihestätte der Tonkunst war zerstört. Doch vergleicht man die Verluste, welche die Musik Österreichs in diesen schweren Jahren erlitten hat, mit denen, die den bildenden Künsten zugefügt worden sind, so ergibt sich für die Musik noch der geringere Verlust. Während kostbare Gemälde den Flammen zum Opfer fielen, konnte bei der Musik die eigentliche Substanz, praktisch unverlierbar, soweit sie heute noch lebendig fortwirkt, aus dem Inferno heil hervorgehen, so bedauerlich der Verlust mancher unersetzlichen „Fassung“ solch köstlichen Kleinods auch sein mag.

So konnte die Musik sich nach den Kampftagen als erste von den Künsten wieder zu Worte melden. Das Kleid war bescheidener, aber der edle Kern blieb. Man mußte innerhalb der Besatzungszonen mit den verfügbaren Mitteln auskommen, mußte Lücken in den Ensembles provisorisch schließen, Ersatz für zerstörte Auffühfungsstätten, für abhandengekommene Garderobe und verbrannte Dekorationen schaffen. Dabei zeigte sich, welch mannigfaltige Ausweichmöglichkeiten die musikalische Theaterstadt Wien auch jetzt noch besaß, wenn sie etwa der Staatsoper im Vo.ksoperngebäude, im Redoutensaal der Hofburg und im Theater an der Wien gleich drei Interimsbühnen zur Verfügung stellen konnte. Während man in Wien mit dem Grundstock des Orchesters der Wiener Philharmoniker und mit dem neugegründeten Verband der Wiener Symphoniker ein den vorläufigen Ansprüchen gerechtwerdendes Musikleben aufzubauen verstand, konnten in Salzburg geschickt improvisierte Festspiele gestartet werden, konnte Graz manche würdige Festaufführung gelingen. Die Programme und Opernspielpläne gewährten manchen jahrelang ausgesperrtem Werk Zugang. Der Anschluß an die Zeit wurde gesucht, indem man auch der neuen Musik willig die Tore öffnete. Die Neugründung der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für neue Musik, die schon wiederholt mit bedeutsamen Veranstaltungen hervorgetreten ist, bedeutete in dieser Richtung einen entscheidenden Schritt.

Auch die Wiener Operette und die Wiener Unterhaltungsmusik konnte ihren Aktionsradius erweitern, indem sie lange zu Unrecht zum Schweigen verurteilte Komponisten wieder zur verdienten Geltung brachte. Einem zeitweisen Abgleiten in das Kabarett- und Barwesen konnte gesteuert werden.

Der frische Zug einer Belebung und Erneuerung macht sich in der Kirchenmusik vorteilhaft geltend, welche die verlorenen Beziehungen mit dem Ausland wieder anknüpft und nach modernem Ausdruck drängt. Die Wiener Sängerknaben bilden nach wie vor ein beachtliches Posi-tivum, besonders auch der Pflege geistlicher Musik, und haben ihre internationale Geltung gewahrt.

Im musikalischen Erziehungswesen sind die Institute einer berühmten Tradition, wie die Wiener Staatsakademie für 'Musik, das Salzburger Mozarteum, wieder an die Spitze getreten. Die Musikschule der Stadt Wien hat in vollem Umfange ihre Arbeit aufgenommen. Für den Erziehungsfaktor kann sich die neuerstandene Ravag bewähren.

Mit der Schaffung einer demokratischen Presse in Österreich kommt auch die Musikkritik wieder zu ihrem Rechte. Auch dem Künstler hilft selbst eine verständnisvolle Kritik unter Umständen mehr als ein uniformiertes Lob.

Noch sind wir erst am Anfang und es ist gewiß kein Idealzustand, daß bei Auswahl der Künstler, bei Erstellung der Programme und Spielpläne vielfach eine geschickte Augenblicksimprovisation an Stelle von weitsichtiger Planung treten muß, daß in Dirigentenfragen eine befriedigende Lösung bis zur Stunde noch aussteht und dergleichen. Die ersehnte Aufhebung der Demarkationslinien und die Freizügigkeit im Verkehr über die Grenzen werden, wie im Wirtschaftlichen so auch im Künstlerischen, entscheidend zur Wiederherstellung normaler Verhältnisse beitragen. Die Musik zählte seit je zu Österreichs bedeutendsten Aktiven und ist auf dem besten Wege, sich diese Stellung wieder zu eroberu,

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