6605228-1954_14_07.jpg
Digital In Arbeit

Musik in biblischer Urlandschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Die Uraufführung der von Schönberg schon im März 1932 ifn Particell Vollendeten ersten zwei Akte der dreiaktigen Oper „Moses und Aron" als Oratorium in der Hamburger Musikhalle war wohl das interessanteste musikalische Ereignis der jüngsten Zeit. Schon die Fertigstellung der Dirigierpartitur und des Klavier- tuszuges sowie die sich über viele Monate erstrek- kende Einstudierungsarbeit gestalteten sich höchst aufregend Und wären wohl ohne das großzügige Mäzenatentum des Nordwestdeutschen Rundfunks nicht möglich gewesen. Nach Feststellung des mit einmütiger Begeisterung zustande gekommenen Erfolges der von Hans R o s b a u d geleiteten Uraufführung sei hier nur kurz auf die dichterischen und musikalischen Besonderheiten des einen gewaltigen Apparat (150 Orchestermusiker, drei Chöre, 20 Solisten) erfordernden Werkes hingewiesen.

Der in allen Teilen von Schönberg selbst vollendete Text, der die im zweiten Buch Mosis (Kap. 2, 3 und 32) beschriebenen Ereignisse in durchaus bekenntnishafter Form behandelt, ist als das religiöse und philosophische Hauptwerk des Künstlers aufzufassen. Der ęrste Akt führt in vier Szenen von der Berufung des Moses bis zu dem Entschluß des Volkes Israel zum Auszug aus Aegypten. Gott spricht aus dem Dornbusch zu dem vor dem Wagnis zurückschreckenden Moses, dem er Aron als tatkräftigen Helfer an die Seite stellen will. In der Zwiesprache, die die Brüder in der Wüste halten, treten die Gegensätze ihres Wesens, die den eigentlichen Inhalt des Dramas bilden, scharf hervor: Moses, der Denker, der gottnahe Mystiker, der in tiefem, erleuchtetem Glauben den Unsichtbaren „begreift"; Aron, der Worte und der Taten mächtig, ganz Wirklichkeitsmensch, der die Existenz Gottes nur aüs Zeichen und Wundern erkennen und anderen erkennbar machen kann. Drei von ihm gewirkte Wunder (die Verwandlung des Stabes in eine Schlange, die Hervorrufung und die Heilung des Aussatzes, die Verwandlung von Wasser in Blut) sind es auch, die das sich gegen einen unsichtbaren Gott sträubende Volk zum Aufbruch in das Land der Verheißung veranlassen. Der zweite Akt zeigte das ungeduldige Harren Arons und des Volkes auf den auf dem Berge Sinai weilenden Moses, die Orgie vor dem von Aron zur Beruhigung des Volkes geschaffenen goldenen Kalb, den Zorn des Moses, der das Götzenbild vernichtet, und die Auseinandersetzung zwischen Möses und Aron,

in der Moses die Gesetzestafeln zertrümmert und in Verzweiflung ausbricht: „So bin ich geschlagen! So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, und kann und darf nicht gesagt werden! O Wort, du Wort, das mir fehlt." Der dritte von Schönberg nicht komponierte Akt bringt das Gericht, das Moses über Aron hält, den Beweis für Arons Schuld, der, selbst dem Ursprung, dem Gedanken entfremdet, das Volk der Gottesidee abtrünnig gemacht hat, und der, als ihm die Freiheit wiedergegeben wird, tot zusammehstürzt. Das Los, das dem Volk Israel auferlegt ist, enthüllt Moses mit den Worten: „Immer, wenn ihr die Wunsch- losigkeit der Wüste verlaßt und euere Gaben euch zur höchsten Höhe geführt haben, immer werdet ihr wieder heruntergestürzt werden vom Erfolg des Mißbrauches, zurück in die Wüste… Aber in der Wüste seid ihr unüberwindlich und werdet das Ziel erreichen: vereinigt mit Gott." In diesen letzten Worten ist auch das jüngste Schicksal des Judenvolkes beschlossen, wie Schönberg es empfand und wie er es in seiner Oper als tönende Prophetie faßlich machen wollte.

Die musikalische Darstellung dieser Botschaft enthält die Summe aller Erfahrungen und Errungenschaften von Schönbergs langem, opfervollem, in seinem Ablauf höchster geistiger Einheit zustrebendem Künstlerleben. Die strukturelle Einheit des Werkes wird durch eine Zwölftonreihe verbürgt, auf die jeder der über zweitausend “Takte der Oper bezogen werden kann. Die klangliche und formale Mannigfaltigkeit innerhalb dieses strengen Bezugssystems ist aber beispiellos: angefangen von der eigentümlichen gläsernen Färbung der Dornbuschszene und der scharfen Scheidung der Stimmen des Moses (rhythmisches Sprechen iff der von Schönberg 1912 für den „Pierrot Lunaire" erfundenen Deklamationsart) und des Aron (hochexpressive Tenor- kantilenen) bis zu den polyphonen Gebilden der Volkschöre, den Flüsterstimmen der auf Moses Harrenden, den ekstatischen Rufen der sich vor dem goldenen Kalb Opfernden, der kühnen Untermalung der Wunder des Aron, den in ihrer scheinbaren Primitivität die „biblische Urlandschaft" auch musikalisch erfüllenden Rhythmen der Tanzorgie. Angesichts der Schwierigkeiten, die das Werk der musikalisch-szenischen Gestaltung darbietet, erschien die . in Hamburg mit großem Erfolg praktizierte Wiedergabe als Oratorium gegenwärtig als die beste und legitimste Lösung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung