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Musik mit Witz

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Das Lächeln, der Humor werden in der Kunst geringer geschätzt als ernste, tragische Werke. Über das Lachen nachzudenken, laden diese Beispiele ein.

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Das Lächeln, der Humor werden in der Kunst geringer geschätzt als ernste, tragische Werke. Über das Lachen nachzudenken, laden diese Beispiele ein.

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Der Musikkritiker Eduard Hanslick beneidete das italienische Publikum, das 1813 bei den ersten Vorstellungen der Oper „Die Italienerin in Algier" von Gioacchino Rossini sich die Tränen von den Wangen wischte und froh war, „wenn eine sentimentale Nummer den Spaß unterbrach".

Richard Wagner setzte einen der Marksteine im Verhältnis Deutschlands zu Ernst und Komik, indem er Humor mit Seichtem und Komik mit mangelndem Tiefgang identifizierte - und Johann Nestroy zu Parodien inspirierte. Das deutsch-österreichische Konzertpublikum verknüpfte fortan klassische Musik mit Tränen und Leid, Genius mit Unglück. Beethoven paßte besonders gut in diese Bezepti-on.

Als der „deutsche Michel" in der Gegenwart wieder lachte - beispielsweise im Blödelpop deutscher Provenienz - war es „die Angst des humorlosen Klotzes, der nicht länger ein Spielverderber sein wollte" - identifizierte Susanne Fischer im Spiegel-Special Heft „Musik - Lust fürs Ohr".

Was die Sprache — zwar nicht wissenschaftlich nachweisbar, aber doch - kann, schafft die Musik kaum: Ironie auszudrücken. Als Wilhelm Ki-enzl, einer von etwa 200 Komponisten des Don Quichote, an diesem Opernstoff scheiterte, meinte er, daß das Problem der Ironie bis dahin erst bei Mozarts „Figaro" gelöst worden war: „Der Darsteller des Don Quichote muß voll Hoheit, Würde und Bitterlichkeit sein, mit der heiligen Überzeugung einer großen Mission, einerseits völlig humorlos, andererseits überspannt". Kienzls Oper fiel durch: das deutsche Publikum wollte entweder nur lachen oder nur weinen.

Für die amerikanische Verweigerung des Lachens dürfte der protestantische Puritanismus verantwortlich sein, diagnostizierte Grete Wehmeyer im Spiegel-Special-Heft. Nach einem Konzert Jacques Offenbachs ereiferte sich die gesamte New Yorker Musikkritik und sogar der Ire George Bernard Shaw über „Liederlichkeit" und „Unmoral" des Erfinders der Operette.

Manchmal erreicht Musik ihre Zuhörer schneller als eine lange verbale Einführung. „Bei einer bekannten Melodie lachen alle sofort", sagt Simpl-Chef Niavarani.

Es gibt Musikstücke, die das Humorvolle suggerieren - die Humoreske, das Scherzo, die Burleske. Aber grundsätzliche Überlegungen zur musikalischen Form des Phänomens Humor gibt es nicht. Versuche über „das Humoristische oder das Launige" in der Komposition sind zahlreich.

In jüngster Zeit hat der Wiener Musikwissenschaftler Wolfgang Fuhrmann mit einer unpublizierten Arbeit über den Witz bei Joseph Haydn den Ernst-Krenek-Preis erhalten. Bei Metzler erschien die Studie Mirjam Schadendorfs „Humor als Formkonzept Gustav Mahlers". Mahlers musikalischer Humorbegriff fußt in Jean Pauls poetischem Humor, der auch für Robert Schumann Quelle der Inspiration war. Schumann verteidigte die Musik gegen die Sprache und sprach ihr die Kraft zu, auch ohne Text niedrig-komische Empfindungen ausdrücken zu können.

Mahler wiederum nannte Beethoven „den wahren Begründer des Humors" . „In seiner C-Dur-Symphonie -welcher Humor ist da drin", soll er zu Nathalie Bauer-Lechner ausgerufen haben. „Haydn und Mozart haben zwar Witz und Heiterkeit, aber noch nicht Humor."

Während Haydn sich auf diplomatische Weise musikalisch ausdrücken könnte - siehe die „Abschiedssymphonie" - schlüpfte Mozart selbst in das Gewand des Hanswurst. Er baute sich seine Bühne in den Briefen und spielte darauf Hanswurstiaden. Karoline Pichler erzählt, daß er ernsthaft am Flügel saß, plötzlich aber „über Tische und Sessel sprang, wie eine Katze miaute und wie ein ausgelassner Junge Purzelbäume schlug". In seinem Textfragment „Die Liebesprobe" kommt der Wurstel vor, auch in einer Skizze „Der Salzburger Lump in Wien". Mozarts heute höchst unmoralischer Fäkal- und Sexualhumor wurde schon im 19. Jahrhundert von spröden Verlegern umgedichtet: statt „Leck mir den Arsch recht schön sauber" heißt es nun „Nichts labt mich mehr".

Erschreckend finden Komik-Forscher die mangelnde Kompetenz des Publikums, an den komischen Stellen zu lachen - sei es beim „Bosenkavalier", bei Mahlers Symphonien, bei Mozarts „Figaro". „Eine überzogene Bürgerlichkeit mag aus dem Konzert eine Kirche gemacht haben", sagt der Theaterwissenschaftler Gerhard Scheit.

Nahezu unglaublich, was Leonard Bernstein erzählte: Er hätte sich bei Prokofieffs „Symphonie classique" vor Lachen auf dem Boden gewälzt.

Komponisten, die mit Spaß musikalisch umgehen können, streben die wirtschaftliche Verwertungskategorie der E-Musik deswegen an, weil dies höhere Tantiemen bringt.

Die musikalischen Parodien Peter Planyavskys, Domorganist zu St. Stephan, kreisen - unverlegt und auf keinem Tonträger erschienen - als Musikkassetten unter Musikfreunden. Als Barockkomponist des 20. Jahrhunderts, „P. D. Qu. Bach" hat er seine Kompositionen als Fundstücke deklariert und bislang unbekannten Verwandten Bachs, Haydns oder Mozarts zugeschrieben. Seine Kantate

„Der zufriedengestellte Autobus" von einem „P. P. Bach" wird - jeweils adaptiert für den Aufführungsort von Wien bis Tirol und Leipzig - von ersten Orchestern gespielt. Planyavskys „Ankunftssymphonie" von Joseph P.(apa) Haydn dreht das Spiel um, und läßt die Musiker einen nach dem andern hereinkommen. Von den Ausführenden verlangt die Collage-Technik, die in witziger Weise die Highlights der Musikgeschichte von Gershwin bis Mozart, von Ravel bis Beethoven verbindet, die Ernsthaftigkeit des großen Konzerts. „Wenn die Orchestermusiker erstmals lachen, weiß man, es wird gehen. Wie bei einem guten Kriminalfilm muß der Hörer ein bißchen mehr wissen als der Spieler. Er erwartet dann bestimmte musikalische Abläufe und wird enttäuscht."

Mehr und mehr will das bürgerliche Konzertpublikum klassische Musik in höchster Perfektion aber mit Witz serviert bekommen: das Canadi-an Brass Quintett im Konzerthaus war ein Publikumshit. Ein österreichischer Geheimtip ist das „Dschungelorchester", das mit Performance und Kabarett-Einlagen - einem Dreiklang aus drei Tritonshörnern - überrascht.

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