Musik-Odyssee durch Wien

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Otto Brusatti streift wie ein Ulysses durch die Weltstadt der Musik und gibt allerlei Spöttisches und Interessantes von sich.

Zornig stapft er den Beethovengang entlang, auf den Kahlenberg zu, im Kopf Beethovens Pastorale - eine Musik, die ausreicht für einen ganzen Tag -, vor Augen aber den unwürdigen Dreck im Schreiberbach. Wenn die Sechste Symphonie hier entstanden ist, der 2. Satz sogar hier spielt: dann gehört dieser Ort doch zu den wichtigsten Musik-Erinnerungsstätten weltweit - der Anblick entspricht dem aber nicht gerade. Die Weltmusik-Strecke gibt sich eindeutig nicht auratisch, schimpft der Musikwissenschaftler Otto Brusatti. Der Autor, vielen Ö1-Hörern aus Sendungen wie "Pasticcio" und "Apropos Klassik" bekannt, ist schonungslos, aber er ist nicht immer so böse. Vor allem aber schöpft er auch in seiner neuen Publikation "Wien. Musik. Eros und Thanatos" aus dem Vollen, wenn er der Musik nachgeht, die hinter und vor allem spielt, in dieser "seltsamsten und dichtesten Musikstadt der Welt".

Hinter allem und vor allem

Wie Joyces Ulysses streift Otto Brusatti durch die Stadt, eine Odyssee, deren einzelne Stationen sich in der Wiener Innenstadt ebenso finden wie auch in den Randbezirken. Bis zum Kahlenberg eben. Kein Gebäude scheint es zu geben, das Brusatti nicht mit Musik verbinden kann. Nicht nur das, auch in Texten lässt sich Musik hören, wie in Ingeborg Bachmanns Musikroman "Malina", der den Autor durch den 3. Bezirk führt.

Otto Brusatti nimmt kein Blatt vor den Mund. Weder kennt er Scheu vor vergangenen Größen (O-Ton über Haydns Schöpfung: "Die Entwicklung der Welt ist laut Schöpfung so etwas wie ein Kindergarten-Krippenspiel"), noch vor gegenwärtigen Institutionen: Gelegenheiten für Seitenhiebe auf die Wiener Kulturpolitik, auf Vereinsmeiereien und Fördermentalitäten gibt es seiner Ansicht nach genug.

Und tatsächlich entbehrt einiges nicht der Komik: denn was hat auf der "Musik-Meile Wien" (Stern-Steinplatten im Trottoir), die den Anspruch hat, Wiens Musik-Klassiker zu nennen, was hat auf diesem "Walk of Fame der Klassischen Musik" ein Stern für Steven Spielberg zu suchen? Aber auch vor den anderen Künsten macht sein Spott nicht Halt und den Touristen zum Trotz bezeichnet er das Hundertwasserhaus als "aufgemascherlten Schaas mit Quasten", als "überdimensioniertes und hypertroph gebautes und gelacktes Fast-Food."

Man merkt es schon: Das Buch wird viele zum Widerspruch reizen, worauf es wohl auch angelegt ist (einiges hat der Autor selbst schon vorweggenommen). Ein witziges Buch, der Stil poetisch bis flapsig. Ein anspruchsvolles Buch, nicht voraussetzungslos - es ist gut, wenn man schon ein wenig zu Hause war bei der Musik, bevor man sich auf diese Odyssee begibt. Dann kann man die Musik in Brusattis Texten vielleicht sogar hören.

In der Oper, auf der Straße

Durch das Buch begleiten Ludwig van Beethoven, Richard Wagner, Franz Schubert, Arnold Schönberg und Alban Berg. Wiens Musikszene ist dabei nicht nur die der Oper, wo - so Brusatti - in der Pause jeder zum Experten wird, sondern ebenso die der Straße.

"Erzählte Musik ist wie beschriebenes Mittagessen" soll Franz Grillparzer einmal gesagt haben, ein Autor, den Otto Brusatti (erstaunlicherweise) weniger zu schätzen scheint. In der Tat ist dieses Buch kein Ersatz fürs Hören, aber in vielen Fällen vielleicht, ja sicher dessen Ausgangspunkt. Der Genuss beim Lesen selbst fehlt aber ganz und gar nicht.

Und ab und zu darf auch ein Musikwissenschaftler sich eine gute Mehlspeise im einen oder anderen Kaffeehaus gönnen - was er auch tut. Somit ist das Buch auch als kulinarischer Wien-Begleiter durchaus brauchbar.

Wien. Musik

Eros und Thanatos. 18 Wege

Von Otto Brusatti. Mit Photographien von Sepp Dreissinger

Böhlau Verlag, Wien 2003

240 Seiten, geb., e 25,60

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