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Musik, Politik, Geschäft und Technik

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Musik im Schatten der Politik. Erinnerungen von Berta G e i ß m a r. 3. Auflage. Atlantis-Verlag, Zürich und Freiburg im Breisgau. 302 Seiten. Preis 11.45 sfr.

Die erste (englische) Ausgabe dieses Buches erschien noch während des Krieges, 1944. Die erste deutsche Edition, ein Jahr später, war für viele eine aufregende Lektüre. Manches, über das man während der NS-Zeit gemunkelt hatte, wurde jetzt, durch das Zeugnis einer couragierten Frau, aufgeklärt. Emil Preetorius bezeichnet sie als ein Wesen von unbekümmerter Subjektivität, mit einer besonderen Art von Mangel an Takt, der, recht verstanden, nur ein Ueberfluß war von Hingabe und Erfülltheit. Erfüllt war diese Frau, die einer wohlsituierten Mannheimer Familie entstammte und, 1910 als erstes weibliches Wesen reine Philosophie studierte, von ihrem Beruf als Sekretärin der Berliner Philharmoniker, später von Sir Thomas Beechams Orchester. Hingegeben war sie in unermüdlichem Dienst und Einsatz dem von ihr über alles verehrten Wilhelm Furtwängler, dessen Bekanntschaft sie während des ersten Weltkrieges in ihrem Elternhaus gemacht hatte, dessen Sekretärin sie seit 1921 in Berlin war und dem sie bis zu ihrer Emigration nach England im Jahre 1936 diente. So ist der überwiegende Teil dieses Erinnerungsbuches eine Apotheose Furtwänglers, vor allem des Menschen, den seine echte Verbundenheit mit dem deutschen Kulturerbe in einen harten inneren Konflikt trieb, als nationalsozialistische Kulturbeamte und Minister, Konjunkturisten und Hitzköpfe sich anmaßten, das geistige und künstlerische

Leben Deutschlands zu dirigieren. Furtwängler ging, zur Nichtemigration entschlossen, bis an die äußerste Grenze des Widerstandes. Das bezeugt Berta Geißmar einwandfrei. Aber sie hat, als scharfe Beobachterin und talentierte Erzählerin, noch allerhand anderes zu berichten aus jener Zeit zwischen den beiden Kriegen, die so vielversprechend bewegt war und der von denen, die an ihren Errungenschaften und künstlerischen Abenteuern überhaupt nicht beteiligt waren, ein so brüskes Ende bereitet wurde. Aber nicht überall auf der Welt. Und als Berta Geißmar in Berlin und Wien, die sie beide liebte, nicht mehr für ihren Meister wirken konnte, ging sie nach England, wo sie in den Dienst Sir Thomas Beechams trat. Hiervon handelt der letzte Teil ihres lesenswerten Buches.

Der wissende Sänger. Ein Gesangslexikon in Skizzen. Von Franziska Martienssen-Loh-m a n n. Atlantis-Verlag, Zürich und Freiburg im Breisgau. 456 Seiten. Preis 19.70 sfr.

Die Autorin, selbst noch Schülerin des großen holländischen Sängers Johannes Messchaert, ist eine Gesangspädagogin von Weltruf. In 312 alphabetisch geordneten Essays zieht sie die Summe ihres Wissens und ihrer künstlerischen Lebenserfahrung. Sie tut das auf die natürlichste und einfachste Art, so daß Beruf ssänger, Musikkenner und musikinteressierte

Laien von der Lektüre dieses Buches den besten Nutzen haben können. Sie behandelt subtile künstlerische Fragen, scheut aber auch nicht vor sehr konkreten, wirtschaftlichen Aspekten des Sängerberufes zurück. Einige Kapitelüberschriften (Buchstaben A bis E) mögen eine Vorstellung vom Radius dieses originellen „Lexikons“ geben: Abenteuer des Gesangsstudiums, Absolutes Tonbewußtsein, Agenturen, Akustik, Akzente, Arie, Artikulation und Aussprache, Atem, Ausdruck, Bach-Sänger, Bayreuth, Beifall, Belcanto, Bewußtes Singen und Ganzheitsgefühl, Bruchstellen im Stimmumfang, Brustresonanz, Bühnensprache, Buffo, Chorgesang, Canta-bile, Deklamation, Dialog, Diktion, Dilettantismus, Disziplin, Dramatische Stimmen, Duftigkeit des Klanges, Durchschlagskraft, Eidetik und Erlebnis, Einbildung und Eitelkeit, Einsatz und Ansatz, Ensemblegeist, Eros, Erstaunen als Einstellung, Examina, Experiment usw. — Man sieht die Fülle der Gesichtspunkte, und vielleicht wird der Leser Lust bekommen, sich auch durch die übrigen Buchstaben des Alphabets von dieser klugen, universal gebildeten Frau führen zu lassen.

Musik des technischen Zeitalters. Von Fred K. P rieb erg. Atlantis-Musikbücherei. 176 Seiten. Mit 5 Abbildungen. Preis 8.75 sfr.

Das schmale Buch, in dem eine große Arbeit Steckt und in dem ein schwer zugängliches Material ausgebreitet wird, ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste behandelt — nach einer Einleitung über den Einbruch der Technik in die neue Musik — die frühen elektronischen (eigentlich wohl: elektrischen) Spielinstrumente von Theremin, Mager, Martenot und Trautwein. Der zweite ist der „konkreten Musik“ der Pariser Schule Pierre Schaeffers gewidmet, wohl zu unterscheiden von der „deutschen Schule“: den Experimenten und Arbeiten des Kölner Studios für elektronische Musik, deren Hauptvertreter, Eimert und Stockhausen, auch bei uns bereits bekannt wurden. Priebergs Buch endet mit einem Kapitel, das er „Fernblick“ überschreibt. Und der erstaunte — und erfreute — Leser stellt mit Beruhigung, fest, daß ihm zu guter Letzt für die Zukunft nicht eine Musik des Weltalls mit elektronischen Instrumenten in Aussicht gestellt und gepredigt wird, sondern lediglich „die Herstellung einer Klangkulisse, also einer anspruchslosen und unterhaltenden Musik, die dem Ideal der frühen zwanziger Jahre etwa entspricht, der musique d'ameublement“. Wir erinnern uns: Eric Satie war ihr Erfinder, und das Ganze lief auf einen Scherz hinaus. Aber das kann Prieberg — nach soviel

gründlicher Ernsthaftigkeit seiner ersten drei Kapitel — doch nur im Scherz meinen ...

Musikführer Wien. Von Kurt B 1 a u k o p f und Herta Singer. Verlag für Jugend und Volk, Wien. 110 Seiten. Preis 59 S.

Dieser Bericht über eine „Entdeckungsreise in die Hauptstadt der Musik“, wie das sehr gefällig ausgestattete Büchlein in Querformat im Untertitel heißt, ist, so erklären die Autoren im Vorwort, „im Geist der Wiener Gemütlichkeit geschrieben und will gemütlich gelesen sein“. Es wendet sich zunächst an die auswärtigen Besucher Wiens, aber auch der Eingeborene wird manches Nützliche erfahren. Denn die beiden Verfasser sind wohlunterrichtet über Wiens sämtliche große und kleinere Musikinstitute, über das Historische und die soziologischen Hintergründe des Musikbetriebes und anderes, das wenig bekannt, doch interessant ist. Und sie verstehen zu plaudern. Man liest mit Vergnügen ein Kapitel um das andere, betrachtet die zahlreichen Photos und Vignetten, und hat, auf der letzten Seite angelangt, allerhand dazugelernt. Studiert man das Büchlein dann noch einmal, nicht gerade „ungemütlich“, aber doch kritisch, so kommt man darauf, daß einige Proportionen nicht ganz stimmen und daß manches den Wienern ein wenig zu sehr nach dem Munde geredet ist. Den Musikverein und Herrn Effenberger, sein Faktotum, in hohen Ehren — aber hierfür 14 Spalten, und für die Nachbargesellschaft, das Konzerthaus, wo seit zehn Jahren etwa neun Zehntel aller zeitgenössischen Werke aufgeführt wurden, nur etwa ein Drittel dieses Platzes — das entspricht nicht den Realitäten des Wiener Musiklebens, auch wenn man die Tradition noch so hoch in Rechnung stellt. — Einige kleine, sachliche Errata mögen bei einer Neuauflage, die dem klugen Büchlein zu wünschen ist, berichtigt werden: Zuallererst ließ Straussens „Salome“ ihre Schleier nicht in der Volksoper (1910), sondern im Deutschen Volkstheater (1907)“ bei einem Gastspiel der Breslauer Oper fallen (S. 28). Adolf Müller, nicht Wenzel Müller, war der Komponist Nestroyscher Couplets (S. 31). Die Gluck-Statue neben der Karlskirche ist eine Kopie (S. 60). Mozarts Beisetzung „bei Sturm und Regen“ in einem „Massengrab“ ist, wie die neuere Forschung erwiesen hat, rührende Legende: es herrschte damals eher schönes Wetter, und das Begräbnis 3. Klasse in einem Schachtgrab war unter den gegebenen Umständen gewissermaßen das normale. Aber, um wieder gemütlich zu reden: ein hübsches, gescheites und instruktives Büchlein, das man sich und seinen ausländischen Freunden gern schenken mag.

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