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Musik und Musiker der Gegenwart

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Das erste Werk dieser Reihe ist eine Neuauflage der kurz vor dem Krieg erschienenen Studie über Beethoven und Wagner im Pariser Musikleben. Der Verfasser öffnet einige damals erzwungene Striche und bekennt sich heute wie ehedem zum europäischen Gedanken, dessen Verwirklichung in erster Linie durch die kulturellen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Deutschland und Frankreich gefördert werden kann. In dem dargestellten Zeitraum war der empfangende Teil Frankreich, wo durch die Musik Beethovens und Wagners eine machtvolle romantische Welle ausgelöst wurde. Sie sprengte die Dämme der klassischen französischen Traditioa und trug auf ihrem Höhepunkt das Werk von Hector Berlioz. Erst De-bussy, dessen Werk Assimilation und Oberwindung zugleich des Wagnerschen Einflusses spiegelt, gelingt es, an der Schwelle der Gegenwart die autodvthone Tradition wieder aufzunehmen.

In einem neuen Debussy-Buch ergänzt Danckexjt nicht nur die bekannten Monographien von Decsey, Strobel, Ließ und anderen, sondern revidiert auch eine ganze Reihe von Begriffen und Schlagworten, die sich an das Werk des französischen Meisters geheftet haben. Diese Revision reicht vom Stammbaum Debussys (der väterlicherseits höchstwahrscheinlich in Italien wurzelt) über das Schlagwort vom Impressionismus bis zu den subtilsten Fragen, die Danckert nicht nur stellen, sondern auch auf die präziseste Art zu beantworten versteht. Hiezu ist der Autor durch gründliche Kenntnis des Werkes und der gesamten Debussy-Literatur — bis hinab zu kleinen Aufsätzen in kaum greifbaren Zeitschriften — befähigt. Besonders hervorzuheben sind: das vollständige Verzeichnis der schriftstellerischen und kritischen Versuche Debussys sowie eine ausführliche, über zwanzig Seiten umfassende Bibliographie einschließlich der Briefpublikationen.

Das Schwergewicht der ersten deutschsprachigen Ravel-Monographie liegt, dem Leitgedanken der .Musikerreihe“ des verdienstvollen Verlages entsprechend, auf der Biographie. Das überaus sympathische und eindrucksvolle Bild eines der größten Künstler der Gegenwart setzt sich aus Zügen zusammen, von denen nur einige nachgezeichnet seien: Ravels geistige Herkunft aus der Welt des Dixhuitiime (Diderot und Condillac: .Die Wahrheit durch die Sinne'), seine Schwärmerei für jenes Griechenland, wie es sich die französischen Künstler am Ende des 18. Jahrhunderts eingebildet und ausgemalt haben, sei 5 Vorliebe für Spielzeug und

Automaten, Märchenstoffe und Feerien, die Faszination durch den Orient, schließlich, als besonders einprägsamer Zug: seine scheue Zurückhaltung vor der Öffentlichkeit und die erbitterte Ablehnung jeder Art von offizieller Auszeichnung.

Die von Gottfried von Einem ins Deutsche übertragene Strawinsky-Monographie Whites stützt sich — selbstverständlich — vor allem auf Strawinskys .Croniques de ma vie“, die der Autor durch viele sehr wissenswerte Details ergänzt hat. Bewunderungswürdig, wie bei Danckert, ist die vollkommene und vollständige Kenntnis des kompositorischen Werkes. Diese geht bei White so weit, daß er einzelne Takte, die der Komponist aus früheren Werken in spätere übernommen hat, zu identifizieren vermag. Mit dem im ganzen positiven, aber keineswegs kritiklosen Urteil des Autors kann man durchaus einverstanden sein. Die überaus bewegliche Intelligenz des Komponisten Strawinsky und sein weitgespannter künstlerischer Horizont haben in White einen wirklich berufenen Darsteller gefunden. Dies vor allem, aber auch die suggestiven Werkdeutungen, machen das Buch auch für den Nichtmusiker zur spannenden Lektüre.

Wer die Geschlossenheit und Strenge der gegenwärtigen sowjetischen Kunstlehre kennenlernen will, kann sich aus dem Büchlein von Martynow über Schostakowitsch ein genaues Bild machen. Der linientreue Musikschriftsteller, übrigens ein ausgezeichneter Fachmann, ist zugleich Verehrer und Kritiker des dargestellten Lebenswerkes. Schostakowitsch wird bewußt an das vorläufige Ende der großen russischen Tradition gestellt, die bei Glinka beginnt und über Tschaikowsky und Rymski-Korsakow, zu Glasunow reicht, der im Jahre 1919 den jungen Schostakowitsch in das Petersburger, jetzt Leningrader, Konservatorium aufnahm. Aufschlußreich ist die Schilderung des Leningrader Musiklebens in den zwanziger Jahren, als, durch die .Assoziation für zeitgenössische Musik“ gefördert, westliche Einflüsse dominierend waren. Es war die Zeit, da in Oper und Konzert die neuesten Werke von Strawinsky und Hinde-mith, Schönberg, Berg und Krenek gespielt wurden. Hier ist, nach der Ansicht Martynows, der Herd für alle jene Gefahren zu erblicken, denen Schostakowitsch in der mittleren Epoche seiner Produktion nicht entging und die er erst mit der V. Symphonie zu bannen vermochte: seine Vorliebe für Abstraktion und Konstruktion, für das Automatische und für die Parodie, welche bis zum .nihilistischen Leugnen der ästhetischen Werte der Vergangenheit“ führten. Außer den großen russischen Musikern der Vergangenheit wird aber auch der Einfluß Bachs, der Wiener Klassik, ja sogar audi der Strawinskys gutgeheißen. Dagegen scheint die Beurteilung MahlcTs, dem Schostakowitsch sicher viel verdankt, zwiespältig. Sehr eindrucksvoll ist das umfassende Werkverzeichnis am Ende dieser Studie, aus welchem man ersieht, daß die zehn Symphonien tatsächlich nur einen Bruchteil des gesamten Opus ausmachen Was der aufmerksame Hörer der Musik von Schostakowitsch längst vermutete, wird durch Martynow bestätigt: die unwahrscheinliche Leichtigkeit und Schnelligkeit der Produktion dieses bedeutenden russischen Komponisten.

In der Geschichte der zeitgenössischen deutschen Musik besteht eine Lücke, die etwa vom Anfang der dreißiger Jahre bis zum Ende des zweiten Weltkrieges reicht. Innerhalb dieser Zeitspanne schrieben nichtemigrierte deutsche Komponisten zahlreiche Werke, die zwar nicht verboten, aber auch im Lande nicht gerade gern gehört wurden. Karl Laux vermittelt uns in zweiundzwanzig Kurzmonographien die Kenntnis dieser Kompositionen. Die bekanntesten Komponisten dieser Reihe sind: Helmut Degen, Hugo Distler, Werner Egk, Wolf gang Fortner, Kurt Hessen berg, tftrl Orff, Ernst Pepping, Hermann Reutter und Rudolf Wagner-Regeny. (Weshalb fehlt Boris Blacher?) Für die Sammlung dieses schwer zugänglichen Materials, das eine Fundgrube für Dirigenten, Solisten und Konzertunternehmer sein könnte, muß man dem Autor wirklich dankbar sein. Dagegen stehen in der Einleitung des in Dresden wohnenden Verfassers einige programmatische Sätze, die geeignet sind, unsere Freude zu trüben — wie seinerzeit, nur mit anderem Vorzeichen, einige ähnlich klingende, in der Brahms-Biographie des gleichen Verfassers, die 1944 erschienen war.

Musizieren und Selbstdarstellung des ehemaligen Dresdner Generalmusikdirektors Fritz Busch ergeben einen wohltuenden Einklang. Wir kennen nur sehr wenige Autobiographien, deren Verfasser so entschieden darauf verzichtet, sich als zeitlose Gestalt zu sehen und dieser ein Monument zu errichten. Scharfe Beobachtungsgabe, Humor und Selbstironie sind die erfreulichen Eigenschaften des Menschen und Schriftstellers Fritz Busch, der auf ein reiches, in der Jugend abenteuerlich bewegtes Künstlerleben zurückblickt. Dieses Buch kann vorbehaltlos dem Musikfreund jeder Couleur zur vergnüglichen Lektüre empfohlen werden.

Seine gesammelten, in der .New York Herald Tribüne“ erschienenen Konzert- und Opernreferate aus den Jahren 1940 bis 1944 bezeichnet Virgil Thomson, der bekannteste amerikanische Musikkritiker und erfolgreich

Komponist, als .die Meinungen eines Mannes aus Missouri, der sie in seiner Arbeit erworben hat“; der Kunst gegenüber ist er bemüht, .eine ehrliche, gerade und durchschnittlich vernünftige Haltung' einzunehmen. Wer den Bildungsgang Thomsons kennt, der übrigens auch viele Jahre in Paris gelebt hat, und wer diese glänzenden Essays liest, wird nicht umhin können, den Verfasser einer typisch amerikanischen Koketterie zu bezichtigen. Denn Thomson besitzt nicht nur ein gesundes und treffsicheres Urteilsvermögen, sondern auch eine fast unfaßbare Kenntnis des Materials, die von der Technik des einzelnen Instruments und der menschlichen Stimme über das kompositorische Handwerk und das gesamte Gebiet der Musikgeschichte bis zur komplizierten und hintergründigen Mechanik eines Opernbetriebes reicht. Alle diese Fähigkeiten und Kenntnisse, in einer Person vereint, stellen einen seltenen Glücksfall dar, zu ' dem es im deutschsprachigen Raum vielleicht nur noch ein einziges Gegenstück gibt: den 1940 verstorbenen Münchener Musikkritiker Alexander Berrsche. Was man aber vor allem von Thomson lernen könnte, ist der Gebrauch seines enoimen Fachwissens: Kompliziertes möglichst einfach zu sagen und nicht, wie es meist geschieht, umgekehrt zu verfahren. Was Freiheit und Rücksichtslosigkeit der Kritik bedeutet, kann man etwa an einer mitten im Kriege (1943) erschienenen Besprechung nachlesen (.In kriegerischer Aufmachung“), die bei uns nicht einmal im tiefsten Frieden denkbar wäre.

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