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Musikalische Visionen

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Im Mozart-Saal des Konzerthauses kon zertierte die aus zwölf Instrumentalsolistei bestehende „Musica Viva Prägen s i s“, ein, wie man nach den ersten Spiel minuten konstatieren konnte, in der Wie dergabe schwierigster moderner Werk; wohltrainiertes Ensemble. Der Autor de ersten Stückes — „Affekte", für dre Streicher, drei Holzbläser und Klavier — Zbynek Vos trak, Jahrgang 1920, be dient sich des heute zwischen Tokio un San Franzisko allgemein gebräuchliche! Esperanto, das durch die auf Weben fußende serielle Technik und das entspre chende Klangbild charakterisiert ist (Weite Intervallsprünge, abrupter Wechse von ff und pp, Glhatidi der Streiche usw.) In der siebenten Minute des insge: samt acht Minuten währenden Stücke schiebt der Klavierspieler das Notenpul zurück und zupft und klopft die bloßei Saiten. Auch dies — wie seit Cage üblich Ladislav Kupovnik, Jahrgang 1936 ist ebenfalls ein ganz Moderner, dessei Komposition, „Gespräche“, vor allen wegen der Beschränkung auf zwei Instru mente (Flöte und Fagott) einen geschlosse neren Eindruck macht. Jan Rych1ik Jahrgang 1908, kann in seinem „Afri kanischen Zyklus" den versierte! Bühnen- und Filmkomponisten nicht ver leugnen, obwohl, was er produziert, keinesfalls gefällige Dutzendware ist. Die knapp 15 Minuten dauernde Suite für sechs Bläser und Klavier erinnert mit ihren tierisch-wilden Bläserschreien, die eine Mossolowsche Eisengießerei umgellen, lebhaft an die Hervorbringung der Bruitisten der zwanziger Jahre. Aber gemacht ist das sehr effektvoll und virtuos, und die Prager Musiker spielen diese Stücke mit geradezu verbissenem Eifer.

In eine andere Welt führte- uns (im zweiten Teil des Programms) Olivier Messiaen (Jahrgang 1908) mit seinem in einem schlesischen Kriegsgefangenenlager geschriebenen „Quatour pour la fin du Temps“ von 1941, das eben dort vor 5000 Gefangenen aus vielen Nationen durch einen Geiger, einen Klarinettisten, einen Cellisten (dessen Instrument nur drei Saiten hatte) und den Komponisten an einem verstimmten Flügel uraufgeführt wurde. „Das Ende der Zeiten“ meint nicht das Ende der Gefangenschaft, sondern, wie Messiaen später erläuterte, „das Ende unseres Gefühls für

Vergangenheit und Zukunft, den Beginn der Ewigkeit“. Die acht Sätze sind musikalische Visionen der Apokalypse: die Vokalise der Engel, das Lob von Jesu Ewigkeit und Unsterblichkeit, ein Tanz des Zornes, Feuerschwerter am Himmel, I avaströme und aufflammende Sterne. Gemessen an der Größe des Gegenstandes müsse, so schreibt Messiaen bescheiden, seine Musik „natürlich nur Versuch und Gestammel bleiben“. So kühn damals die Mittel dieser auf weite Strecken taktfreien Musik waren, so klassisch und maßvoll erscheint das etwa 40 Minuten dauernde Werk heute. Und wie schön ist es zu spielen! Wie glücklich und entspannt wirkte etwa der (ausgezeichnete) Cellist, der die große Kantilene des fünften Satzes spielen darfi. Und der Hörer freut sich mit ihm. ohne durch die Faurėsche Süße einzelner Teile im geringsten geniert zu sein …

Tm Mittelpunkt eines von Istvan K e r- t e s z dirigierten Konzertes der Wiener Symphoniker stand eine Orchestersuite von Paul Hindemith, die aus seinem 1938 in den USA für Leonid Massine geschriebenen Ballett „N o b i- lissima Vision e“ stammt. Aus den sechs musikalischen Bildern, die die wichtigsten Stationen im Leben des heiligen Franziskus zeigen, hat der Komponist die folgenden Stücke exzerpiert: Einleitung und Rondo (Meditation des Heiligen in den Bergen nahe von Assisi und mystische Hochzeit mit der Armut), Marsch und Pastorale (Reminiszenzen an die weltliche Zeit des Heiligen und Vision dreier symbolischer Gestalten), Passacaglia (Sonnengesang). Diese noble, vom Geist mittelalterlicher Musik inspirierte Partitur gehört, nach dem „Mathis“, zum Glücklichsten, das Hindemith geschaffen hat. (Es gibt von dem Werk auch eine gute Schallplatte, unter der Leitung des Komponisten, bei „Columbia“, die hiermit empfohlen sei.) Der japanische Pianist Fou Ts’ong spielte im ersten Teil des Programms das letzte Klavierkonzert Mozarts (B-Dur, KV 595). Er spielte es fein, sensibel und meditativ, mit einer unwahrscheinlichen Einfühlung nicht nur in den Stil, sondern auch in die Gestik der großen europäischen Mozart-Spieler. Der kaum Dreißigjährige, der zwischen 1955 und 1958 mehr als 500 Konzerte in osteuropäischen Staaten gegeben hat, ist nicht nur ein wahrer „Held der Arbeit“, sondern läßt auch als Wunderkind alle anderen Wunderkinder weit hinter sich. Denn: 1934 in Tokio geboren, gewann er — laut Programm — bereits 1935 einen Pianistenpreis in Bukarest … Zu Beginn des Konzerts erklang die „Tragische Ouvertüre" von Brahms, zum Abschluß „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss.

Das zweite Abonnementkonzert der Philharmoniker leitete Dr. Karl Böhm. Das Hocherfreuliche jeder Begegnung mit diesem Dirigenten liegt vor allem in der absoluten Natürlichkeit seines Musizierens, in der Abwesenheit jeder Manier. Solange Böhm am Pult steht, denkt man an keine Interpretationsprobleme, obgleich er etwa im Allegro- Finale der Mozart-Symphonie in C (KV 338) ein halsbrecherisches Tempo einschlug, das aber von den gutstudierten Philharmonikern ohne den geringsten Zwischenfall mit Brillanz durchgehalten wurde. Boris Blachers „Concertante Musik für Orchester“

op. 10, noch stark fühlbar unter dem Einfluß des mittleren Strawinsky geschrieben, ist eines der effektvollsten Stücke dieses interessanten Komponisten. Die heute kaum noch auffallenden Jazzsynkopen wirkten bei der Uraufführung Anno 1937 (was das Programm leider nicht vermerkt) auf einen Teil des Publikums elektrisierend, auf den anderen enervierend. Die Schönheit dieser geistvollen, tänzerischen und beweglichen Musik ist mit der eines wohltrainierten Körpers zu vergleichen, ohne Fettpolster, aber auch ohne Muskelpakete. Die energiegeladene Lockerheit des Musizierens von Dr. Karl Böhm entsprach in höchstem Maße der Partitur von Blacher. — Den zweiten Teil des Programms bildete die Zweite von Brahms, als deren Meisterinterpreten wir die Philharmoniker immer wieder bewundern kennten.

Wolfgang Schneiderhan und Walter Klien bilden ein äußerst harmonisches Duo, weil beide eine sehr ähnliche Vorstellung von klassischer Schönheit haben. Das kam besonders bei der Interpretation von Mozarts Sonate F - D u r für Violine und Klavier sowie in Schuberts reizender g-Moll- Sonatine zum Ausdruck, während die sehr virtuose, teilweise etwas lärmende und in der Wahl der Mittel nicht eben penible D-Dur-Sonate von Prokofieff die feineren Qualitäten der Interpretation kaum wahrnehmen läßt. Schneiderhan hat dieses viersätzige, aus der konformistischen Spätzeit Prokofieffs stammende Werk (op. 94) sehr bravourös und begeisternd gespielt — als wär’s ein Stück von ihm. Höchste, wahrscheinlich heute unübertroffene Meisterschaft zeigte Schneiderhan im Vortrag der P JFI iü diMbĮl'von J. S. B a c h mit der großen Ciaccöna am Schluß. Im vorletzten Satz, der Giga, war die Verbindung von Kraft und Schönheit des Tons vielleicht am meisten zu bewundern. Lebhaftster Applaus des vollbesetzten Großen Musikvereinssaals.

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