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Musikdrama der Revolution

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Die Französische Revolution mit ihren Leidenschaften und tragischen Freiheitsbestrebungen war schon im Jahre 1794 der Vorwurf zu großen Opern. Andre Gretry, der französische Komponist, der um die Wende des 18. Jahrhunderts starken Einfluß auf die weitere Operngestaltung in Frankreich ausübte, hat unmittelbar unter dem Eindruck der Revolution vier große Musikdramen komponiert: „Joseph Barras“, „Callias“, „Denys le tyrann“ und „La fete de la raison“. Sie sind aber rasch wieder verschwunden, es waren Gelegenheitswerke„ die, aus dem unmittelbaren Erlebnis des Geschehens entstanden, den tieferen Kern der Probleme aber nicht berührten. Die Ausstrahlung dieser völligen Umgestaltung der religiösen und gesellschaftlichen Ideen hat erst im Jahre 1813 einen starken Niederschlag in dem Drama des einundzwanzigjährigen Georg Büchner, in „Dantons Tod“, gefunden.

Es ist kein Zufall, daß der erst neunund-zwanzigjährige österreichische Komponist Gottfried v. Einem sich an der kühnen und heißen Sprache des Dichters entzündete und die fragmentarischen Bilder als Grundlage für eine Oper benützte. Der junge Musiker ist einen eigenen Weg gegangen, der ihn,zum schöpferischen Musizieren führte. In Bern als Sohn des Militärattaches der österreichischen Gesandtschaft geboren, verbrachte er den größten Teil seiner Jugendjahre im Ausland, in Frankreich, ,England und Holland, um schließlich im Jahre 1938, nach Beendigung seiner Studien in der Berliner Staatsoper als Korrepetitor seine musikalische Laufbahn zu beginnen. Seine eminente Musikalität ermöglichte es ihm, ohne besonderes theoretisches Vorstudium — er hatte bisher nur Klavierunterricht genossen — die Stelle eines Solokorrepetitors zu bekleiden und bei den Bayreuther Festspielen als musikalischer Assistent verwendet zu werden. Erst während dieser Tätigkeit kam er zu Boris Blacher, der ihn in Kompositionslehre und Kontrapunkt unterrichtete. Schon eineinhalb Jahre später schrieb er das Ballett „Prinzessin Turandot“, das im Jahre 1942 in der Dresdner Staatsoper mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Seine ständige enge Berührung mit dem Theater brachte es mit sich, daß er das Handwerkliche, das für den Opernkomponisten ebenso notwendig ist, wie die Fähigkeit der Konzeption, bald vollkommen beherrschte und in die Gesetze und Formen des Musikdramas eindringen konnte. So ist es auch nur natürlich, daß das Streben des jungen Musikers dahin ging, selbst eine Oper zu komponieren, nachdem er ein Capriccio für Orchester und ein dreisätziges Concerto grosso gesdirieben hatte, die ■ in der Berliner Philharmonie aufgeführt wurden. Auf der Suche nach einer großen Tragödie, die das menschliche Schicksal im Wirrsal historischer Ereignisse widerspiegelt, stieß Einem auf Georg Büchner; sein Drama „Dantons Tod“ nahm ihn so gefangen und ließ ihn soviel Ähnlichkeit mit seinem eigenen Empfinden erkennen, daß er sofort mit seinem Lehrer Boris Blacher daranging, das Werk für eine Oper zu bearbeiten Mit Behutsamkeit wurden Szenen, die sich für die musikalische Gestaltung nicht eignen, herausgelöst, andere durch Ergänzungen aus Briefen des Dichters erweitert. Aber das Wort des Dichters blieb völlig unberührt, so daß die glutvolle Sprache nichts an Feuer ver-lor* die Intensität und wilde Pracht des dramatischen Ablaufs nirgends zerstört wurde.

Einems künstlerisches Wollen als Opernkomponist ist von dem Bestreben geleitet, die Beziehung zwischen der musikalischen Komposition und der anschaulichen Darstellung so übereinstimmend zu gestalten,daß die beiden ganz verschiedenen Bereiche zu einer völligen Einheit verschmelzen. Die Musik, die zu dem dramatischein Geschehen komponiert wird, muß gleichsam die Seele desselben sein, indem sie sich in Verbindung mit den Vorgängen, Personen und Worten zum Ausdruck der inneren Bedeutung erhebt. Nur wenn diese letzte und geheime Notwendigkeit erfüllt ist, verliert die Opernmusik ihre heterogene Natur und wird nicht, wie Schopenhauer sagt, „durch ihre gänzliche Indifferenz gegen alles Materielle der Vorgänge zu einer Wesenheit, bei welcher sich der Sturm der Leidenschaften und das Pathos der Empfindungen überall auf gleiche Weise und mit demselben Pomp der Töne ausdrückt,. mag Agammemnon und Achill oder der Zwist einer Bürgerfamilie das Materielle des Stückes liefern“.

So wie sich der Dichter Georg Büchner nicht zu den leidenschaftlich und revolutionär gebärdenden „Jungdeutschen“ rechnete, aber weit über ihr Bereich hinausging und mit Anschauungen ernst machte, mit denen die anderen nur spielten, so will auch Gottfried v. Einem dem Musikdrama neue Formen geben, ohne sich irgendeiner modernen Richtung anzuschließen, wie sie in Schlagworten, wie „Neue Sachlichkeit“, „Surrealismus“ oder „Neoklassizismus“, umschrieben werden.

Die gewaltige Matthäus-Passion, die ihn in ihrer klaren und durchsichtigen Harmonik zutiefst beeindruckte, war sein erstes musikalisches Erlebnis und blieb ausschlaggebend für seine künstlerische Entwicklung. Die Regeln der Fuge, die Anwendung des Kontrapunktes, die thematische Arbeit werden trotz des Suchens nach neuen Wegen und Ausdrucksmitteln vom Komponisten streng befolgt und die zuchtvolle Form der musikalischen Gesetze als wohltätige Beschränkung empfunden.

Das Urteil über dieses jüngste Musikdrama, das erste, das nach dem Kriege in Österreich der Öffentlichkeit übergeben wird, kann erst nach der Uraufführung während der heurigen Festspiele in Salzburg gesprochen werden. Es ist jedenfalls bedeutungsvoll, auch für die Zukunft, daß die Tradition, nur dem Opernschaffen von Gluck bis Richard Strauß bei den Festspielen einen Platz einzuräumen, damit durchbrochen und auch jungen österreichischen Musikern die Möglichkeit geboten wird, in einem festlichen Rahmen der Welt ihre Werke vorzustellen. Zu hoffen bleibt, daß diese Oper nach den

Festspielen nicht in Vergessenheit gerät, sondern daß das Werk auch in Wien aufgeführt wird, was um so leichter möglich sein wird, da ja die meisten Solisten der Salzburger Festaufführung Mitglieder der Wiener Staatsoper sind und die Philharmoniker sowie der Staatsopernchor mitwirken werden.

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