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Digital In Arbeit

MUSSIGGANG ALS TUGEND

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MiiBig zu gehen, Raum zwischen sich und die eindningende Welt zu legen, um den erstrebten inneren Abstand von auBen her zu unterstiitzen, ist eine Tugend, die der Mensch von heute, der Mensch von heute, der Mensch der reinen Aktion, vollkommen miBversteht Deshalb empfindet er die Bezeich- nunig Traumer vielfach als krankend und beleidigend. Der liebenswiwdige jungere Plinius sagt in seinen Briefen, MuBigganig und Nichtstun seien nicht dasselbe, und den glei- chen Gedanken haben Dichter und Denker aller Zeiten bis in unsere Gegenwart austgesprochen. „Die Demaigogen, die Impresarios der Selbstentfremdung, die schon verschiedene Zivilisationen zugrunde gerichtet haben", sagt Ortega y Gasset, „belastigen die Menschen, damit sie nicht nach- denken; sie bemiihen sich, sie in groBen Massen zusammen- zuhalten, damit sie ihre Persbniichkeit nicht da aufbauen konnen, wo sie einzig und allein aufgebaut werden kann, in der Einsamkeit." Das ist nicht jene trostlose Einsamkeit, die aus dem UberfluB an materiellen Giitem kommt, jenem Reichtum, der alles entwertet, well alles selbstverstandlich ist, Jte htum, der. arm macbt; denn „wo alles ist — ist nichts". Ich meine diejenige Einsamkeit, bei der es zu einer inneren Situation kommt, zu einer Begegnung mit sich selbst. Wie albem erscheinen uns dann die Heilsparolen unserer Zeit! In den „Traumereien eines einsamen Spazier- gangers" beschreibt J. J. Rousseau, der spate, gelauterte Rousseau, dieses Gefiihl der Wunschlosigkeit: „ Die Seele erlebt da kein anderes Gefiihl — weder Entibehrung, noch GenuB, nicht Lust und nicht Schmerz, weder Begierde noch Angst — als einzig und allein das Gefiihl unserer Existenz, das sie ganzlich zu erftillen vermag." Und Albert Camus, der als gereifter Dichter nach edner Epoche der Verzweiflung nach Tipasa zuruckkehrt, um die Gotter wiederzufinden, sagt; „Ruhrig sein bedeutet seine Zeit verlieren, und zwar in dem MaBe, in dem man sich selbst verliert."

Die Meinung, daB Geld MuBe schaffe, zahlt Ernst Jiinger zu den gangigen Irrtiimem. Geld, und vor allem viel Geld, sei vielmehr der MuBe schadlich, indem es ablenkt und zer- streut. Wer zum Werk berufen war, hafoe daher auch immer den besseren Zugang zur MuBe gefunden, namlich das Opfer. „Der Hauptnachteil des Reichtums liegt darin, daB er die Konzentration verhindert und damit die Pforte zum Wunder- baren schlieBt."

Die modemen Gbtzen der Arbeit haben alles — nur keine Zeit fiir das, was nicht mit der Erwerbung von Wohlstands- giitern zusammenhangt. Sie arbeiten sich zu Tode um arbeitserleichtemde Maschinen und Apparate anzuscl.affen, sich das Haus standardmaBig einzurichten, sich also ein „Paradies“ auf Erden zu schaffen, das zu genieBen sie ohne- hin nie Zeit flnden. Der Mensch der MuBe aber sperrt sich ab von dieser Welt der Betriebsamkeit und wirkt auf diese Weise heilsam der Zeit entgegen.

Anschaulich spricht iiber dieses Thema der Deutsche Friedrich Sieburg in seinem Buche „Gott in Frankreich?", in dem er jenes Land preist, das dem Fortschritt der Ideen gegeniiber der Idee des Fortschritts den Vorzug gibt. Er spricht von „jener in voller Fahrt begriffenen Menschheit, von der man nicht weiB, ob sie in die Sterne oder in den Abgrund saust", und preist jenen Schuster, der, obgleich unfahig, einen Riester richtig und zeitgerecht aufzusteppen, seine Kunden verjagt, den Laden schlieBt und den Stulhl vor die Haustiir riickt, um das Aufgehn des ersten Stems zu erwar- ten.

Pascal fiihrt das ganze Ungliick der Menschen auf eine einzige Wunzel zuriick: „Sie konnen nicht ruhig in einem Zimmer bleiben So leer ist der Mensch, daB das Geringste wie ein Spiel mit einem Bail hinreicht, um ihn abzulenken, wenn er auch tausend Grunde zur Langeweile in seinem Herzen hat."

Einen Generalangriff auf die Uberbewertung der Arbeit untemimmt Josef Pieper in seiner Schrift „MuBe und Kult". Seine Gedanken uber das richtige Feiem gipfetn in der Aussage, MuBe sei eine das Gotteslob einbeziehende Zu- stimmung zur Welt. Von der richtigen MuBe komme alles, was wir Kultur nennen. Und daB im Grunde nur das Un- niitze wirklich von Dauer ist, beweise die Kunst.

MuBiggang ist also durchaus nicht aller Laster Anfang. Laster sind aufreibend, sie fordem Eifer und Aktivitat. „Der Schopfer halt es offensichtlich mit den Sorglosen, den Langsamen, den Beschaulichen", sagt Karl Heinrich Wag- gerl. Er verweist auf die unwandeilbare Gultigkeit des Wor- tes von den Lilien auf dem Felde, die nicht weben, nicht spinnen und sich doch herrlicher tragen als Salomon in seiner Pracht. Waggerls Behauptung, nur der Bose sei ge- schaftig, bestatigt der Ausspruch eines bekannten Schweizer Psychiaters, der einmal sagte: „Es gibt Menschen, die so faul sind, daB sie unentwegt arbeiten miissen." Der Trage namlich entzieht sich durch die Arbeit tieferen Gedankengan- gen und somit auch jeder Verantwortung. Er fliichtet vor der Konfrontation mit den Problemen des Daseins.

Der nach Amerika emigrierte Prager Dichter und Zeit- genosse Kafkas, Johannes Urzidil, der das Phanomen Kafka zu deuten und die Kernmotive seiner Wenke zu entschliis- seln versucht, schreibt, daB der Kem der Kafka-Parabel „Das nachste Dorf“ im Begriff der menschlichen Verantwortung liege. Die Parabel ist ein groBes Staunen dariiber, daB es Menschen gibt, und offenbar sogar die meisten Menschen, die ohne Furcht, Bedenken oder Gewissen einen EntschluB und seine Ausfiihrungen wagen. Urzidil illustriert diesen Gedanken durch den Goethe-Satz _,,Der Handelnde ist i mer, geWissenlb's, es hrft niema’fid' jewisseri als der iJetrachtende". In diesem grundsatzlichen Unterschied zwischen Menschen der MuBe und solchen der reinen Aktion lag bei Kafka die Wurzel der Vater-Sohn-Tragodie. Das Verhaltnis zu seinem Vater, einem „mit Kraft, Larm und Jahzorn" die Welt regie- renden Kronos, ist durch ein permanentes SchulldbewuBtsein bestimmt. Kafkas „Brief an den Vater" wird so zu einer er- schiittemden Anklage einerseits, anderseits zu einer gran- diosen Verteidigung. Es gab Jahre, in denen ich bei vol ler Gesundheit mehr Zeit auf dem Kanapee verfaulenzt habe, als du in deinem ganzen Leben, alle Krankheiten ein- gerechnet Was mich packt, muB dich noch kaum beriihren und umgekehrt, was bei dir Unschuld ist, kann bei mir Schuld sein und umgekehrt, was bei dir folgenlos bleibt, kann mein Sargdeckel sein."

HELMUT THALER

Im Grunde genommen kann man sich alle Wahrheiten ins Gesicht sagen, nur die Wahrheit nicht flnden wir Trost nur im Elend der andern glauben wir vom andern, er sei genau das, was er geworden ist sind diejenigen, die das konnen, was wir konnen, in unseren Augen Nichtskbnner muB ich den meiden, der mich nicht beneidet, denn er halt nichts von mir hat nur das UnbewuBte Charakter, das BewuBte Stil enttauschen uns die Menschen — wie ihre Wohnungen — durch ihren Mangel an Stil kennen wir zweierlei Wirkung menschlichen Bemiihens: bei andern vermehrtes Konnen, bei uns vermehrtes Sein ist nicht homo sapiens noch homo faber das rechte Wort, sondem homo in somnis, Mensch Traumer ist auch die Furcht nur durch das Wort zu iiberwinden wollte Tolstoj nicht Kiinstler sein, weil er einer war. Man kann nur sein, was man wird fiihren beriihmt gewordene Schauspieler lieber Regie und lassen andere agieren; so schreitet iiberall das Leben auf- warts zur nachsten, hoheren Stufe: leben lassen glaubt die Jugend, Kraft und Schonheit seien Eigenschaf- ten der Person; das Alter dagegen halt seine Attribute fiir Aggregatzustande und anonym halten die meisten Menschen ihre Ernte fur einen Trost- preis und diesen fiir die Ernte besteht das Problem der Zeit darin, festzustellen, ob sie es ist, was die Unveranderlichkeit der Dinge verhindert miiBte unsere Zeit, die das Unbegreifliche bewiesen hat, auch das Unbewiesene begreifen konnen ist alles geschichtliche Geschehen so undramatisch wie die Faltung der Erde beim Entstehen der Gebirge ist alle Wissensdiaft idealistisch: die Geographen bemiihen sich, die Entstehung jeder kleinsten Bodenerhebung zu er- klaren, als ware die vollkommene Kugel natiirlich oder normal erkennen wir alles Neue nur durch das Alte: man wird Erde vom Mond mitbringen miissen, damit wir an die Mond- fahrt glauben konnen.

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