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Mutterherz für alle Fälle

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Kann anhand einer Talkshow wie „Vera” die fundierte Diskussion über Medienethik beginnen?

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Kann anhand einer Talkshow wie „Vera” die fundierte Diskussion über Medienethik beginnen?

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Ein Talkshowgast nach dem anderen gab vor der laufenden Kamera zu verstehen, daß er keine Unterhose trage - und baute sodann gar Lebensphilosophie auf eine Existenz ohne Boxershorts und Slip auf. Madame Talkmasterin marschierte danach durchs Publikum und fragte (scheinbar wahllos) einige I lerren der Schöpfung, wie sie nun vor ihr stünden - mit oder ohne jenes Wäschestück, über das man normalerweise nicht in der Öffentlichkeit spricht.

Der hier zitierte Vorfall fand schon vor einigen Jahren im deutschen Privatfernsehen unter Anleitung der Talkkönigin Margarethe Schreinemakers statt. Inzwischen sind alle am Fernsehen Beteiligten - Seher und Sendungsmacher - schon viel gewohnt; angesichts von mindestens zwei Dutzend täglicher „Talkereignisse” ist das hier geschilderte Szenario weder ein Beispiel für besonders Unappetitliches noch für außergewöhnliche Unsäglichkeit.

In Osterreich ist Vera Busswurm das Pendant zu Margarethe Schreinemakers. Während Deutschlands Talkfrau zur Zeit von ordentlichen Quotenproblemen heimgesucht wird, boomt „Vera” hierzulande mehr als je zuvor: Begel-mäßig ist „Vera” Spitzenreiter in der Zuschauergunst; abgesehen von „Zeit im Bild” gibt es keine österreichische Sendung mit vergleichbarem Zuspruch.

Dafür geriet die Talkshow immer wieder in die Nähe von Skandalen, welche die zitierte, unterhosenlose Partie bei Schreinemakers als Lappalie erscheinen lassen: Nicht nur aufgrund der jüngsten Sendungen, doch gerade dort krallte sich ein Heer von Medienkritikern ans Phänomen „Vera” und versuchte, daran eine Debatte über Medienethik zu entfachen. Ernst Strasser, ÖVP-Führer im OBF-Kuratorium, forderte via „tv-media” sogar die Abschaffung der Sendung.

Abgesehen von politischem flickhack: Eignet sich der österreichische Donnerstagabend-Talk tatsächlich als Ansatzpunkt für nutzbringende Medienkritik? Zunächst ist festzuhalten, daß - auch wenn OBF und Vera Busswurm glauben machen wollen, die Kritiker seien nur auf den Erfolg neidisch - die Sendung „Vera” immer wieder provozierte: Eine flüchtige Mordverdächtige wie die später verurteilte Benate Feneberg, extra zu „Vera” eingeflogen: derartiges brachte die Sendung schon vor eineinhalb Jahren an den Band eines Justizskandals. Und der tränenreiche Auftritt von Bruder und Eltern Fuchs, der Familie des Briefbombenver-dächtigen, ließen auch geschriebene Emotionen hochgehen: Die Qualifizierung als „moralischer Tiefpunkt des Journalismus”, so Michaela Ernst im „Kurier”, sprach der Kritikerbranche aus der Seele.

Daß Vera Busswurm und ihr Team ob dieser schrillen Töne klein beigeben würden, erwartete niemand. Österreichs feinste Adresse, wenn es gilt, eine kompetente Mutterbrust zum Ausweinen zur Verfügung zu stellen, ist und bleibt der Donnerstagabend in OBF 2. Wenn der Schispringer der Nation von seinem Verband verlassen wird, begibt er sich zu „Vera” - und inszeniert sein Schicksal so, daß alle dahinschmelzen: Ein Lausbub, lieb, nicht ganz unschuldig, aber doch so, das man ihm nicht bös sein kann. Wie letzten Donnerstag der verschmähte Springer Andreas Goldberger und seine TV-Leihmutter Vera Busswurm das Drama „Der arme Goldi und der böse Schiverband” entwickelten, hat geniale Züge und spricht für die Professionalität der Darsteller und der Begie. Die Nation, so darf ungeschützt angenommen werden, glaubte das Gebotene.

Die Fragen nach den Grenzen, nach der Scham (Darf man Gezeichnete wie die Familie Fuchs vor die Kamera bringen?), letztlich nach einer Ethik der Medien bleiben. Politische Querschüsse wie die Forderung des ÖVP-Kuratorsk Strasser nach „Vera”-Abschaf-fung sind allerdings nicht hilfreich. Das bekräftigt auch Ingeborg Schödl, Programmausschußvorsitzende bei der OBF-Hörer- und Sehervertretung.

Schödl ist über die starken Töne Strassers verärgert: Denn das ORF-Kuratorium, immerhin mit mehr Einflußmöglichkeiten als die Hörer- und Sehervertretung ausgestattet, könnte ja etwas unternehmen. Außerdem, so Schödl, müsse sich die Politik endlich darüber klar werden, wie es in Osterreich mit ORF und öffentlich-rechtlichem Fernsehen weitergeht. Außer der parteipolitisch gleichmäßigen Verteilung der Sitze im Kuratorium hätten die Politiker kein Interesse am ORF, wirft Schödl den entscheidungsmäßigen Drückebergern vor.

Bevor es also überhaupt zu einer medienethischen Diskussion kommen kann, ist eine Auseinandersetzung über Medienpolitik in Österreich notwendig. Welche - wie von allen Seiten seit Jahr und Tag beklagt wird - nicht existent ist

In eine andere Linie der Diskussion weist jene Behauptung von Produzentenseite, Shows wie „Vera” würden nur die Bedürfnisse ihres Publikums befriedigen - und sie keinesfalls wecken. Auch dieser Argumentation gewinnt Ingeborg Schödl wenig ab: „Das Ganze ist nichts anderes als die Frage, was vorher war - die Henne oder das Ei ...” Die Auseinandersetzung auf dieser Ebene führt also nicht viel weiter. Es bleibt jedoch die Erkenntnis, daß das Erreichen ethischer Kriterien, nach denen sich die Medien ausrichten, nicht ohne gleichzeitige politische Willensbildung und Aktivität möglich ist.

Vielleicht hilft es, die Diskussion um ein polarisierendes Medienprodukt wie die Sendung „Vera” anhand der beteiligten Akteure zu analysieren:

■ Die Produzenten sind dabei am leichtesten als „Schuldige” zu denunzieren. Beines Geschäftsdenken, Quotengläubigkeit, das Hinausschieben der Schamgrenze bis weit über ein verantwortbares Maß - all das kann leicht konstatiert werden. Der Entwicklung Einhalt zu gebieten ist aber viel schwieriger, und ruft wiederum die Politik als Begulativ auf den Plan (siehe oben).

■ Die zweite Gruppe von Akteuren, die die „Vera”-Diskussion mitbestimmen, sind die Konsumenten. Es ist unbestreitbar, daß eine riesige Schar von Zuschauern Donnerstag für Donnerstag vor den TV-Geräten versammelt ist. Wer sind jedoch diese Menschen? Um medienethische Ansätze zu finden, wäre gerade in diesem Zusammenhang die Medien-und Motivforschung gefragt (am 19. November soll diesbezüglich in St. Pölten eine - vom christlichen Medienverein „Club M” und dem Publizistik-Institut der Wiener Universität durchgeführte - Zuseheruntersuchung zu „Vera” präsentiert werden). Zensur ä la Strasser, so Hörer- und Sehervertreterin Schödl, ist hingegen ungeeignet und nicht mit Demokratieverständnis in Einklang zu bringen. Daher setzt Schödl vor allem auf den - anstrengenden - Weg von Medienerziehung und Einübung in einen kritischen Gebrauch der Medien.

■Schließlich agieren auch noch die „Medienkritiker” in diesem Szenario. In einem „pro-fil” -Interview wehrte sich Vera Buss wurm vor allem gegen deren Scheinheiligkeit. Die rüden Töne, die der Quotenqueen wegen der Sendung mit der Familie Fuchs entgegenschallten, quittierte die Talkmasterin mit: „Ich finde es doppelmoralisch, daß sich ich weiß nicht wieviele Journalisten angestellt haben, um das Ehepaar Fuchs zu interviewen, und dann, wahrscheinlich weil sie es nicht bekommen haben, sagen: Pfui Teufel!” Kritiker und kritische Intelligenz haben dennoch weiter zu mahnen. Wenn auch, wie aus anderem Zusammenhang geschlossen werden kann, der Einfluß selbst konstruktiver Kritik stark beschränkt ist: Angesichts der Tatsache, daß trotz jahrelangen intellektuellen Sperrfeuers etwa die „Kronen Zeitung” blüht und gedeiht, kann auch „Vera” noch eine ordentliche Zukunft prophezeit werden.

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