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Nach dem heiligen Frühling — heißer Sommer

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Das ist also schon wieder ein gutes Jahrzehnt her, daß wir aus den peinvollen Anspannungen und Aus- fesetztheiten des Krieges in die Geborgenheit des Friedens glitten. Gesegnete Zeit! Als vor achteinhalb Jahren die I. Internationale Festwoche des religiösen Films in Wien stattfand, spiegelte sie in aller Schönheit und Tiefe diesen heiligen Frühling wieder, einen Aufbruch des religiösen Films, wie ihn die ganzen sechzig Jahre der Filmgeschichte nicht kennen. Das hohe „Lied der Bernadette“ war schon gesungen, heiter und froh hatten die „Glocken von St. Marien“ geläutet: nun schöpfte die erste Festwoche aus dem vollen Brunnen einer nun schon wieder nahezu fünfjährigen seelischen Konsolidierung und Anreicherung: die abgeklärte Weisheit von „Monsieur Vincent", die schlackenlose Reinheit von „Les Anges du Peche“, die liebliche Legende des „Himmelsspiels“. Das Donnerrollen des Graham Greeneschen „Fugitive" klang ferne wie von einem abziehenden Früh- lingsgewitter.

Nun ist es Sommer geworden. Und der Friede, den wir leben, ist nicht mehr ein Geschenk, sondern eine Aufgabe; er ist stündlich zu verteidigen, denn er ist ein waffendrohender und angstzerquälter. Sollte dies der religiöse Film nicht widerspiegeln? Oder muten wir ihm zu, eiternde Wunden zu verkleben und mit sanft säuselndem Trost darüberzustreichen? Es gibt solche „religiöse" Filme „von der Stange" — gerade in Oesterreich waren und sind sie noch immer epidemisch. Damit ließe sich billiger Trost spenden — und wer würde schon aufstehen und sagen: Ihr lügtl Ihr verschweigt etwas! Ihr verfälscht etwas!?

Die V. Internationale Festwoche des religiösen Films entschied anders. Nomen est omen: „Aufstand" hieß der erste Film ...

Indem sie das Bebende, Fiebrige, das Verstörte und Fragende, das Aufgewühlte und Aufgestörte, das menschliche Versagen und Unterliegen aus dem Anbotkatalog der Zeit ins Programm nahm, machte sie buchstäblich aus der Not eine Tugend, damit aber auch aus der Szene ein Tribunal, aus dem Fest einen Test. Und die Frage ist nur noch: wie wir ihn bestehen. Wie sengende, brennende Zeichen stehen die Hauptfiguren der drei bedeutendsten Filme der Woche vor uns: der mit der weltlichen Macht aus Herzensträgheit konspirierende, kollaborierende Pope; der unter der Folter dec Machthaber zerriebene abtrünnige 'Missionär; und Barabbas, der glauben will und nicht kann; sie stehen und fragen, müde, zerbrochen und zweifelnd: Und du? Und du?

Die Antwort darauf wird .uns nicht., leicht ge-- macht.' Der französische „A u f s t a n d", nach. Ka- zantzakis’ „Wiedergekreuzigtem Christus", verstellt die Parallelen zur Passion durch eine erdrückende Fülle spezifischer zeitgebundener Probleme und Figuren, der japanische Film „Der bronzene Christus" poltert und foltert im Samuraistil, und die kühne geschichtliche Konjektur vom Fortleben des „Barabbas“ in der gleichnamigen schwedischen Legende Sjönbergs verliert sich bisweilen in poetisch versponnener Skepsis. Und doch, welche Kraft der Aussage in allen drei, wenn man unter die Haut dringt! Welch heilsamer Schock aus dem rundweg bejahten „Aufstand" der Herzen, der mit der Waffe in der Hand gegen die Härte der Macht und ihrer Mitläufer zu Felde zieht; was für tiefes Verstehen mit dem schwachen Priester des „Bronzenen Christus“ (er steht in Stellvertretung für manche unter den vielen Starkgebliebenen in den Fängen der modernen Diktatoren), und was für tiefes Erbarmen mit „Barabbas", dem unglücklichen Menschen schlechthin, auf dessen Weg heute und immer der Schatten und die Glorie des Kreuzes fallen. Die vierte Herausforderung- Rouquiers Dokumentarfilm „Lourdes und seine Wunder", keine katholische Grottenbahn, eher ein harter Sakral-Neoverismo, ein Leidenszug Verkrüppelter und Geworfener; keine Kantate, sondern ein Wimmern, Seufzen und Stöh nen, aus dem noch das Ave im französischen Letztsilbenton in unseren Ohren wie ein verzweifeltes Weh klingt. Ein erschütterndes Dokument.

Doch „endet nicht mit Fluch der Sang“. Keiner der drei Hauptfilme endet in Trostlosigkeit; über dem nächtlichen Lourdes entflammt sich in laufenden Lichtern brennende Hoffnung, Liebe und Glauben; und die hintergründige Heiterkeit eines fünften Films, der amerikanischen Familienkomödie „Alle Sehnsucht dieser Wel t“, und die imponierende Nüchternheit opferbereiten Humanismus in dem authentischen amerikanischen Farbdokument „Albert Schweitzer“ hinterließen nicht Angst und Frage. Denn sie sollen, die diese denkwürdige ernste, heilsame Woche an Leib und Seele erlebten, nicht zurückgestoßen werden. Denn „sie sollen getröstet werden".

Vom Beiprogramm reiche ich die Palme dem’heiligen Emst des Franzosen „Die heilige Woche“ und beglückwünsche die Wiener Stephanus-Produktion zur Uraufführung des schönen, innigen Hohenliedes auf Mariazell: „Die heimliche Hauptstad t.“

Die Rahmenveranstaltungen (Empfang beim Wiener Oberhirten, Messe und Predigt im Dom, Kundgebung im Künstlerhaus zur Zehnjahrfeier der Katholischen Filmkommission für Oesterreich, Empfänge im Unterrichtsministerium und durch die Stadt Wien) standen im Zeichcn betonter Aufmerksamkeit unserer hohen geistlichen Führer, auch des Bischofs der Protestanten, die wie immer im Programm gewichtig vertreten waren. Die Vorträge konnten besser besucht sein. Die ausländischen Besucher hatten Rang und Namen: Msgr. Anton Kochs, Köln, Dompräben- dar Eugen Semle, Rothenburg, Charles Ford, Paris, Paul Reinert, Luxemburg, Helmut Gattinger, Frankfurt, Dr. Johannes Stuhlmacher, Stuttgart, J. A. Hes, Hilversum, Major Evans, London, u. a. Das Apollotheater präsentierte eine makellose Vorführung, die in jeder Hinsicht der Notlösung im Konzerthaus überlegen war. Von den instruktiven Einleitungsworten hafteten besonders die von Prof. Andrė Espiau de la Maestre und P. Alois Regensburger SVD. in Ohr und Herz. Nicht mehr erreichen konnte dieser Bericht die Uraufführung des österreichischen 16-mm-Farbtonfilms „Einer und 3 5.00 0“; wir werden es nachholen.

Unablässig rinnt daneben der Strom des weltlichen Films. Unter dem Dutzend in der Woche tu er es kaum mehr. Einer stehe ausnahmsweise für die vielen: „Haie und kleine F i sc h e“v ein, deutscher Film nach einem deutschen Romanbestseller, inszeniert von dem Deutschen Frank Wisbar, den die Haie seinerzeit beinahe gefressen hätten. Ein brillanter Film, sozusagen der „08/15“ der Ober- und Unterwassermarine! Da und dort sitzt ihm freilich inmitten alles Todernstes der deutsche Schelm unserer Tage im Genick: Ich? Wieso? Ich bin’s doch nicht gewesen... der Hai, der Hai, die Haie! („Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist so wohlig auf dem Grund“...)

Aller Ehren ist Oesterreich voll! Unseren Gummiwerken Semperit ist mit dem 60-Minuten-Farbton- ftlm „Den Menschen dienen“ ein Volltreffer gelungen. Niemals noch ist in Oesterreich ein so gescheiter, temperamentvoller, schöner und instruierender Industriewerbefilm gedreht worden. Karl Sztollar und Ali Kubesch ließen sich belehren — und behielten sich Freiheit genug, ihr eigenes Köpfchen durchzusetzen. Der Erfolg ist hinreißend. Es gab eine rauschende Uraufführung, die den Glanz und Beifall einer Wessely-Premiere erhielt. Leider geht der Film nur ins Ausland. Man müßte ihn vorher einigen unserer heimischen Kulturfilmschöpfer vorführen. Zur Demonstration: so wird's gemacht!

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