In Drago Jancars historischem Roman "Katharina, der Pfau und der Jesuit" wird eine Wallfahrt nach Köln zum sprachmächtigen Epochenpanorama.
Ein unauflösliches Geflecht aus Alltäglichem und Wundern, aus verlorenen Spuren von Ereignissen, die die Seele verletzt haben, die ihr immer noch wehtun, das ist Reisen, das ist Wallfahren." Die Wallfahrt im Roman von Drago Jancar geht zum Heiligen Schrein nach Köln, nach Köln am Rhein oder Kelmorajn, wie die Slowenen so liebenswert verballhornend sagen. Sie findet in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt, in einer Umbruchszeit, wo die alte Volksfrömmigkeit - kruden Aberglauben inklusive - noch blüht, aber die Aufklärung bereits kräftig rumort. Der Fürstbischof von Laibach ist ein aufgeklärter kirchlicher Monarch, er will weder die Wallfahrer segnen noch die kaiserlichen Truppen, die in den Siebenjährigen Krieg ziehen, doch es bleibt ihm nichts anderes übrig. Und so setzen sich beide in Bewegung.
Die Wallfahrt und der Krieg
Unter den Wallfahrern ist auch Katharina Poljanec, die bald dreißigjährige Tochter eines krainischen Gutsverwalters, erfahrungshungrig, phantasiebegabt und wankelmütig, und für sie wird Kelmorajn zum Symbol dessen, was sie sucht und nicht aufgeben will. Unterwegs trifft sie Simon, den Ex-Jesuiten, der den Orden verlassen hat, als er miterleben musste, wie dieser in Paraguay die Indios verraten und den Portugiesen ausgeliefert hat. Die Faszination dieses Ordens, sein rigoroses internes Spitzelsystem und seine Aufhebung durch den Papst rücken mit der Figur Simons ebenso ins Bild wie die Ambivalenz der katholischen Mission und der frühen Kolonialzeit. Und natürlich die perverse katholische Sexualmoral, deren Verbote Motor der Lust und Quelle ständiger Schuldgefühle sind. Katharina und der Jesuit finden aneinander ihre große Liebe. Sie öffnet ihnen neue Blicke auf die Welt und auf sich selbst, den eigenen Körper, und sogar für die Tiere, zu denen die allerchristlichsten Wallfahrer so grausam sind.
Aber da ist auch noch der Pfau, der Artilleriehauptmann Windisch, den Katharina zu Hause im slowenischen Dorf Dobrava so oft durch das Fenster beobachtet hat; aber der eitle Geck interessierte sich nur für seine Seidentücher. Doch jetzt, im Heerlager, ist ihm Katharina eine Eroberung wert; da zwischen ihr und Simon gerade fundamentale Missverständnisse herrschen, hat er ein leichtes Spiel. Halb Soldatenhure, halb Verlobte fährt Katharina mit ihm.
Die Dreiecksgeschichte lässt Raum für ein großes Weltpanorama: Da sind einmal die üppigen Details der Wallfahrt - authentische Frömmigkeit und geile Geschäftemacherei unter ihrem Deckmantel, Gewalttätigkeit und Trunkenheit. Dem stehen die rigiden Verordnungen der Kaiserin gegenüber, die für die Frauen sogar die Rocklänge festlegen. Und da ist das Heer mit seinen grausamen Prügel- und Züchtigungsritualen; und die verheerende Niederlage gegen Preußen in der Schlacht bei Leuthen, in der Windisch schwer verwundet wird und sein halbes Gesicht verliert. An all dem vorbei schleppt sich die Wallfahrt dahin, weiter nach Kelmorajn. Der Führer der Wallfahrt will Katharina vergewaltigen, aber für die nicht legalisierte Liebe zwischen ihr und Simon gibt es Sanktionen. Sie müssen fliehen, und Simon kommt nach dem Zusammenstoß mit einem Soldaten gar ins Gefängnis.
Ein Liebes-Drama …
Doch er gibt nicht auf, Katharina zu suchen, und sie nicht, an ihn zu denken. Noch einmal finden sie sich, die große Liebe ist ungebrochen, doch sie scheitert an Windisch, den Katharina pflegt und nicht verlassen kann; bis Simon ihn tötet. Die Schuld schweißt die beiden nicht zusammen, sondern steht fortan zwischen ihnen; und als Katharina ihm sagen will, dass sie sein Kind erwartet, ist Simon bereits aus der Stadt - er hat bei den Jesuiten wieder um Aufnahme ersucht.
Einmal noch, nach vielen Jahren, begegnen die beiden einander in der Laibacher Klosterkirche, und Simon sieht seine zehnjährige Tochter. Die vergangene Liebe ist das Kostbarste, was Katharina und Simon geblieben ist. Noch einmal strahlt ein Funke der einstigen Verwandlung - "so geschieht es, wenn den Menschen die Ahnung einer einstigen Liebe umstrahlt". Simon begreift, "dass diese Frau ihm nahe war, dass sie ihm näher war als alles in der Welt, ... näher als er sich selbst jemals sein konnte". Der harte Schluss des Romans, das letzte Auseinandergehen der beiden, bewahrt mehr von der Liebe als unzählige Happy-Ends.
… im Epochen-Gemälde
Die Faszination diese großen Romans, der im Original bereits im Jahr 2000 erschienen ist, liegt in der Sprache Jancars, die von derber Grobheit bis zur leisesten Poesie über viele Register verfügt und suggestive Satz-Mäander so ineinander verknüpft, dass einen dieser barocke Erzählstrom über 472 eng bedruckte Seiten in Atem hält. Langes und genaues Ausleuchten von Szenen gelingt der Erzähltechnik dieses Autors ebenso souverän wie die harten Schnitte dazwischen. Dass sich der Klang auch auf deutsch entfaltet, den kunstvollen Sätzen nie etwas Künstliches anhaftet und auch die eingestreuten Vers-Zitate nicht holpern, das ist auch hier wieder das Verdienst von Klaus Detlef Olof, des unermüdlichen Literatur-Vermittlers aus den südslawischen Sprachen.
Drago Jancar, dem im Vorjahr für seine erhellenden Essays der Jean-Améry-Preis verliehen wurde, hat mit dem neuen Roman erneut bewiesen, dass er zur ersten Liga europäischer Autoren gehört. Wieder überzeugt er als Verteidiger des Individuums mit allen Mittel großer Erzählkunst. Denn das farbenfrohe Historiengemälde, das sich ebenso detailreich wie ironisch gebrochen entfaltet, hat seinen Focus in den Fragen und gescheiterten Träumen zweier Menschen. Von da her wird auch eine Epoche entlarvt, die zumal in Österreich noch immer als Blütezeit von Kunst und Wissenschaft verharmlost wird. In dieser Schlüsselepoche hat vieles seinen Anfang genommen, was bis heute fortdauert - nicht nur die allgemeine Schulpflicht.
Katharina, der Pfau und der Jesuit
Historischer Roman von Drago Jancar Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof Folio Verlag, Wien-Bozen 2007 472 Seiten, gebunden, € 24,90
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