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Nacht fällt über Wien

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JULIA HOMBURG — Eine Freu in Wien. Roman von Sarah G a i n h a m. Aus dem Englischen von Willy T h a 1 e r. Verlag Frits Molden, Wien. 488 Selten. S 124.—.

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JULIA HOMBURG — Eine Freu in Wien. Roman von Sarah G a i n h a m. Aus dem Englischen von Willy T h a 1 e r. Verlag Frits Molden, Wien. 488 Selten. S 124.—.

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Eine Engländerin, die seit einigen Jahren in Wien lebt, die Stadt aber schon kurz nach Kriegsende kennen- lemte, hat die Geschichte einer gefeierten Burgschauspielerin geschrieben. Eine fiktive Figur, deren Schicksal aber genau so hätte ablaufen können. Schauplatz der Handlung ist das Wien nach dem „Anschluß“; geschildert wird, wie es ein englischer Kritiker bündig formuliert, „die reale und moralische Eroberung einer Stadt und ihrer Einwohner“ durch die neuen Machthaber.

Nachdem ich gerade Gabriel Fiel- dins „The Birthday-King“ gelesen hatte, einen Roman, der die deutsche Situation im Dritten Reich darzustellen versucht und wie eine groteske Parodie auf die Realität wirkt, ging ich mit einiger Skepsis an die Lektüre von Sarah Gainhams Buch. Nun, sie verwandelte sich schnell in Faszination, ja Bewunderung. Denn diese Ausländerin entwickelt — vielleicht aus der Unbefangenheit und Distanz einer nicht unmittelbar Beteiligten — einen scharfen Blick dafür, wie es damals in jenen dunklen Jahren wirklich war.

Was sich da abspielt in der Familie, im breiten Bekannten-, Freundes- und Feindeskreis der Julia Homburg, enthält sehr viel Typisches der allgemeinen Situation. Die Akzente sind richtig gesetzt, die Masse der Nutznießer und Mitläufer, die Opfer des neuen Regimes, die wenigen couragierten Gegner, passieren Revue vor dem Leser. „Alle Leute in Wien, die von irgend etwas eine bloße Ahnung haben“, hätten gewußt, was da auf sie zukomme, heißt es einmal. „Aber keiner von uns konnte etwas tun, außer private Pläne machen ...“ Die Anpassung an das neue Regime wird von den meisten allzu schnell vollzogen: „Je tiefer in das Bewußtsein der Menschen die Erkenntnis von der Unausweich- barkeit dieser zwar ungebrauchten aber einsatzbereiten Macht eindrang, um so mehr wurde die Zustimmung zu etwas, das niemand mehr verhindern konnte, zur Schau getragen.“

Vielleicht hätten hier, um das Bild vollständig zu zeichnen, eingehender die erwähnt werden müssen, die sich nicht arrangierten, von denen die meisten freilich sofort in Lagern und Gefängnissen verschwanden. Die besseren unter den anderen machten zwar nicht mit, lernten aber schnell, sich in ihre private Sphäre zurückzuziehen und Ausschreitungen gegenüber, wenn sie in ihr Blickfeld gerieten, die Augen zu verschließen. Selbsterhaltungstrieb, Angst, Feigheit triumphierten im Verhältnis zu den Machthabern. „Ich nehme es nicht hin, weißt du“, sagt der Regisseur des Burgtheaters. „Ich hab’ mich damit abgefunden; es ist unvermeidlich ...“ Im privaten Bereich beweisen diese Leute oft großen Mut. So versteckt Julia Homburg ihren jüdischen Mann in der eigenen Wohnung. Der Chefredakteur einer sozialistischen Zeitung, Kerenyi, versucht, eine junge Jüdin zu retten, obwohl er selbst von der Gestapo beschattet wird. Beide werden schließlich doch Opfer des Terrors, Julias Mann erst beim Einmarsch der Russen in Wien, die ihn in seinem Keller erschießen. Auch die Überlebenden bezahlen einen teuren Preis. „Die Überlebenden kotzen mich an, mich eingeschlossen...“, stellt Kerenyi fest. Und Julia gesteht sich am Ende ein:

„AU die Listen, die Bemühungen, die Opfer... waren vergeblich gewesen. Der Betrug, die Verantwortung, alles war zum Nichts geworden. Nichts war von Franz übriggeblieben. Sie war allein in einem neuen Leben, in einer neuen Welt... Es war eine Welt, die so fremd war, daß sie noch nicht einmal eine Form besaß, und, da aller Inhalt in das Nichts entschwunden war, gewiß auch keinen Inhalt hatte...“

Man hat so viel vergessen von dem, was damals war und warum es so war; man möchte so gern übersehen, daß nicht alles, was da geschildert wird, Vergangenheit ist. „Der Schoß ist fruchtbar nah, aus dem das Wort.“ Die Autorin bringt alles wieder ans Licht, schonungslos, aber nicht ohne Verständnis dafür, daß die Zeitumstände damals das Böse und Feige im Menschen kultivierten, daß viel dazu gehörte, gegen den Strom zu schwimmen. In ihrem Buch steht unausgesprochen die Aufforderung, es nie wieder soweit kommen zu lassen und alle Ansätze der Tyrannei und des Terrors rechtzeitig im Keim zu ersticken.

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