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Nachtleben am Lande

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Wie konnte ich nur vergessen, daß im Zuge der überall jubelnden Festspiele auch bei uns eine kleine Nachtmusik gegeben wird!

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Wie konnte ich nur vergessen, daß im Zuge der überall jubelnden Festspiele auch bei uns eine kleine Nachtmusik gegeben wird!

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Was sind Städter gegenüber Landleuten doch für armselige Hascherln! Wenn ich Ihnen von diesem idyllischen Sommer erzähle, werden Sie sich vor Neid zu kratzen beginnen. Das wird dann auch das einzig Gemeinsame sein, was uns verbindet. Wir haben nämlich heuer, aufgrund der langandauernden Hitze und Schwüle, total auf Viehzucht umgestellt:

Da wären einmal die täglich zirka dreihundert Fliegen, auf das Haus verteilt. In generöser Weise zählen wir die von Keller, Garage und Abstellraum nicht mit. Selbstverständlich kommen wir für ihre Verpflegung auf. Wir führen ein offenes Haus, alles ist allen zugänglich. Lediglich ein paar Lebensmittel dichte ich hermetisch ab, von denen ich annehme, daß sie ihnen vielleicht Magen- oder sonstige Beschwerden bereiten könnten. Die führen wir uns dann in aller Bescheidenheit selber zu Mund und Gemüte. Soweit der Fliegenreport. Ach ja, was ich zu erwähnen vergaß: Einstens bastelte ich einen hübschen seidenen Lampenschirm über dem Eßtisch. Naturweiß, mit einer alten Spitze als Borte.

In den letzten Jahren, wenn Sie sich erinnern, kamen Tupfen in Mode. Die Umstellung von uni auf tupf erledigte unsere Fliegenbrigade völlig kostenlos und äußerst gewissenhaft. Fliegende bildende Künstler — welche Galerie von Rang könnte darauf verzichten?

Seit das Obst zu reifen beginnt, haben wir uns auch für eine ausreichende Wespenkultur entschieden. Es gibt doch nichts Melodischeres als so einen durchsummten Marillenoder Zwetschkenbaum. Großes Diätplus für uns: keine durch nebenbei gegessenes Obst aufgenommene Kalorien. Wer würde schon den p.t. Wespchen beziehungsweise Bienlein den Fruchtzucker rauben wollen? Nur, manchmal packt mich halt doch der „Gluscht“. Dann versuche ich, selbstverständlich inkognito, mich unter sie zu mischen und mitzunaschen.

Wir wissen mittlerweile, daß Antihistaminsalben ohne ärztliche Verschreibung auch nicht teurer kommen und kaufen auf Vorrat. Der Herr Apotheker bedient uns als Stammkunden äußerst zuvorkommend.

Im letzten Jahr versuchten wir es auch mit der x-large Ausgabe, den Hornissen. Ein lauer Abend, ein leichtes Pfirsichbowlechen — wir hatten ungeahnten Erfolg. Allerdings mußten wir liebe Freunde, die uns damals besuchten, von der Bekanntenliste streichen. Sie meinten, dieser Abend habe ihnen genügt. Waren allerdings Städter. Bei denen darf anscheinend umfassende Tierliebe nicht vorausgesetzt werden.

Und was weiß so ein Stadtler schon vom Nachtleben des Landlers? Vor dem Löschen der Leselampe ein suchender Blick über die Decke. Berechnung anstellen, wie lange die Spinne vom anderen Ende des Zimmers brauchen wird, bis sie über meinem Bett ist. Wird sie die Diagonale durch den Raum nehmen, oder die Ecken auswandern?

Nach den in schöner Regelmäßigkeit aus diesen Ecken zu kehrenden Produkten ihrer Webkunst hoffe ich auf den längeren Weg, danke dem lieben Gott für die Schöpfung und möchte schlafen. Zsss, zsss, zsss … Natürlich, wie konnte ich nur vergessen, daß im Zuge der überall jubelnden Festspiele auch bei uns eine kleine Nachtmusik gegeben wird! Das aufgestellte Lavendelöl, der stinkende Gelsenstecker, eine unermüdliche Gelse bringt solch zivilisa- torisqher Kleinkram nicht von ihrer Nachtschicht ab. Manchmal über winde ich die Müdigkeit und begebe mich mitten in der Nacht auf Jagd. Meist jedoch überwiegt die Faulheit. Dann erscheine ich zum Frühstück wie ein Tippelbruder, mit den dazugehörigen rhythmischen Kratzbewegungen, versteht sich.

Im Garten haben wir von den kleinen rotbraunen Edelzwickem Straßen anlegen lassen. Genau gesagt einen Highway, da verkehren sie mehrspurig, eine Schnellstraße, die durch unsere Speis führt und ein paar kleinere Gemeindewege, die von Tag zu Tag Umleitungen erfahren können. Ameisensäure soll ja so gut bei Rheuma helfen. Wenn schon Bio, dann total.

So ein Leben im Einklang mit der Natur …

Wenn ich nach dächte, könnte ich Ihnen sicher noch einiges berichten. Zum Denken ist es aber zu heiß. Und ich kann auch nicht tippen, denn ich muß mich kratzen. Aber manchmal juckt es ja auch die. bedauernswerten Städter, oder?

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