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Nachwort zu einem Prozeß

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Wird in Zukunft jede Gesetzesübertretung in Österreich ungeahndet bleiben, wenn es den Angeklagten gelingt, schützend einen Schild mit dem Wort „Südtirol“ vor ihre Taten zu heben? Werden Donarit und Maschinenpistolen zu gewöhnlicher Handelsware, sobald sie die Etikette „Bestimmt für Südtirol“ tragen? Das sind Fragen, die sich nach dem Spruch der Grazer Geschworenen in der vergangenen Woche aufdrängen. Es ehrt gewiß die Laienrichter, wenn sie bisher unbescholtene Menschen, deren Verteidiger glaubhaft zu machen verstanden, daß sie nur aus ideellen Motiven mit dem österreichischen Strafgesetz in Konflikt gekommen sind, nicht zu Verbrechern stempeln wollten und ihnen den Rückweg ins zivile Leben offen hielten. Aber werden alle Angeklagten des Grazer Prozesses — gegen fünfzehn mußte das Urteil ausgesetzt werden, sollte das österreichische Strafgesetz nicht zu einer reinen Farce werden — die ihnen gebotene Chance erkennen?

Die Verteidiger — das wird man ihnen gerne zugestehen — verstanden ihr Geschäft. Sie zogen alle Register. Vom Erzherzog Johann an wurden alle guten Geister beschworen, um den Männern und Frauen auf der Geschworenenbank eines zu suggerieren: Gesetze sind nicht so wichtig, das „gesunde Volksempftn-den“ — wo haben wir ähnliches nur das letztemal gehört? — ist es, nach dem zu befinden gilt.

Alles in allem wurde den Laienrichtern mit allen Mitteln der Beredsamkeit und des Sentiments folgendes Bild eingehämmert: Vor euch stehen Patrioten. Sie haben sich zwar nicht immer korrekt gegenüber dem Gesetz benommen, wenn ihr sie jedoch nicht freisprecht, seid tttr nicht nur schlechte Österreicher, sondern verratet obendrein noch Südtirol...

In einer solchen Atmosphäre ist es schwer, wenn nicht unmöglich, noch objektiv Recht zu sprechen.

Um so mehr islt es Pflicht, einer weiteren Verwirrung der Geister zu steuern, damit die letzten Dinge wieder einmal nicht ärger werden als die ersten. Den Tirolern südlich des Brenners geistige und materielle Unterstützung in ihrem Ringen um eine echte Selbstverwaltung zu geben, haben sich nicht zuletzt die Katholiken Österreichs stets angelegen sein lassen. Auch dieses Blatt ist stolz darauf, von seiner ersten Nummer an unablässig der guten Sache des Südtiroler Volkes zur Verfügung gestanden zu sein. Deswegen hatte es auch ein Recht, dem — nennen wir es „Aktivismus“ — von allem Anfang an zu widersprechen: So nicht! So wird Südtirol keine echte Hilfe zuteil, so gerät das Land südlich des Brenners nur noch tiefer in einen neuen Teufelskreis des Nationalismus, von Terror und Gegenterror! Die Entwicklung hat uns recht gegeben.

Der „Aktivismus“ — bleiben wir bei diesem Wort — in Südtirol hat mehrere Wurzeln. Sie verdienen einmal klar geschieden zu werden.

1959 feierte man in Tirol das 150jährige Gedenken des Aufstandes Andreas Hofers gegen Bayern und Franzosen. Es gab erhebende Feiern, große Aufmärsche, zündende Reden. Mußte nicht in diesem oder jenem jungen Tiroler sich der Gedanke festsetzen, es in irgendeiner Form den Vorvätern gleichtun zu können? Es war die Zeit, in der Zypern seine Selbständigkeit gewonnen und Sich der Aufstand in Algerien dem erfolgreichen Ende näherte. Aber 1959 war nicht 1809, die an der allgemeinen Wirtschaftskonjunktur teilhabenden Südtiroler keine arabischen Fellachen, die nichts zu verlieren hatten. Dennoch war diese erste emotionelle Welle des Aktivismus in Südtirol wohl die huma-nischste Untergrundbewegung der Neuzeit. Es sollte nur vor aller Welt demonstriert werden, sonst nichts. Auf keinen Fall sollte Blut vergössen werden.

Aber wie immer, wenn der Kampf im Dunkeln einsetzt, geht die Kontrolle leicht verloren und die Fäden geraten in die Hände undurchsichtiger Drahtzieher. So wurden jene autochthonen Süd tiroler Gruppen und ihre Freunde in Nord-' tirol, die zum Teil als österreichische Patrioten sich tatsächlich schon bewährt hatten, bald von ganz anderen Kräften überrundet. Diese kamen aus der entgegengesetzten Richtung der politischen Windrose. Es waren die leiblichen und geistigen Nachfolger jenes deutschen Nationalismus, der in seiner unter Hitler zum Exzeß gesteigerten Form durch seine Aussiedlungspolitik Südtirol beinahe den Todesstoß versetzt hätte. Nun aber war Südtirol für diese Kreise „interessant“ geworden. Es war für sie ein ideales Manövergelände, einen „Volkstumskampf“ alten Stils durchzuexerzieren. Der Name Dr. Bürger und seines Kreises (im übrigen waren nicht alle Angeklagten von Graz diesem zuzuzählen) wurde ein Chiffre für jene Geisteshaltung.

War also Patriotismus, österreichischer Patriotismus, wenn auch irregeleiteter, tatsächlich die Triebfeder für ihr Tun? Mitnichten. Es sind die Sturmvögel eines neuen, radikalen deutschen Nationalismus, denen wir gegenüberstehen. Ihre Ziele sind höher gesteckt. Die Flugblätter der Aktion AKON (Aktion Oder-Neiße), die auch gelegentlich nach Österreich gelangen, zeigen anschaulich, welchen Leitbildern hier nachgestrebt wird. Hier sehen wir nicht nur das Deutschland von 1939, sondern das von 1914 (mit Posen und Elsaß-Lothringen!) als Kampfziel. Österreich wird Südtirol „augestanden“. Wie das Österreichkonzept dieser neuen deutschen Rechten beschaffen ist, darüber gibt das Sprachrohr Dr. Burgers, die „Deutsche National- und Soldaten-Zeitung“, die sich gerade in letzter Zeit verdächtig oft Österreichs „annimmt“, in ihrer letzten Nummer (15. Oktober) Auskunft. Mit Hilfe von aus der Zeit und aus dem Zusammenhang gelösten Zitaten verstorbener und lebender österreichischer Politiker wird der nationale Selbstbesinnungsprozeß der Österreicher verhöhnt und als „Hirngespinst“ vorgestellt. Dem „zweiten deutschen Staat“ — gemeint ist Österreich, nicht die DDR — wird zwar noch ein gewisses Eigenleben zugestanden, aber er habe seine Politik nach der Maxime einzurichten „Keine Lösung gegen Deutschland, jede — dem österreichischen Staatsvertrag entsprechende — Lösung mit Deutschland“ Mit anderen Worten: ein besseres Protektorat.

Südtirol aber, um nochmals darauf zurückzukommen, ist nur das Exerziergelände für jene deutschen Neonationalen, die unter dem Nebel ihrer Aktivität in Südtirol Österreich „gesamtdeutschem Interessen“, wie man sie auf dieser deutschen Rechten versteht, zuordnen möchten.

Davon war im Graz nicht die Rede.

Um so mehr ist es an der Zeit, davon öffentlich zu sprechen, damit nicht hinter dem Tarnschild „Südtirol“ die österreichische Rechtsordnung durchlöchert und hinter der Nebelwand eines „irregeleiteten Patriotismus“ jene Kräfte sich neu alliieren, denen ein freies, unabhängiges und neutrales Österreich keinen Pfifferling wert ist.

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