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Nächtliche Begegnung

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Jede Nacht schreibe ich und schreibe — bitte, das ist doch verzeihlich, nicht wahr; schließlich möchte ich ja davon leben, mir mein Haus einrichten, Bücher, Bilder kaufen. Also strenge ich. mich fürchterlich an und gönne mir keine Ruhe. Aber dann merke ich plötzlich, daß dieses eigenartige Knistern gar nicht von meiner Gehirntätigkeit kommt, sondern — sondern von was, ja?

Ich weiß es nicht. Aber es knistert unaufhörlich und ich lausche. Und eines Tages bröselt es fein auf meinen Schreibtisch nieder und direkt vor mir, Aug in Aug mit mir sozusagen, steckt der Holzwurm seinen Kopf aus dem Getäfel und schaut mich an.

Mensch!“, sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Dümmer hättest du das aber wirklich nicht machen können, wie? Gehören solche Nägel in ein ordentliches Getäfel? Eine kostbare Woche hat mich dieser geschmacklose Drahtstengel da links oben gekostet! Ich werde die Gewerkschaft verständigen; das wäre ja gelacht! Was hat er überhaupt zu bedeuten?“

„Na, erlaube!“ sage ich fassungslos. „An diesem Nagel hängt der einzige wahrscheinlich echte Picasso dieser Stadt!“

„So? Picasso? — Nie gehört!“ mault er. „Ist das ein Grund, mir den Weg in die Zukunft zu vernageln?“

„Entschuldige!“ sage ich. „Wie hätte ich ahnen sollen…"

„Das ist es ja!“ schreit er. „Ihr habt nie auch nur die leiseste Ahnung!“

Was soll ich sagen? Er hat durchaus keine Manieren, kennt nicht einmal Picasso, aber trotzdem kommen wir ins Gespräch.

„Bohrst du übrigens a u c h?“ fragt er herablassend.

„Na, klar!" sage ich. Das scheint ihn njm zu interessieren.

„In was bohrst du denn?" bohrt er hartnäckig weiter.

„Ich bohre mich durchs Leben!“

„Oh, und wie schmeckt das?“

„Tja, es ist vor allem zäh, siehst du! Fürchterlich zäh! Aber ich muß durch! Muß mich durchbohren durch die Widerwärtig-, keiten, die Banalitäten des Alltagslebens, bis zum Erfolg! Und erst die nötige finanzielle Unterlage wird mir gestatten, das Dasein in seiner ganzen Transparenz zu genießen'

„Ach!“ seufzt er enttäuscht. „Hab ich rnir’s doch gleich gedacht! Wie fürchterlich gewöhnlich! — Vom Bohren' selbst hast du also gar nichts? Und merkst nur, daß es zäh ist? — Grundfalsch! Da schau zum Beispiel mich an! Ich habe mich für Holz entschieden. Es nährt mich, berauscht mich. Das Bohren selbst ist mein. Leben, mein Alltag und mein Sonntag, mein Erfolg!“

„Ein schöner Erfolg!" höhne ich. „Ein Loch im Holz zu hinterlassen!“

„Was hinterläßt denn du? — Aber ist es nicht sehr spießbürgerlich, davon zu reden, was wir hinterlassen werden? — In diesem Getäfel gibt es viele saftige Lärchen, dann gibt es eine süße Zirbe und an schlichten Fichten ist durchaus kein Mangel, ist das denn nicht genug?“

„Mir nicht!“ schreie ich. Ich bin nämlich kein Holzwurm! Und ich will Erfolge, Reichtum; ich will Behaglichkeit, Bücher, Bilder.“

Aber mit wem spreche ich? Er ist verschwunden in seinem Loch; nur ein bißchen bröselt es noch — das ist alles.

„Na, warte!“, sage ich, „du Schmarotzer du!“ Und hole Pinsel und Leimtopf. „Du bist z u weise und z u abgeklärt, als daß du nicht unbedingt noch etwas sagen müßtest!“ Und ich bestreiche das Loch mit Leim, um ihn zu fangen, sobald er wieder erscheint.

„Für s o dumm darfst du mich aber wirklich nicht halten!“ höre ich da seine Stimme und plötzlich steckt er seinen Kopf einen Dezimeter höher aus einem neuen Loch und lächelt mich hinterhältig an.

„Nun bist du schon leicht angeschlagen; das freut mich! Und vergiß nur nicht, was ich dir sagte: Es ist zwecklos, nur immer zu warten! Das Bohren selbst ist das Leben, auch für dich! Es muß dein Glück, dein täglicher Erfolg sein! Etwas anderes gibt es nicht! Auch du wirst nur ein Loch hinterlassen, wenn’s einmal so weit ist! Und wirst nichts davon gehabt haben! … Du schüttelst den Kopf? … Auch gut! Dann werde ich dich zuschanden machen, dich und deine Träume vom Erfolg, von Reichtum und Behaglichkeit! Ich werde deine Theorie widerlegen. Ich werde nicht ruhen, bis das Haus über dir und deinen Träumen zusammenfällt! Ich werde dich besiegen!"

„Gestatte, daß ich lächle!“ sage ich wütend.

„Lächle!“ antwortet er hochmütig. „Aber stell den Leimtopf ruhig beiseite und versuch’ auch nicht, mir eines Tages so einen schäbigen Picasso-Nagel ins Gehirn zu schlagen; es wäre völlig zwecklos und meine Nachfolger würden mich fürchterlich rächen!“

Und wieder ist er fort; diesmal kommt er nicht mehr.

Aber ist er wirklich fort? — Es knistert, wenn meine Schreibmaschine einen Augenblick schweigt, und es knistert, wenn ich nachts aus wirren Träumen auffahre. Und eines Tages kracht mein Picasso von der Wand auf den Boden nieder — und ich weiß genau, warum. Und nun hänge ich ihn nicht mehr auf …

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