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Narlc issos oder der A4enscli oline Eclio

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Dies ist die Geschichte der Narzisse, die im Frühjahr auf den Bergwiesen blüht: Narkissos war einst ein einsamer Mensch und lebte in den Bergen. Eines Tages rief er; er rief weit und laut hinaus; er rief nichts Besonderes; vielleicht rief er nur nach sich selbst; vielleicht aus lauter Freude am Dasein; nur so . .. Und da kam ihm, dem Einsamen, unverhofft eine Antwort. Von weither kam sie; und ebenso, in Ruf und Klang und Farbe, wie er selbst gerufen hatte. Eine richtige Antwort. Ein wenig leiser zwar, als er selbst geschrien und gejubelt hatte. Aber dennoch ein Anderes, das ihm zurückrief in der eigenen Sprache. Das war die Nymphe Echo. Da rief er noch ein zweites Mal — gespannt lauschend, ob die Stimme noch einmal antworten würde. Und wie vorher: in gleichem Ton, ein wenig schwächer zwar, rief die Stimme zurück. Da floh er, weit und leise, und wagte nicht mehr, einen Laut von sich zu geben, vor Angst, die Stimme verfolge ihn. Narkissos verstummte. Er verschmähte die Antwort; er verschmähte die Nymphe Echo; er wollte nicht, daß es neben ihm und in den Bergen etwa gäbe, das ihm begegnen könnte. Er war verliebt in die Einsamkeit und ins Alleinsein. — Da kam er zu einer Quelle. Und weil er müde war von seiner Flucht, beugte er sich über das keusche, klare Wasser, um zu trinken. Im Wasser aber begegnete er einem Antlitz; einem Menschengesicht, das sich auf ihn zubewegte. Und d.a er sejbst erschrak, erschrak auch der Zweite, der aus der Quelle ihn ansah, und zückte ebenso zurück. Und wenn er sich wieder vorbeugte, nach dem anderen, dem Zweiten, zu sehen, kam auch dieser ihm wieder entgegen. Wenn er lächelte, verlegen wegen der eigenen Neugier, lächelte auch das Antlitz des anderen aus dem Wasser. Im Spiel zwischen Scheu und Neugier, Furcht und Freude, stieg eine sehnsüchtige Liebe nach dem anderen in Narkissos auf. Aber der andere war unerreichbar; er antwortete mit seinem Antlitz immer in gleichem Maße und Rhythmus wie Narkissos, ohne daß Narkissos ihn hätte berühren können. Im Liebesschmerz nach diesem Gleichnis und Angesicht schwand Narkissos dahin, bis er eine bleiche, weiße Blume war, die auf Wiesen in den Bergen seither blüht. ..

Er, der die Nymphe Echo verschmähte und nicht bestand, hatte sich in sein eigenes Spiegelbild, in seine stumme Gleichheit verliebt und war daran zur Blume geworden. Wer das Echo verschmäht, wird seinem eigenen Bilde verfallen. Denn der Mensch braucht den Zweiten, den anderen, das Echo, das mit ihm spricht, das seine Sprache spricht und sein Wort versteht. In die farblose Kälte seiner selbst fällt, wer seines Geistes Echo und Gehilfen, seines Wesens Antwort nicht findet, verschmäht oder nicht besteht. Zwar ist auch der Mensch, der Echo findet, unvollendbar und bleibt im Leiden der Einsamkeit und des Alleinseins, des alleinen Einsamseins — aber er versinkt nicht in sich selbst. Eitle Reflexion, eigene Spiegelei, Verliebtheit und Schmerz nach sich selbst zerquält und löst denjenigen auf, der keinen Gehilfen will: weder Gott noch den anderen Menschen. Denn schon im Paradies sah Gott, daß es nicht gut war, wenn der Mensch allein sei. Gottes geistiges Wort fand ein Echo im Menschen: aber der Mensch für sich hatte kein Echo, weshalb Gott dem Menschen Adam die Gehilfin Eva zuführte: denn auch des Manschen Wort sollte eine menschengleiche Antwort haben.

Selbstgenügsam stürzt sich der Mensch in sich selbst. Das psychische Leiden an und in menschlicher Eigenliebe; die Verkrampfungen und Neurosen, die wie Wucherpflanzen sich über die Seele des modernen Menschen legen und ihn ersticken, kalt und farblos, eitel und unwichtig machen — das sind die modernen Narzissen, die in unseren Städten wachsen.

Alles Lebendige hat seinen Kreislauf. Vom Samen zum Keim, vom Keim zur Blüte, von der Blüte zur Frucht, von der Frucht zum Samen. Nirgends darf Lebendiges steckenbleiben; sonst müßte es untergehen. Steckenbleiben hieße: 360 Grad — 359 Grad zu sein — ein Negatives, keine ganze Eins, die zum Nächsten und Du fände.

Ist es immer innerlicher Wille derer, die kein Du finden, daß sie es nicht fanden und finden? Ist es Unentschiedenheit, wenn man nicht von sich selbst Abschied nehmen kann, um auf die Suche nach dem Du zu kommen? Es gibt Schädigungen der Natur, daraus dem Menschen das Schicksal erwachsen kann, allein bleiben zu müssen. Allzu geringer oder naturhaft gefälschter Geschlechtstrieb verhindern den Gang zum Du. Auch gewaltsame oder medizinische Schädigung der Natur, die eine Unfruchtbarkeit mit sich brachten, hindern oder verlangsamen die Entscheidung, von sich fort auf einen anderen Menschen hinzugehen. Solche Ausnahmen versetzen den damit Betroffenen in erzwungenes Alleinsein. Aber müßte nicht dann auch dieses, durch den Geist „sublimiert“ werden? Müßten solche Geschädigten nicht geistig offen sein? Offen für das, was oben ist und von oben kommt? Für das, was Gottes ist .und von Gott kommt? Vielleicht ist die naturbedingte Alleinigkeit nur eine besondere Form des göttlichen Rufes, eine Eifersucht Gottes, der einem Menschen das :,individuelle Gebot“ auferlegt.suchen? Manch einer mag dies als Ausweg empfinden, als das Unternehmen, aus der Not eine Tugend zu machen. Ist dies dann verwerflich? Liegt nicht in jeder Art von Schicksal, von gegenwärtiger Gegebenheit der Auftrag, gerade mit dem Gegebenen ein Leben und einen Sinn zu bauen? Nichts ist umsonst und darum ist nichts verloren.

Alleinbleiben kommt manchem Menschen aus Wille und Ueberzeugung. Für ihn gilt das Wort der Heiligen Schrift, daß er so sei „um des Himmelreiches willen“. Er wird, was das Geschlechtliche und den sexuellen Du-Trieb betrifft, unfruchtbar bleiben: er wird die Reihe des Blutes, die Tradition der Familie, die Bindung ehelicher Treue nicht fortsetzen. Der Wille, unfruchtbar zu bleiben, ist aber erst ein Negatives; in ihm muß sich ein Positives niederlassen: um des Reiches Gottes willen auf die Frucht des Blutes zu verzichten. Der Auftrag, wie Christus ihn von Seinem Vater hatte und an Seine Jünger weitergab, muß Inhalt eines solchen alleinen Lebens werden. Der Bau; die drweiterung, der Dienst am Reiche Christi verlangt von solchen Menschen die ganze Person und Persönlichkeit. Wohl hat auch der eheliche Mensch seinen Auftrag, am-Reiche Gottes und dessen Größe - aber einen anderen: Ehelich leben heißt, durch die Treue zum Partner und zur Familie das Bild der Treue Christi zu seiner Braut darzuleben. Um .des Reiches Gottes willen auf die Ehe verzichten, obwohl sie möglich und vielleicht gar wünschenswert wäre, heißt: nicht nur für einen Partner in Treue da zu sein, sondern für alle Brüder Christi sor-||jmw#eD: h.i&K nicht nur für die eine Familie des Blutes zu sorgen, sondern für die ganze Familie des Geistes, für die Kinder Gottes verfügbar zu sein; heißt: sich nicht nur für die Traditionen eines Hauses und einer Sippe verantwortlich zu fühlen, sondern für die Tradition des Heiligen Geistes und des Reiches Gottes Verantwortung zu tragen.

Nur um des heiligen und ganzen Wir willen ist das Alleinbleiben in dieser Welt sinnvoll und „menschlich“. Der Junggeselle, der ein Hagestolz wurde, und das Mädchen, das zur verbitterten alten Jungfer wird, sind unmenschlich und enden wie Narkissos in der Selbstzerstörung. Hat sich das Du nicht gefunden oder hat man es verpaßt, so ist und bleibt es ein Zeichen, daß der Auftrag ins Ganze und am Reiche Gottes gefordert wird; genau so wie jene Menschen, die für eine Entscheidung zum Du noch zu jung sind oder die bereits entschieden sind, aber noch im Brautstand sich befinden — solange sie so sind, geht ihr Auftrag auf die ganze Kirche und die Sorge um sie; sonst ist auch in diesen Menschen Narkissos wach, der, in sich selbst verliebt, untergeht.

Unmenschlich und unverantwortlich ist diese Lösung: aus sozialen Gründen kann einer vielleicht nicht heiraten; allein bleiben will er aber auch nicht, und flieht deshalb in ein außereheliches Verhältnis. Ein solches ist, abgesehen von der moralischen Wertung, eine menschliche Unentschiedenheit, die selbst bei Zustimmung beider Teile Illusion einer Wirklichkeit und darum Zersetzung, Egoismus bedeutet; das hieße, Gott und dem Mammon dienen.

Nicht die Verachtung des Du, sondern die Liebe zum Ganzen und All und “Heiligen, ohne Eigennutz und EigenlierJer nicht das Verpassen* les Du. sondern das Finden'des Du in Gott und als Reich Gottes; nicht die Unfähigkeit zum Du, sondern die höhere Befähigung zum Du Christi - das überwindet den Narkissos auf Erden. Unsere Gegenwart leidet daran, daß wir die Gefahren des Narkissos nicht mehr erkennen. Es gibt zu viele neurotische, psychopathische Ich-Verliebte, deren Du-Losig-keit eine Krankheit ist. Unsere Gegenwart krankt daran, daß sie die Ueberwindung des narzissischen Menschen nicht oder mit falschen Mitteln betreibt: die Psychoanalyse ist vielleicht eine Methode, das Krankhafte zu heilen — aber es gibt noch keinen neuen, lebenspendenden Inhalt. Du-Losigkeit muß nicht Krankheit sein und bleiben; sie kann und soll ein Heroismus werden: eingreifende Tat und Macht, die das Reich Gottes zur Aufgabe und den Himmel zum Ziele und die Ehre Gottes zum Sinn hat. Das Ganze und Ungeteilte zu wollen, scheint eine Anmaßung zu sein; wenn uns aber Gott durch Christi Wort dazu beruft* haben wir nicht weniger, sondern noch mehr zu fordern und zu leisten: um die Kraft und die Mächt zu beten, den Auftrag am Reiche Gottes erfüllen zu können — und zwar an jener Stelle, die uns die Situation des Augenblickes zeigt und zur Hand gibt; mit jenen Mitteln, die wir gerade im Augenblick haben, wenn wir gerufen werden.

Nicht die Reflexion auf sich selbst, sondern die Kontemplation Gottes überwindet das Ich und den Egoismus in der Welt. Nicht eitles, wichtiges Festhalten an sich selbst, sondern sich loszulassen ins Göttliche und seinen Reichtum, schafft auch auf dieser Erde brauchbare Glieder der Menschheit. Nicht die Ichverliebt-lieit des Narkissos, sondern die Liebe zu den erniedrigten und beleidigten Brüdern Christi überwindet die viel zu vielen Krankheiten der Seele.

Narkissos verschmähte die Nymphe Echo; der Christ sucht das göttliche Echo. Narkissos ver-iebte sich in sein Spiegelbild; der Christ liebt len Erstgeborenen unter uns Brüdern, den Ihristus, mehr als sich selbst. Narkissos ;chwand an sich selbst hin — es bleibt von ihm mr die kalte, weiße Blume der Bergwiesen; der Zhrist schwindet hin am größeren Christus und :s bleibt von ihm die Rose der. Anbetung auf

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