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Natürliche Therapeuten

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Seit Urzeiten beschäftigt die Menschen das Träumen, ob als illusionistische Trugbilder oder als natürlichen Therapeuten der Seele.

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Seit Urzeiten beschäftigt die Menschen das Träumen, ob als illusionistische Trugbilder oder als natürlichen Therapeuten der Seele.

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Ein Engel, das Kreuz als Siegesfahne darbietend, ruft dem Schlafenden zu: „In hoc signo vin-ces”. (In diesem Zeichen wirst Du siegen.) Das Sujet zu diesem Gemälde von Piero della Francesca im Chor der Franziskanerkirche zu Arezzo lieferte ein Traum, den Kaiser Constantin vor der Schlacht mit seinen heidnischen Gegenspielern Licinius und Massen-tius hatte. Der Kaiser folgte dem Wink des Traumes, erhob das Kreuz zu seiner Fahne und schlug seine Gegner vor Rom. Nur ein Beispiel dafür, daß Träume, fern und verborgen in ihrem Ursprung, jedoch vieldeutig in ihren Aussagen, über Jahrtausende die Menschen beschäftigten und in allen Kulturen beachtet und gedeutet wurden.

Zwar wußten schon die Griechen und Römer, daß Träume nur illusionistische Trugbilder sind, der objektiven Sinn der Traumerlebnisse wurde von ihnen jedoch als bedingte, zeichenhafte Offenbarung der Gottheit gesehen. Eine Auffassung, die bis in die Anfänge des Christentums vertreten wurde. Den Träumen nachzuspüren begann der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebende Traumforscher Artemidor. Er erkannte, daß sich aus den Träumen Rückschlüsse auf das Leben des Träumenden ziehen lassen. Gewisse Traumsymbole, so seine Beobachtung, waren bei vielen Menschen die gleichen. Das von ihm verfaßte Traumbuch wurde zum Bestseller, das bis ins 18. Jahrhundert zur Traumdeutung diente.

Sigmund Freud war es dann, der die Traumdeutung auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte. Er erkannte die ungeheure Bedeutung des Traumes als Sprache des Unbewußten und die geradezu lebensnotwendige Verarbeitungsfunktion der Bilder und Symbole. Freuds Annahme jedoch, „daß alles Material, das den Trauminhalt zusammensetzt, auf irgendeine Weise mit Erlebtem zusammenhängt, also im Traum erinnert wird, ...” wird heute von den verschiedenen psychologischen Schulen nicht mehr einhellig geteilt. So vertreten zwar viele die Meinung, daß in die Träume Erlebtes einfließt, die Kreativität des Menschen jedoch auch zu vollkommen neuen, originellen Schöpfungen kommt.

Fest steht, daß einzelne Traumsymbole und gewisse Muster von Träumen seit denkbaren Zeiten immer wieder die gleichen sind. Nach Carl Gustav Jung sind dabei die „Archetypen” mit im Spiel, diese ältesten Urerlebnisse der Menschheit, wie der Kampf der Menschen mit der Natur, die Bedrohung durch wilde Tiere, kriegerische Auseinandersetzungen, die sexuelle Erfahrung von Mann und Frau.

All dies lebe als „kollektives Unbewußtes” der Menschheit in jedem einzelnen von uns weiter. Wo jemand in sehr tiefe Konflikte gerät, aber auch bei großen Freuden des Daseins, griffen die Träume zurück auf diese Urbilder. Der Mensch verbinde sich dann mit dem uralten Wissen einer Menschheit, die sich aus allen Nöten befreit und in allen Erschütterungen immer wieder zu-recht gefunden hat, meint Jung. Das Traumbild, das sich auf diese inneren Inhalte bezieht, verstehe man nur mit Hilfe eines Deuters, der sich in diesen Gleichnissen auskennt.

Neben den Urbildern besteht der Stoff, aus dem die Träume sind, zu einem guten Teil aus Erfahrungen und Erlebnissen, die uns so erschreckt haben, daß wir sie verdrängten. In diesem „Unbewußten” ruhen sie dann neben unzähligen wichtigen und banalen Tageseindrücken, die wir ebenfalls nicht verarbeiteten. Im Traum kommen sie zu ihrem Recht. Eine Chance für uns, mit diesem eigenen, quasi „privaten” Unbewußten fertigzuwerden.

Träume sind für uns oft verwirrend und unverständlich. Sie berücksichtigen weder Zeit und Raum noch die Gesetze der Logik. Wir können im Traum fliegen, unter Wasser atmen, wir treffen tote Freunde wieder, überstehen die größten Abenteuer mit heiler Haut, sehen uns selbst tot am Boden liegen und stehen noch im Traum wieder auf. Was soll das alles?

Großträume, so die Meinung von immer mehr Psychologen, sind in Sprache und Erzählung den Mythen und Märchen verwandt. Sie sind gestaltete, geformte, durch die Jahrhunderte weitergegebene Erfahrung menschlichen Schicksals. Kennen wir jedoch die großen Mythologien der Völker, etwa die griechischen und germanischen Sagen, die Märchen Europas und Asiens, können wir auch unsere Träume besser verstehen lernen und damit vielleicht uns selbst.

Trotzdem, ob wir den Sinn eines Traumes ergründen können, bleibt vage. Sicher jedoch ist: Träume erfüllen einen wichtigen Zweck. Wobei gesagt werden muß, daß der Mensch nur während eines natürlichen Schlafs träumt. Unter der betäubenden Wirkung von Alkohol, Schlaftabletten und Drogen ist das Unterbewußtsein quasi gelähmt und der Schläfer bringt sich um die reiche Erlebniswelt des Traumes. Über lange Zeiträume ist solch ein traumloser Schlaf schädlich für die Seele. Launenhaftigkeit, Gereiztheit und Depressionen sind die Folge. Ebenso können Schäden auftreten, wenn man den Menschen nicht träumen läßt - ihn zum Beispiel während der Traumphase weckt.

In Schlaflabors fand man unter anderem heraus, daß die Träume mit den Schlafzeiten variieren. In den ersten Stunden des Schlafes werden die Eindrücke des letzten Tages verarbeitet, manchmal auch die von zwei bis drei Tage zurückliegenden. Im letzten Drittel des Schlafes, also in den frühen Morgenstunden, kommen dann die Vergangenheit und das Unbewußte zu ihrem Recht.

Auch wenn wir uns an unsere Träume nicht erinnern können, jeder Mensch träumt, in jeder Nacht, oft sogar mehrere, unterschiedliche Träume, die von seinen Tageseindrücken, seiner Vergangenheit und dem Unterbewußtsein abhängig sind. Daß auch Reize, die während des Schlafes auf ihn einwirken, im Traum verarbeitet werden, zeigt folgendes Beispiel: Als man Schläfer mit Wasser übergoß träumten sie, in einen Fluß zu fallen.

Dieses Beispiel zeigt, nicht alle Träume müssen bedeutungsvoll sein. Die meisten sind sogar höchst banal. Sie dienen einzig der „Seelenhygiene”. Daher, so die Meinung der Psychologen, soll man sich auch nicht ohne einschlägige Kenntnisse an die Traumdeutung heranwagen -schon gar nicht mit Büchern, die bestimmte Traumsymbole erklären und für ein Millionenpublikum ge-« schrieben sind.

Das Erlebnis des Traumes gehört zu den persönlichsten, sich wiederholenden Erfahrungen des Menschen. Er und kein anderer träumt seine Träume, erlebt diese oft fremdartigen Nachtgeschehen. Fremdartig und geheimnisvoll, weil sie sich ohne sein Zutun ereignen. In einer Welt, die sich seiner Kontrolle entzieht und so ganz anders ist als die vertraute Welt des Tages.

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