6759615-1968_09_15.jpg
Digital In Arbeit

NATURALIST UND AVANTGARDIST

Werbung
Werbung
Werbung

Er nennt sich Naturalist und Avantgardist zugleich. Und alle jene, welche unter Avantgardismus augenblicklich herrschende Kunstrichtungen verstehen, seien daher aufgeklärt: Denn da das Lob dieser gehätschelten Kinder einer modernen Auffassung heute bereits zum guten Ton gehört, sind sie gleichzeitig auch schon passe.

So zumindest beurteilt der Maler, Graphiker und Bildhauer Alfred Hrdlicka die Situation. Er ist Außenseiter. Und bezeichnet sich selbst als Autodidakt. Was er an der Akademie der bildenden Künste bei J. Dobrovsky und A. P. Gütersloh gelernt habe sei zwar nützlich, jedoch keineswegs ausschlaggebend gewesen. Ebensowenig habe ihn die anschließende Lehrzeit bei Fritz Wotruba wesentlich beeinflußt. „Auf künstlerischem Gebiet waren wir uns nicht einig. Rein menschlich allerdings verstanden wir uns recht gut.” — Was ihm schließlich zum Durchbruch verhalf und seinen Werken jenes ganz bestimmte Spezifische gab, das sie — nun — eben zu „einem Hrdlicka” macht, habe sich unabhängig von irgendwelchen Schulen und Richtungen entwickelt. „Was ich mich selbst lehrte ist besser als das, was mir gelehrt wurde.”

Mit dieser kategorischen Feststellung und einem Schluck schwarzen Kaffee aus dunkler Steinguttasse war für den weiteren Verlauf eines höchst unterhaltsamen Gespräches gesorgt. Das Atelier im sogenannten „südlichen Bildhauergebäude” in der Krieau bot den entsprechenden Rahmen. Eine schwache Wintersonne durch riesige, mehrere Meter hohe Fenster, verfärbtes Laub und die bröckelnde Pracht entschwundener k. u. k. Zeiten laden zu nachdenklichem Inne- halten und stillem Betrachten ein.

Die wuchtigen, überlebensgroßen Steinskulpturen Alfred Hrdlickas verraten viel von der eigenwilligen Auffassung des Künstlers. Oft sind es nur Torsi, Gliedmassen, einzelne Körperteile, die jedoch — einzeln betrachtet — stets von einer bestimmten Aussage geprägt werden. Muskulöse, kräftig durchgearbedtete Leiber zeigen Dramatik und Leidenschaft. Geballte’ Fäuste, hochschnellende Arme erinnern an die Dynamik kämpfender Gladiatoren. Und tatsächlich ist das Thema des kraftvollen, mit einer überdimensional vergrößerten Faust zuschlagenden Gladiators von Hrdlicka des öfteren gestaltet worden.

Bei intensiverem Studium allerdings zeigen Hrdlickas Werke weit mehr als bloße Kraftmeierei. Da ist in gleicher Weise ein äußerst sensibles Erfassen seelischer Dimensionen zu spüren. Ein Festhalten feiner Zwischenwerte, das Erfühlen einer gewissen Komik in jeder Tragik und deren Steigerung in die Groteske. Es ist der geschundene, geschlagene, der zur Kreatur erniedrigte Mensch, der in ihnen wiederkehrt. Und es ist Mitleid mit diesen, von einem maßlosen Schicksal Geschlagenen, welches dabei Pate stand. Gut und Böse, die zwei Pole, an denen sich der Mensch orientiert, werden zur Sprache gebracht. „Die Kunst ist ein Seismograph, der aufzeigt, was gut ist und was schlecht.” Womit Alfred Hrdlicka allen „Ästheten und sterilen Akademikern” den Kampf ansagt. Ein Schlachtruf, der wohl vernommen worden ist. So blieb beispielsweise bei einer seiner letzten Ausstellungen, nämlich jener in Baden-Baden im August 1967, die Karlsruher Akademie demonstrativ fern.

Seine Werke sind fast sämtlich von dieser Einstellung geprägt. Da ist Haarmann, ein Lustmörder aus dem Deutschland Mitte der zwanziger Jaihre, welcher unter der Maske des harmlosen Bürgers seine Opfer zerstückelt um anschließend mit einer wahren Pedanterie die Stätten seiner Morde zu säubern. Parallelen zur hygienischen Sauberkeit nazistischer Gaskammern ergeben sich von selbst. Da ist — in etwas gewagter Gegenüberstellung — die schlackenlose, in geo- metrisdier Formen sich erschöpfende Malerei eines Piet Mondrian, dessen leere Flächen mit boshaft grinsenden Faungesichtern und kruden Abstrusitäten gefüllt werden. Und schließlich die Serien „J. J. Winckelsmanns schauriges Ende” und „Edle Einfalt und stille Größe”, die in Winckelmann nicht den Wiederentdecker einer faden und farblosen Antike, sondern einen abartigen Charakterschiwächling sehen. Diese

Themen zusammengefaßt unter dem dreiteiligen Zyklus „Zur Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts” gelten als bisher bedeutendste Werke unter Hrdlickas graphischen Arbeiten.

Viele Graphiken Alfred Hrdlickas haben als Skizzen zu seinen Plastiken gedient. Denn der Künstler, welcher ursprünglich Maler werden wollte, wandte sich im Jahre 1959 der Druckgraphik zu, um schließlich vor allem im Stein ein geeignetes Medium für seine künstlerischen Ambitionen zu finden. Das grobe, ungefüge Material würde eine größere Konzentration, ein größeres Engagement erfordern und entspräche daher am besten seinen Absichten. Was in Stein gehauen ist, bleibt. Es kann nicht vertuscht, es kann nicht rückgängig gemacht werden. Es ist kompromißlos, tatsächlich und wahr.

Inspirieren läßt sich Hrdlicka von dem, was täglich geschieht. Er will Tatsachen schildern. Oft sind es Zeitungsartikel, die ihn anregen, Reklame, Sport, politische Geschehnisse. „Eine unpolitische Kunst finde ich lächerlich.” Der Zyklus „Martha Beck”, in den Jahren 1962/63 entstanden, welcher das Schicksal der Krankenschwester Martha Beck behandelt, die in maßloser Leidenschaft dem Heiratsschwindler Ramon verfallen, ihre sämtlichen Rivalinnen tötet um schließlich auf dem elektrischen Stuhl zu enden, hat seinen Ursprung in dem Bericht einer französischen Abendzeitung. Dasselbe Thema findet sich auch in seinen bildhauerischen Werken wieder.

Die Folge von Bildern und Situationen, das Abrollen lebendig dargestellter Geschehnisse und gleichzeitig damit das Erzählerische seiner Graphiken erinnert an die amerikanischen Comic strips. Seine Anekdoten und Histörchen wirken spontan, die Hell-Dunkel-Werte werden von der Dramatik der Szene bestimmt. Sie sind humorvoll und witzig, makaber und grotesk. Manchmal schaurig — so, als wollten sie das Gruseln lehren. Und doch reichen sie dabei bis in die tiefsten Schichten menschlichen Seins. „Die Gesetze der Schönheit dürfen nie wichtiger werden als die Gesetze der Wahrheit.” Es ist immer der Mensch, welcher im Mittelpunkt von Hrdlickas Schaffen steht. Und es ist eine sinnliche, körperhafte Kunst, die diesen Menschen dokumentiert. Sie ist gegenständlich und figu- rativ. Und unterscheidet sich dadurch wesentlich von den augenblicklich herrschenden abstraktiven Tendenzen. Nicht der abstrakte Begriff, sondern die konkrete Anschauung dient als Leitmotiv. „Ich möchte nicht ,die Schreitende1 schaffen, sondern ,die schreitende Frau Soundso .”

Hrdlickas Plastik läßt sich schwer eingliedern in die kühle Schlichtheit moderner Architektur. Seine leidenschaftlich hochgepeitschten Leiber passen schlecht zur glatten Ebenmäßigkeit gesichtsloser Fassaden. Und darin ist wohl auch der Grund zu suchen, warum er es in den meisten Fällen ablehnt, für Auftraggeber zu arbeiten, und sich selbst als reinen „Ausstellungskünstler” bezeichnet. Weil der Rahmen, in den das Werk gestellt werden soll, nicht zu den ursprünglichen Absichten des Künstlers paßt. Und sich dieser umgekehrt den Gegebenheiten nicht angleichen will.

Dieser Aufrührer in Wiens eher langsam fließenden Gewässern hatte daher in seiner Heimatstadt (und dies besonders am Anfang) mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sein Ausspruch „ich bin kein Verkaufsschlager in Österreich” macht dies deutlich. Anerkennung wurde ihm vor allem in Deutschland zuteil. Die meisten seiner Ausstellungen fanden in der Bundesrepublik statt. Trotzdem findet er Wien als Arbeitsplatz nahezu ideal. „Man hat hier die nötige Ruhe dazu.”

Als Außenseiter erwies sich Alfred Hrdlicka bereits sehr früh. Schon während er die Akademie besuchte, ging er seine eigenen Wege. Und auf der Wotruba-Schule war er als Enfant terrible verschrien. Die Auffassungen und Ideen der „Wiener Schule der phantastischen Malerei”, welche sich damals mit Fuchs, Lehmden, Brauer, Hutter und Hausner formierte, beeinflußten ihn wenig. Er fühlte sich vielmehr vom Kubismus, was die Form, und vom Dadaismus, was das Thema betritt, angesprochen. In technischen Dingen habe er viel dem Wotruba-Schüler und -Assistenten Andreas Urteil zu verdanken. Auch eine Lehrzeit bei der Wien-Film, wo er diverse Gipsabgüsse für Dekorationen anzufertigen hatte, sei ihm in dieser Hinsicht von Nutzen gewesen.

Im Jahre 1954 — also zu einer Zeit, als er noch bei Wotruba zur Schule ging — richtete er sich einen Schuppen auf einem Abfallplatz als Bildhaueratelier ein und übte dort für sich und ganz im stillen. Später erhielt er ein Atelier in Simmering. Und seit knapp einem halben Jahr ist er in dem schon erwähnten Bildhauergebäude in der Krieau heimisch. Seine erste Ausstellung fand im Jahre 1960 zusammen mit seinem Freund Fritz Martinz statt. Sie umfaßte Bilder, Graphiken und Plastiken. Hrdlicka dokumentierte sich damit als figura- tiver, gegenständlicher Künstler und somit als Außenseiter. Die folgenden Ausstellungen verhalfen ihm zu Anerkennung im In- und Ausland. Preise und Diplome folgten: Im Jahre 1961 der Förderungspreis der Stadt Wien, 1963 der Preis der Graphik Biennale in Ljubljana, Jugoslawien, 1964 der Preis der VIII. mostra internationale di bianco e nero in Lugano, 1965 der Preimio Biella, 1966 auf der V. Internationalen Graphik Biennale in Tokio der Preis des modernen Museums von Kamakura, und schließlich 1967 der Preis der Stadt Wien, ein großer Preis auf der Graphik Biennale in Ljubljana und der österreichische Staatspreis 1968. Außerdem wurden 1964 Plastiken und Graphiken Alfred Hrdlickas neben Werken Herbert Boeckls als offizieller Beitrag Österreichs zur Biennale in Venedig entsandt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung