6772293-1969_07_12.jpg
Digital In Arbeit

Negative Helden

19451960198020002020

Es ist für einen Dramatiker ernüchternd, wenn ein Freund sein neuestes Werk ablehnt. So sagte Merck im Jahr 1774 zu Goethe über das Trauerspiel „CI a v i g o“, das eben in acht Tagen entstanden war: „Solch einen Quark mußt du künftig nicht mehr schreiben; das können die anderen auch.“ Aber Goethe meinte, Merck habe unrecht. Tatsächlich wird dieses Stück nach fast 200 Jahren immer wieder gespielt, derzeit abermals im Burgtheater.

19451960198020002020

Es ist für einen Dramatiker ernüchternd, wenn ein Freund sein neuestes Werk ablehnt. So sagte Merck im Jahr 1774 zu Goethe über das Trauerspiel „CI a v i g o“, das eben in acht Tagen entstanden war: „Solch einen Quark mußt du künftig nicht mehr schreiben; das können die anderen auch.“ Aber Goethe meinte, Merck habe unrecht. Tatsächlich wird dieses Stück nach fast 200 Jahren immer wieder gespielt, derzeit abermals im Burgtheater.

Werbung
Werbung
Werbung

Wirkliche Begebnisse boten bekanntlich den Stoff: Als der Journalist und Schriftsteller Clavigo Archivarius des spanischen Königs wurde, verließ er um der Karriere willen nach sechsjähriger Verlobungszeit Marie, ein Mädchen, „arm, ohne Stand“. In Madrid sprach man davon. Der Bruder Maries, Beaumarchais, eilte von Paris zu ihr, um den ihr angetanen Schimpf zu rächen. Es gelang ihm, den Verhaßten zu stürzen und volle Genugtuung zu erlangen. Beaumarchais berichtete darüber in seinem Memoire gegen Clavigo, aus dem Goethe eine lange Szene fast wörtlich übernahm. Was aber in der Wirklichkeit keineswegs verhängnisvolle Folgen hatte — Clavigo wurde wieder in seine Würde eingesetzt und erreichte später hohes Ansehen —, steigerte der 25jährige Goethe ins Tragische: Als der Archivar nach reuiger Rückkehr Marie abermals verläßt, stirbt sie an ihrem Schmerz, und ihr Bruder tötet den nur schwach sich Wehrenden an ihrer Leiche. Beaumarchais, der auf einer Reise von Wien nach Paris Goethes Stück in Augsburg sah, meinte, der Deutsche habe „seine Geschichte mit einem Begräbnis und einem Zweikampf überladen, Zutaten, die weniger Talent als Hohlköpflgkeit verraten“. Sind nun diese Zutaten gerechtfertigt? Otto Brahm verteidigte sie, er erklärte, wo immer ein Dichter folgerichtig die innere Notwendigkeit einer Fabel herausstelle, habe er dazu, wider die äußere Wahrheit, das Recht. Dem ist entgegenzuhalten, daß wir die Rachgier des Goetheschen Beaumarchais — „meine Zähne gelüstet's nach seinem Fleisch, meinen Gaumen nach seinem Blut“ — nicht mehr nachfühlen können; sie wirkt nicht als Notwendigkeit. Nach Millionen von Toten, die die „Politik“ auf dem Gewissen hat, ist für uns die Schlußszene mit dem Duell am Sarg nicht mehr ertragbar. Doch wirkt der Konflikt zwischen Karrieresucht und Liebe nach wie vor heutig. Da Goethe ihn bei seinem Clavigo in einem Schwebezustand der Be-drängtheit und Unentschlossenheit hält, ermöglicht dies im Seelenbild des Archivars gegenüber der Darstellung durch Beaumarchais eine erhebliche Verfeinerung. Einen un-helddschen Helden, einen Karrieristen mit Gewissensskrupeln als Hauptgestalt herausgestellt zu haben, ist ein Verdienst Goethes. Erfreulicherweise nimmt Leopold Lindtberg als Regisseur das allzu Überhitzte im Text wie in der Aufführung zurück. Nur Sebastian Fischer stößt mitunter als Clavigo beinahe hektisch vor, er erweist sich als zuwenig differenziert. Boy Go-bert ist als Carlos ganz überlegen kühler Taktiker. Beherrschte Spannung zeigt Klaus Jürgen Wussow als Beaumarchais. Erika Pluhar wirkt als verlassene Braut von Anfang an wie vom Tod gezeichnet. Die noblen Bühnenbilder von Ruodi Barth sprechen in ihrer verhaltenen Farbgebung besonders an.

Im Kleinen Theater der Josefstadt wird in dem Stück „Hoppe hoppe Reiter“ des Engländers David Mcr-cer das Charakterbild eines jungen Schriftstellers, eines Paranoikers, dargeboten. Sein Ungenügen mit sich selbst, seine krasse Herzlosigkeit, sein Schaukelspiel zwischen Lethargie und Aggressivität drücken sich seiner Frau, einer jungen Ärztin, gegenüber wie in den Beziehungen zu zwei weiteren Frauen aus. Schließlich gehabt er sich als scharfer Linksradikaler, was sogleich ad absurdum geführt wird, indem er in SS-Uniform aus einem Schrank tritt. Ausbrechender Wahnsinn — er kräht wie ein Baby — zeigt infantile Haß-Liebe-Bindung an die Eltern. Ein Sonderfall, der weder AUgemeingültigkeit besitzt noch den bestehenden Zustand irgendeiner Gesellschaftsgruppe — siehe „Magic Afternoon“ — darstellt. Edwin Zbonek bietet als Regisseur eine intensiv wirkende Aufführung mit Sieghardt Rupp sowie mit Elfriede Ramhapp. Grete Zimmer und Sylvia Eisenberger.

Der irische Dramatiker Sean O'Casey erklärte noch an seinem 84. Geburtstag, er sei mehr denn je Kommunist. Doch verstand er den Kommunismus als praktisches Christentum. Er war ein Einzelgänger. Das spürt man auch in dem ersten, im Jahr 1923 entstandenen Stück seiner Dubliner Trilogie, der Tragikomödie „Der Rebell, der keiner war“, die derzeit im Theater der Courage aufgeführt wird. Er bedient sich da der „Pfützenspiegelung“, indem er zeigt, wie sich die irische Freiheitsbewegung in den Bewohnern eines armseligen Mietshauses auswirkt: höhle Begeisterung für alles Heldische bei schlotternder Feigheit. Den jungen Dichter Davo-ren hält man bewundernd für einen Rebellen, der sich versteckt hält, in der entscheidenden Stunde, bei einer Razzia versagt er; ein Mädchen, das ihn liebt und retten will, wird erschossen. Alle Figuren sind meisterhaft gezeichnet und werden, von dem Mädchen abgesehen, bloßgestellt, lächerlich gemacht. Dennoch spürt man Menschenliebe. Werner Prinz bietet als Regisseur vor allem mit Michael Neher, Karl Dobrawsky und Angelika Graf, aber auch mit Lydia Czerwenka, Rosemarie Thon, Helmut Hron und den anderen Mitwirkenden eine Aufführung, die kaum von einer Großbühne zu übertreffen wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung