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„Neue“ Romane

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Das Geheimnis des Luca. Roman. Von Ignazio S i 1 o n e. Aus dem Italienischen übertragen von Fritz Jaffe. 208 Seiten. Preis 9.80 DM. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln. — Morgen Mittag 12 Uhr. Roman eines Justizirrtums. Von Erich Ebermayer. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg. Wien.

Zur gleichen Zeit sind zwei Romane erschienen, in denen man es mit Irrtümern der Justiz zu tun bekommt und mit Männern, 'die ins Gefängnis gehen, um ihren Liebsten Scherereien zu ersparen. Sie schweigen tapfer, ruinieren sich das Leben, nehmen ein Verbrechen auf sich, das sie gar nicht begangen haben und zwanzig oder dreißig Jahre Zuchthaus, der eine, um seine schuldig gewordene Verlobte aus einer Mordaffäre herauszuhalten, der andere, um seine Freundin, eine verheiratete Frau, mit seinem Alibi nicht ins Gerede der Leute zu bringen.

Aber Erich Ebermayer hat mit seinem Roman nur eines seiner Drehbücher aus den dreißiger Jahren noch einmal zurechtgemacht. Sein Mädchen Renate trägt nun zwar Dreiviertelhosen und saust mit 140 Stundenkilometern in einem Mercedes herum (weil es jetzt vornherum irgendwo heißt: Copyright 1957), aber das genügt eben nicht, um das etwas rückständige Gemisch von Kinopsychologie und Bei-nahe-Inzest genießbarer zu machen. Was in diesem Roman herumsteht, geht, flennt, redet und die Augen rollt, ist doch schon sehr von Anno dazumal und hat nicht viel mehr zu bieten als einige Kitzligkeiten und einen rührsamen Schluß. Aus einem Filmreißer ist nur ein Quasi-Roman gemacht worden (mit viel Durchschuß und dickerrt Papier), eine jener Mittelmäßigkeiten, die in Leihbibliotheken zu wandern , pflegen.

S i 1 o n e dagegen hat aus einer abruzzischen Dorfgeschichte eine kleine Dichtung gemacht. Wir wollen hier die Affäre nicht nacherzählen und das Geheimnis des Luca nicht enthüllen, der nach vielen Jahren erlittener Haft begnadigt, wieder als alter Mann in sein Dorf zurückkommt, und berichten, wie sein Erscheinen die Alten, die ihn in seiner Jugend noch gekannt hatten, aufstört und in Verwirrung bringt; wir wollen nur sagen, daß diese sonderbare und seltsame Geschichte ihre Glaubwürdigkeit hat für den, der südliche Menschen kennt und die Abgeschlossenheit abruzzischer Gemeinden mit ihren uralten Sitten und Konventionen, ihren Tabus und ihrem Sippengefüge. Man begreift, daß dieser kleine Roman aus der engeren Heimt Silones den Romanpreis von Salento erhalten hat.

*

Einer zuviel. Roman. Von Heinz Risse. Verlag Albert Langen — Georg Müller, München. 25 5, Seiten.

Daß die Geschichte zu drei Vierteln vor dem ersten Weltkrieg spielt, hat weiter nichts zu bedeuten. Das gibt dem Verfasser nur Gelegenheit, ein paar Pennälerwitze anzubringen, sich in Schulerinnerungen zu ergehen und für seine Abiturientenklasse noch ein humanistisches Pensum vorzusehen, das 1939 vermutlich etwas anders ausgesehen hätte. Das alles ist auch nur ein Nebenbei. Der Roman fängt ziemlich heiter an und man wird lange nicht darauf vorbereitet, daß er ein makabres Ende haben wird. Primanerulk breitet sich aus, Freundschaften werden geschlossen und gehen wieder in die Brüche, Lehrer werden belacht und bald befindet man sich im dicksten Bubenschabernack.. Dann geht's aufs Thema los, lachend, scherzhaft, abenteuerlich. Es wird einer erfunden, der zuviel sein wird, ein Imaginärer, einer, der nicht existiert und doch vorhanden ist, Max Küpper, den es eigentlich nicht gibt, der aber in der Klasse eines halbblinden Professors Aufsätze abliefert und Antworten gibt, ein wirklich-unwirkliches Gespenst. Es ist, amüsant zu lesen, wie dieser Streich geplant und in Szene gesetzt wird und man richtet sich darauf ein, es mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung zu. tun zu bekommen; aber dann geht das Ganze daneben. Der Krieg bricht aus und Max Küpper verschwindet und mit ihm alle die kecken Burschen. Nach allen Richtungen w.:ht es sie auseinander, und bevor der Imaginäre noch so richtig zum Zug gekommen ist, ist er schon nicht mehr vorhanden. Nach vielen Jahren trifft man ihn wieder, in einem Nervensanatorium oder einer Irrenanstalt. Dort, scheint es, ist er in seinen Erfinder eingegangen wie ein Succubus, aber es ist nun nichts mehr mit ihm los. Er ist geisteskrank geworden und von irgendeiner Entwicklung kann natürlich keine Rede mehr sein. Es wird nur noch ein fatales Ergebnis gezeitigt; aber wie es dazu kam, erfährt man nicht.

Es wird zwar noch ein wenig um diesen Imitginüroi herumgeredet, aber das verliert an Interesse und das psychologisch-metapsychologische Problem, das Risse 'vermutlich anfangs faszinierte, ist auf der Strecke liegen geblieben. Schade. „Einer zuviel“ ist zwar eine streckenweise gut und geschickt geschriebene Erzählung geworden, aber sie ist nicht zur Reife gediehen und mit den Schlußkapiteln verpatzt worden. *

Die rote Donau. Roman. Von Bruce Marshall. Aus dem Englischen von Jakob H e g n e r. Im Verlag Jakob Hegner, Köln und Ölten.

Man liest diesen Roman mit gemischten Gefühlen und findet, es sei ein zweifelhaftes Vergnügen, einem Bruce Marshall begegnen zu müssen, der anfängt, mit der linken Hand zu schreiben. Denn es gibt da überchargierte Figuren, die dem „Punch“ entsprungen sein könnten und andere, die senil oder debil geworden sind und wie mißratene Scherzartikel. Daneben breitet sich klösterlicher Ernst aus und ein russischer Major macht eine grimmige Miene. Man ist im Wien der Viermächtebesetzung, spürt aber nichts vom Ambiente und könnte ebenso gut in X oder Y sein. Das Ganze ist ein kurioses Zusammensetzspiel von Unadäquatem, und mit den Schlußworten könnte man sagen: „Schließlich ist es gehupft wie gesprungen, ob ins Ziel oder daneben getroffen wurde.“

Wie gesagt, man ist enttäuscht. Man findet diesen kleinen Roman zwar immer noch besser als vieles, das heutzutage gedruckt und angepriesen wird, aber man hat zum Voraus mehr erwartet, nicht nur einen halben, sondern einen ganzen Marshall und einen, der sein Niveau hält. Denn wer kann wissen, wenn es der Verlag verschweigt, daß dieser Roman nicht nach, sondern schon vor jenen entstanden ist, die bei uns berühmt geworden sind? Wer kann wissen, wenn er nicht Spezialist für moderne englische Literatur ist, daß „Die rote Donau“ gewissermaßen zu den Stilübungen des schottischen Romanciers gehört, zu jenen frühen Büchern, in denen sich sein bemerkenswertes Talent erst anfing zu entfalten? Wer das weiß, der findet einen anderen Maßstab der Beurteilung, wer das nicht weiß, der bleibt irritiert. Ich meine darum, es wäre dem Verlag und den Verlegern zu empfehlen, nicht immer wieder so zu tun als ob. Es sollte, auch im Interesse der Autoren, international geübte Gepflogenheit werden, mindestens bei Uebertragungen das Entstehungsjahr des Buches anzuzeigen. Damit könnten sich die Verleger verschiedene Unannehmlichkeiten von Seiten der Kritik ersparen und außerdem wäre das fair. Das sei hier nebenbei gesagt.

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