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Neue Ströme

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Mögen auch andere Diözesen mehr unter dem äußeren Geschehen des Krieges gelitten haben, so ist doch keine andere Diözese am Ende des Krieges vor so mannigfache neue Probleme gestellt gewesen wie die Erzdiözese Salzburg. Als dem Deutschen Reich benachbartes Grenzland und zugleich von ihm abhängiges Fremdenverkehrsland war es wie kein zweites den Verlockungen Hitler-Deutschlands ausgesetzt gewesen, was sich nach der Besetzung Oesterreichs in einer besonders aggressiven Haltung der Gauleitung gegen die Kirche bemerkbar machte. Das alte Benediktinerstift St. Peter, das Franziskaner- und Kapuzinerkloster wurden aufgehoben, ein Teil des Klerus wanderte in die Gefängnisse, ein Teil in die Konzentrationslager, der jüngere Klerus wurde zum Militär eingezogen, der Bischof aus seinem Heim vertrieben. Das Schicksal der Geistlichkeit teilten viele katholische Laien. Von oben betriebene Kirchenaustrittspropaganda hatte großen Erfolg. Die Kirche war in die Sakristei zurückgedrängt. Es wäre eine Täuschung, wenn man meinte, daß nach dem Krieg dieser Geist verschwunden wäre. Von einem Rückstrom zur Kirche war wenig zu merken.

Von Osten und von Westen strömt ab 1945 viel fremdes Volk ins Land. Es sind nicht nur die politisch Verfolgten, die vor den Russen nach dem Westen fliehen, es ist vor allem auch die Industrie, die im Westen einen leichteren Wiederaufbau und Neuland für ihre Werke sucht. Sprunghaft schreitet die Industrialisierung’ des Landes fort. 193 8 stehen 4500 Salzburger in der Industrie, 1945 werden es 14.300, die im Gewerbe Beschäftigten erhöhen sich in der gleichen Zeit von 8500 auf 30.000. Es ist aber nicht die Stadt allein — Salzburg war inzwischen zur Großstadt geworden —, die an diesem Aufschwung Anteil hat. sondern die Betriebe verteilen sich auf das ganze Land und strahlen durch ihre Pendler weit in das Land hinein. Neben Salzburg mit 10.000 Zupendlern haben noch Hallein, Kufstein, Zell am See und Kaprun zwischen 1000 und 2000 Pendler. Das schafft eine ganz neue Lage im Dorf. Die ohnehin schon stark fühlbare Landflucht wird verstärkt, das Dorf zur Rationalisierung und Technisierung gezwungen. Damit muß aber auch die Seelsorge neue Wege suchen, was dem einzelnen Seelsorger im Ort noch viel schwerer fällt als dem in der Stadt.

Nicht weniger bedeutungsvoll ist der Flüchtlingsstrom aus dem Westen. Barackennot und -elend halten ihren Einzug. Es bedurfte eines Jahrzehnts, um wenigstens einen Teil der in den Baracken Untergebrachten in den Wirtschaftsprozeß einzugliedern. Aber noch heute zeugen die Baracken in der Umgebung von Salzburg vom Unvermögen, alle Flüchtlinge unterzubringen. Religiös gesehen bedeutet es auch einen Zustrom evangelischer Christen, die, in der Diaspora missionarisch wirkend, dem Seelsorger neue Aufgaben stellen.

Unvergleichlich schwieriger sind in dieser Beziehung die im Gefolge der Besatzungstruppen zugeschwärmten Sektierer, die sich besonders in der Stadt Salzburg breitmachen, ein Bethaus nach dem andern eröffnen lind mit ihrer aufdringlichen Propaganda bis ins letzte Tal und Dorf Vordringen. Auch dies bedeutet für die Seelsorge neue Aufgaben, die besonders zu neuen Wegen im Predigtamt zwingen.

Nicht vergessen darf man das Unheil, das durch die Besatzung selbst angerichtet wurde. 18.000 Soldaten mit Zigaretten, Schokolade und Geld ziehen Einheimische und Flüchtlingsfrauen und Mädchen an. Es ist wahr, sie haben Geld ins Land gebracht, und die Geschäftswelt hat sie mit Bedauern scheiden gesehen. Aber welchen religiösen und moralischen Schaden dieser „Nachkrieg” unserem Volke zugefügt hat, läßt sich kaum ermessen. Was sollte der Seelsorger dagegen tun?

Ein anderer Faktor, der wieder neue Aufgaben stellte, war der rasch wieder aufblühende Fremdenverkehr. Sommer- und Wintersaison bringen Fremde und Devisen, bringen aber auch Sitten und Unsitten der Gäste ins Land. Bergbahnen, Sessellifte werden gebaut, Hotels wachsen aus dem Boden hervor, der Bauernhof wird Fremdenherberge, wieder verlassen Landleute ihre Arbeit und suchen im ertragreichen Fremdenverkehrsbetrieb Arbeit: in das kleinste Dorf bis in die Almen hinauf zieht ein neuer Geist ein. Der Seelsorger muß auf die neuen Verhältnisse Bedacht nehmen, muß den Gottesdienst auch nach den Fremden einrichten, die Einheimischen müssen vor schlechten Einflüssen geschützt, vor der Ueberbewertung des Geldes bewahrt werden. Schwer kommt der einzelne mit den neuen Gegebenheiten zurecht.

Es war also für die Seelsorge eine äußerst schwierige Situation, der sie gegenüberstand, und mit Schmerzen wurde jeder Priesterheimkehrer erwartet. Die Kriegsjahre brachten einen starken Ausfall an Priestern, und so war es das Gegebene, daß man vor allem eine lebendige Mithilfe der Laien zu gewinnen suchte. Nachdem in den Schulen wieder der Religionsunterricht erteilt werden konnte, mußte man eine Schar erprobter Laien an Seite der Priester in die Schulen zur Erteilung des Religionsunterrichtes schicken, die sich auch zum größten Teil bestens bewährten. In der Diözese wurde die Katholische Aktion ins Leben gerufen, die bald eine rege Tätigkeit entfaltete. Das Katholische Bildungswerk arbeitete mit der unerwartet rasch aufblühenden Volkshochschule zusammen. Bis in die letzte Pfarre hinaus wurden die Standesgliederungen geschaffen.

Der Sorge um die Jugend mußte ein besonderes Augenmerk zugewendet werden. Noch war ja die Jugend aus der Kampfzeit da, die eine gute Führerschichte für die Jugendarbeit geben konnte. In Schulungskursen, Einkehrtagen und Jugendtreffen wurde sie herangebildet, Jugendhäuser wurden erworben und eingerichtet. Mit viel Idealismus ging man an die Arbeit, man wollte die wiedergewonnene Freiheit nützen. Den besten Erfolg hatte naturgemäß die Landjugend. Am tiefsten noch mit der Kirche verbunden, konnte altes Brauchtum wieder Lebendig gestaltet und die Neuordnung des Dorfes auch vom Glauben her in Angriff genommen werden.

Schwieriger war es schon, auch eine entsprechende Arbeiterjugend ins Leben zu rufen. Wohl wurden in den Industriezentren des Landes Jugendgruppen nach dem Vorbild Cardijns gegründet. Aber dieser Jugend fehlt die starke Hilfe der Tradition, und sie ist ständig massiven Angriffen ausgesetzt. Durch ständige Schulung und religiöse Vertiefung gelingt es allmählich, auch hier junge christliche Arbeiter, die mit der Kirche leben, heranzubilden.

Am schwierigsten scheint sich die Arbeit mit der Mittelschuljugend zu gestalten. Hier wirkt sich vielleicht der alte liberale Geist des gesättigten Bürgertums am meisten aus. Einerseits ohne Lebenssorgen, anderseits von der Schule schwer beansprucht, scheinen sie wenig Neigung zur Gruppenarbeit zu zeigen. Die religiöse Substanz ist hier viel zu schwach, als daß sie apostolisch und missionarisch wirken würde.

Nachdem die ersten Nachkriegsjahre vorüber waren und geordnete Verhältnisse wieder einzogen, hielt man den Zeitpunkt für gekommen, in der Stadt Salzburg durch eine Stadtmission das religiöse Leben zu erneuern. Das Treue sollte vertieft, Neues gewonnen werden. Nach gründlichster Vorbereitung unter Anwendung aller modernen Mittel wurde in allen Kirchen zugleich gepredigt, wurden Hausbesuche gemacht. Und der Erfolg? Wohl wiesen die Besucherzahlen bei den Predigten eine über das Gewöhnliche weit hinausgehende Höhe auf, aber der dauernde Erfolg war nicht dementsprechend. Der erwartete Rückstrom zur Kirche wurde nicht in dem Maß erfüllt, wie man gehofft. Es gab aber doch eine ganze Anzahl von Revertiten, Ehesanierun- gen und Taufen von Kindern im Schulalter. Die Getreuen wurden ermutigt und gestärkt. Vor allem aber — und auch das ist nicht negativ — waren die wunden Stellen aufgezeigt, die der Arbeit der Zukunft den Weg wiesen. Die Jugendarbeit mußte vertieft werden, denn die alten Formen scheinen sie nicht mehr anzusprechen. Dįe liberalen Kreise waren zwar tolerant der Mission gegenüber, aber sie ließen sich nicht erfassen. Auch hier muß ein Weg gesucht werden, in diese Kreise einzudringen, was immer mehr nach der Aktion des katholischen Laien verlangt.

Entscheidender als alle Versuche seit 1945 beeinflussen die beiden Diözesansynoden 1948 und 1958 das kirchliche Leben. Die Synode 1948 legte die Fundamente für die Neuorientierung des kirchlichen Lebens und umfaßte daher ein sehr weites Gebiet: die Themen waren Priester- und Ordensstand, Verkündigung des Wortes Gottes, Liturgie, Verwaltung der Sakramente, Laienapostolat und Kirchenverwaltung. Sogar eine kirchliche Bauordnung und eine allgemeine Friedhofsordnung wurden erarbeitet. Die zweite Synode beschränkte sich auf den Dienst am Gotteswort. Eine dritte Diözesansynode wurde bereits am Schluß der zweiten angekündigt; sie wird sich mit der Liturgie befassen. Wohl kaum eine andere Diözese ist synodenmäßig so rege wie Salzburg, wo seit 1937 bis jetzt drei Diözesansynoden gehalten worden sind.

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