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Neuentdeckung des Laien

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Auch die „Aufwertung“ — beinahe Neuentdeckung — des Laien und seines natürlichen Christenlebens in der Welt, zuletzt vom Konzil feierlich bestätigt und betont, wird zum Vorstoß gegen den Zölibat umgeschmiedet: Dies wohl im Sog einer Welle, die unsere Erde mächtig überrollt. Tief zwiespältig, erscheint sie primär als Ausdruck der „Weltmacht des Neides“, der „von unten“ her unerbittlich auf Gleichschaltung, auf Ausmerzung aller Qualitäts- und Rangunterschiede hindrängt; sekundär antwortet ihm „von oben“ ein großes und schmerzliches Drängen nach Gerechtigkeit als Wiedergutmachung — oft eigentlich nur schlechtes Gewissen, das sich jenen Anklagen identifiziert und unterwirft, eine Anti-Ungerechtigkeit, die bereitwillig alles Gefälle von Oben und Unten verwischen möchte, um Neidobjekte abzuschaffen. Dieser Sog hat auch das Zuordnungspaar „Priester und Laie“ vielerorts ergriffen. Eine Schicht von Laden entwickelt plötzlich eine „Unterdrückten“-Mentalltät voller Ressentiment und Ansprüche, eine Schicht Priester — zum Teil sehr guter — kommt ihnen beschämt, beichtend und bußfertig entgegen. Das Richtige und Sinnvolle dieser Dynamik hat das Konzil klar genug herausgestellt: die volle Christenberufung des Laien im Gottesvolk, das pviesterllche Amt als brüderlichen Dienst. Jener Trend aber will, weit darüber hinaus, die Rollen fast umkehren; manche Priester reden und schreiben, als wollten sie nun die Laien zu ihren Herren erheben, sich

selbst nur mehr als ihre Funktionäre und Sprecher verstehendi, und damit den wesentlich unabdingbaren Anteil des Priesters an der Repräsentanz Christi des Herrn in seinem Priester-, Lehrer- und Hirtenamt so gut wie leugnen. Sie wollen die besondere Würde und Hoheit ihrer Berufung nicht mehr wahrhaben, sondern in seltsamer Mischung von Demut, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen sich durch nichts, gar nichts mehr vom Laien abheben, weder durch Tracht noch Status einer „Respektsperson“, sogar nicht mehr durch die Weihe, die entsprechend abgewertet wird. Damit fällt freilich auch jeder Grund für eine besondere Lebensführung weg, die dem Priester als Herausgerufenem, untilgbar von Christus Geprägtem etwas angemessen wäre. Der Priester möchte in der Masse aufgehen, nur sporadisch zur Verrichtung einiger Funktionen auftauchen und wieder spurlos versinken, jedes Weltschicksal teilen: Der Weg zur Ehe steht frei, ja er muß beinahe gegangen werden, um die Angleichung total zu machen. Noch stärker vielleicht wirkt ein dritter, unterschwelliger Motiv-knäuel: Unter der Flagge des Aggior-namento, doch ohne sachlichen Zusammenhang mit ihm, es sei denn der neuen Redefreiheit, drängt sich eine auffallende Überbetonung des Maskulinen in der Kirche vor. (Übrigens auch von vielen Frauen bejubelt und nachgeahmt.) Das einseitige Hochspielen einer Mentalität, die Karl Stern als die „carteslanische“ beschreibt. „Moderne Wissenschafts-

gläubigkeit; der naive und gefahrvolle Glaube an die totale Machbarkeit; der Absolutismus der wissenschaftlichen Methode, verbunden mit einer Entwertung der Weisheit, die aus anderen Quellen lebt; ehrfurchtsloses Verhalten zum Mysterium; der Geschmack am .Organisatorischen, der den Sinn fürs Organische überwuchert.“ Kein Wunder, wenn diese Mentalität alles, was ihr widerspricht und widersteht, als Mythos, Magie, Aberglauben, Sentimentalität, als infantil und archaisch abtut. Sie stellt eine erstaunlich Flucht vor dem Weiblichen dar — wie es die Stichworte andeuten: Geist des Emofan-gens, Bewahrens. organisches Wachstum, Stille, Ehrfurcht, Intuition, Ahnung, Sympathie, Weisheit. Flucht vor dem Weiblichen in der Welt und im Geistbereich, vor allem aber im Manne selbst. Diese Ablehnung kristallisiert und mobilisiert sich im Aufruhr gegen eine der größten „weiblichen“ Gestalten in der Welt: die Kirche, die Mutter Kirche.

Aufstand gegen die Mutter

Manche möchten die Krise des katholischen Priesters als Teil der so sehr beredeten Absetzung, Entmachtung, ja Abschaffung des Vaters deuten, in der Auflehnung gegen die väterliche Autorität von Papst und Bischof. Mir scheinen die Symptome des Aufstandes gegen die Mutter noch viel deutlicher, als deren großes Bild die Kirche seit frühen Zeiten verstander wurde: Mutter und Jungfrau, wie es etwa die patristfsehen Forschungen von P. Hugo Rahner S.T belegen. Seltsam, daß die in der äußeren Repräsentanz vom rein männlichen Klerus vertretene Kirche doch innen stets in ihrem „weiblichen“ Charakter erkannt wurde! Genau dieser Aspekt wird aber heute angefochten. Aus Furcht vor ihm läßt ein gewisser Priestertyp nur mehr die strikten „männlichen“ Elemente in ihr gelten: die Theologie, und diese nur als „wissenschaftlich“ und positivistischen Disziplinen wie Philologie und Religionswissenschaften unterworfen; das Recht — trotz aller Anklage gegen das bestehende Kirchenrecht geht es doch wesentlich um neue Rechte und Ansprüche — zum Beispiel auf die Ehe; in der Liturgie, trotz einzelner glücklicher Reformen überwiegt immer mehr der pädagogisch-propagandistische Aspekt, Rationalisierung, Versachlichung, Reduzierung von Stille, Schweigen. Anbetung zugunsten von Rede und unmittelbarem Effekt, Reinigung von allen „dunklen“ Stellen, die Eingewöhnen, Warten und Meditieren verlangen, Abschaffung der leiblichen Ehrfuchtsgebärden, der sinnfälligen Bräuche, der „Bilder“ in einem weiten Sinn. In der Tradition, dem großen Zankapfel, verkörpert sich ja deutlich das „Weibliche“ der Kirche: Der „Schoß“, der empfangen hat und langsam zur Beife austrägt, der Ort und das Element der (so verpönten!) Innerlichkeit, der Mystik, der Symbole, der nie ganz aufzuklärenden Wachstumskräfte, der unsichtbaren Anfänge, der Wurzelgewebe, der schweigsamen Zusammenflüsse und ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit, der sich selbst nie rechtfertigenden Geschichte, der Erinnerung an Gestalten und Schicksale — alles vielschichtig, vielwertig, stets dem Chaos benachbart, des männlichen Unter-ischeidungsunteils und seiner Führung unbedingt bedürftig, aber unentbehrlicher Stoff der Glaubens-welt.

Dies alles soll nun, möglichst zurückgeschnitten, durch Abstraktionen, Wortgebäude, Programme, rücksichtslos durchgeführte isolierte Prinzipien ersetzt werden, alles „brauchbar“ und restlos durchschaubar.

In der puren Reduktion auf Verstand und Praktikables kann aber kein Mensch leben, auch kein Christ und kein Priester. Kein Wunder, wenn

er das fehlende, das verbannte und verdrängte Weibliche in fast zwangsläufiger Kompensierung an anderer Stelle sucht: In Eros und Ehe, indem er sich der konkreten leibhaften Frau in die Arme wirft. Verstärkt wird dieser Drang noch durch den Umstand, daß „das Weib“ seit je Symbol von Welt und Weltlichkeit ist. Der Kleriker, dessen Weltverhältnis, wie er sehr wohl spürt, nicht in Ordnung ist, sucht die ihm fehlende „Welt“ im eigenen Weib. Das Dogma,sagt CG. Jung, ist immer Resultat und Frucht von vielen Gelstern und vielen Jahrhunderten. Dasselbe gilt vom Zölibat, von der Priestergestalt und vielen anderen katholischen Lebenswirklichkeiten. Natürlich kann man sie nicht im Wortlaut des Evangeliumis suchen, sind sie doch erst Teil jenes „Brotes“, das aus der langen Fermentwirkung der „Hefe“ in den „drei Maß Mehl“ entstanden ist. Merkwürdig,- daß die Angreifenden diese simple Tatsache der Entwicklung nicht begreifen, wo sie doch sonst unentwegt von Fortschritt und Evolution reden! , Das Zölibatsgesetz ist eine Einrichtung, das erfüllte Leben des jungfräulichen Priesters ist ein Geheimnis. Spielt man das Charisma gegen die Zwangsverkopplung mit dem Gesetz aus? Gerade von dieser Gnadengabe weiß die Überlieferung, daß sie meist nicht überfallende Aufdrängung, sondern viel eher Antwort auf glühendes, beharrliches Gebet und Bingen ist: „Denen geschenkt, die sie wünschen, verlangen, erbitten, sich darum mühen“ (Joh. Chry-sostomus). Millionen Schicksale erhärten das in aller Stille. Freilich: Wer selbst Laien nicht mehr die Keuschheit in- und außerhalb der Ehe verkünden mag, wem Jungfräulichkeit ideologisches Geschwätz ist — wie soll der für Sich selbst darnach trachten? Kann er anderes als Vergewaltigung und verwehrten Le-bensanspruch darin sehen? Gewiß ist die heutige zölibatäre Lebensform der Entwicklung fähig und sehr bedürftig, doch in die Tiefe und in die Höhe und dadurch nach vorne, nicht durch kapitulierendes Bückrutschen. Teilhard de Chardin schrieb eine kleine wichtige Studie über die „Evolution der Keuschheit“ — von der bloßen ethischen Tugend zur vollen, ziubestimmten mystischen Entfaltung: Nicht Verarmung und Abtrennung, sondern eine neue Weise tieferer Durchdringung des Alls, Eroberung neuer, lebendig-fruchtbarer Beziehung zwischen Mann undFrau, die „zweite Entxlek-kung des Feuers“.

Diese Erwägungen zeigen: Wir leben in einem miserablen Klima für den Zölibat — was noch gar nichts über seinen Sinn oder Unsinn aussagt. Auch für ganz natürliche und christliche Erbwerte, wie Dankbarkeit und Ehrfurcht, Keuschheit, natürliche Jungfrauschaft, Kindersegen, ist das Klima denkbar widrig, sie stehen wie eine Pflanzung bei Wassermangel. Es erfordert überdurchschnittliche geistige Wetterfestigkeit, also Persönlichkeitsgewicht, um sich nicht von der gigantischen Walze der Massenmeinung mitschleifen zu lassen. Die dazu nötigen Tugenden sind aber, wir wissen es, gerade in der katholischen Erziehung bisher kaum bewußt gepflegt worden, weil der „eingebettete“ Mensch noch von vielen anderen Lebenskräften mitgetragen wurde. Das von den Wurzeln gerissene Individuum aber kann ohne jene nicht leben. So verringert sich die Zahl jener, die überhaupt verstehen können, worum es geht. In der angeführten Schritt sagt A. Görres: „Wenn die Theologie... vor allem aber wenn der junge Theologe dien Sinn und die relative Angemessenheit dies Zölibats nicht mehr bejahen kann, dann fallen allerdings psychologische Bedingungen weg, die zu seiner Bewältigung und Fruchtbarkeit unerläßlich sind.“ Ein sehr ernstes Wort. Das zölibatäre Priestertum ist eine edle Frucht aus langer Züchtung, die in verdorbenem Boden verkümmert. Schon ist die Möglichkeit denkbar, daß unter diesem traurigen Druck seine Verwirklichung nicht mehr obligat würde, was einen ungeheuren Substanzverlust in der Kirche einleiten würde. Wir wissen sehr wohl um die Unzulänglichkeiten unseres Klerus — doch in der Spannung zu ihrem hohen Leitbild. Vielleicht wird das Kirchenvolk sich bald mit einem prinzipiell verflachten, erschlafften, vergröberten Priestertyp abfinden müssen, bis die Spirale der Geschichte die nächste Kehre nimmt. Solcher Abstieg läßt sich nicht mit den langgeformten Gestalten ostkirchlicher Priesterehe oder des evangelischen Pfarrhauses vergleichen. Aber man täusche sich nicht: Er würde noch schlimmere Verminderungen nach sich ziehen, die Erosverwilderung und den Eheverfall der Laien noch bekräftigen: obschon man das Modell neuer Idealehen verkündet. Unsere Zukunft steht auf den wenigen, auf die das tiefe Wort des Bischofs Helder Camara paßt: „Heute wie gestern und immer wird die Menschheit von abrahamitischen Minderheiten geführt, die gegen alle Hoffnung zu hoffen wagen.“

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