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Abend für Abend bringt uns das Fernsehen eine Fülle von Eindrücken ins Haus, deren prägender Kraft wir uns auf die Dauer nicht entziehen können. So wird denn mit Recht immer wieder versucht, alles, was über den Bildschirm kommt, zu analysieren, auf seinen Wert zu prüfen und seine Wirkung zu untersuchen. Es sollte darüber aber nicht versäumt werden, gelegentlich auch jene „Sendungen“ zu betrachten, die — gar nicht gesendet werden: Möglichkeiten, die nicht ausgeschöpft, Gelegenheiten, die versäumt werden.

Nicht, daß vielleicht der Umfang des Fernsehprogramms, die Zahl der wöchentlichen Sendestunden als zu gering erschiene; aber möglicherweise gibt es doch das und jenes, was dem Zuschauer oder der guten Sache selbst nützen und an die Stelle von etwas eher Entbehrlichem treten könnte.

Tn allen Ländern wurden zu der Zeit, als die praktische Ver- - wirklichung des Fernsehens ihren Anfang nahm, Gedanken über die bis dahin ungeahnten Möglichkeiten geäußert, die diesem neuen technischen Medium innewohnen. Und oft genug wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß mit dem Fernsehen den Menschen ein vorzügliches Mittel in die Hand gegeben sei, die Menschen verschiedener Völker und Rassen einander näherzubringen, füreinander Verständnis zu erwecken und altüberlieferte, aber jeder realen Grundlage entbehrende Ressentiments abzubauen.

In der Tat scheint das Fernsehen wie kein anderes Massenmedium für eine solche Aufgabe prädestiniert zu sein, und manche Programme weisen eindeutig in diese Richtung. Und wenn bei einer Sportübertragung, bei einer Fürstenhochzeit oder auch einmal bei einer künstlerischen Darbietung die Bewohner eines ganzen Kontinents in einem gemeinsamen Erleben vereint sind, so ist das ohne Zweifel eine höchst erfreuliche Erscheinung, die vor einem halben Jahrhundert noch undenkbar gewesen wäre. Aber es ist zuwenig. Was wir brauchen, das ist das unmittelbare Kennenlernen der „fremden" Menschen — auch unsere Nachbarvölker gehören dazu —, ihrer Lebensgewohnheiten, ihres Alltags mit seinen Sorgen und seinen Freuden. Da genügt es auch nicht, einen durchschnittlichen — und obendrein vielleicht noc’. lehrhaften — „Kulturfilm“ vorzuführen, da muß das Fernsehen selbst mit seinen ureigensten Mitteln bemüht werden, um den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch herzustellen. Daß das Fernsehen fähig ist, solche Begegnungen zu vermitteln, hat es da und dort schon bewiesen. Es müßte nur die Konsequenzen daraus ziehen und hier sein besonderes Anliegen sehen.

Aber auch dort; wo der.Mensch niöht. unmittelbar dem anderen Menschen, sondern den Produkten seines künstlerischen Schaffens gegenübertritt, könnte das Fernsehen wesentliche Funktionen erfüllen. Es ist beispielsweise eine immer wieder mit Enthusiasmus registrierte Tatsache, daß in Wien ständig eine beachtliche Zahl von Kunstausstellungen zu sehen ist. Daß viele dieser Ausstellungen oft nur spärlich besucht werden, darf nicht ausschließlich der Interesselosigkeit des Publikums zugeschrieben werden. Oft ist es einfach die Unkenntnis oder, besser gesagt, die mangelnde Information und — besonders bei der lugend, bei der oft mehr Kunstinteresse zu finden ist, als so manche Erwachsene wahrhaben wollen — das Fehlen eines „Anstoßes“, die den Besuch einer Ausstellung verhindern. Hier könnte das Fernsehen bahnbrechend wirken, indem es grundsätzlich über jede Ausstellung berichtet, natürlich mit einer entsprechenden „Kost-probe“, und das nicht erst am Jahresende, wenn längst alles vorbei ist.

‘ÄT’enn das Argument der Erhöhung der Besucherzahlen auf ™ dem Gebiete des Theaters auch heute nicht sosehr ins Gewicht fällt, so würde es doch die Wahl des Besuchers erleichtern und — durchaus im Sinne des Theaters — beeinflussen, wenn er durch das Fernsehen über alle Premieren entsprechend informiert würde. Schon vor vielen Jahren wurde übrigens in England - jiachgewiesen, daß die Besucherzahlen von Theateraufführungen anstiegen, nachdem Ausschnitte daraus im Fernsehen gezeigt worden waren. Das Gegenargument, daß solche Sendungen nur für die Bewohner jener Stadt interessant seien, in der sich das Theater befindet, ist nicht stichhaltig. Erstens gibt es ja sowieso keine Sendung, die bei allen Zuschauern Gefallen oder Interesse findet, und zweitens wird der echte Theaterfreund mit Freuden die Gelegenheit wahrnehmen, Aufführungen in anderen Städten kennenzulernen, wenn auch nur in Form von Ausschnitten. Und nach allem, was man heute über den Einfluß der modernen Massenmedien weiß, wird eher der durchschnittliche Zuschauer einen Premierenbericht aus einer fremden Stadt im Fernsehen akzeptieren, als sich der Theaterfreund dazu aufraffen wird, ihn in der Zeitung nachzulesen.

Es scheint überhaupt manchmal in Vergessenheit zu geraten, daß das Fernsehen auch — wenn schon nicht vor allem — ein optisch wirkendes Medium ist. Worum sich Zeitungen unl Zeitschriften in zunehmendem Maße bemühen, und was im Fernsehen — durch die Möglichkeit von Trickbewegungen — noch viel eindringlicher zur Wirkung kommen könnte, das ist nur verhältnismäßig selten auf dem Bildschirm zu sehen: nämlich die graphische Darstellung; mag es sich dabei um irgendwelche zahlenmäßige Zusammenhänge oder um die geographische Lage eines wenig bekannten Ortes handeln, in dem sich ein Ereignis abgespielt hat, über das nun ausführlich berichtet wird.

Wenn man im Fernsehen neben den aktuellen Bildberichten auch einen gesprochenen Nachrichtendienst bringt, so mag das damit völlig begründet erscheinen, daß es so dem Fernsehzuschauer erspart wird, etwa lediglich wegen der Nachrichtensendung sein Rundfunkgerät einzuschalten. Aber schon der Wetterbericht würde eine optische Ergänzung vertragen, durch die vielleicht auch das Verständnis für die Arbeit der Meteorologen gefördert werden könnte.

Das führt auf ein weiteres großes Gebiet, das im Fernsehen recht stiefmütterlich behandelt wird; wir wollen es ganz allgemein mit „Lebenshilfe“ bezeichnen. Der moderne Mensch ist vor so viele ihm durch die Gesellschaft auf gezwungene Aufgaben gestellt, daß er vielfach gar nicht in der Lage sein kann, sie alle einwandfrei zu bewältigen. Das reicht etwa von der Kenntnis der neuen Straßenverkehrsordnung bis zur Ausfüllung der Volkszählungs-Fragebogen. Gerade an dem letztgenannten Beispiel wird deutlich, daß das .Fernsehen seine Aufgabe zwar grundsätzlich erkannt, aber keine befriedigende Lösung gefunden hat. Es genügt nicht, daß eine möglichst kompetente Persönlichkeit Dinge sagt, die ohnehin an anderer Stelle zu lesen sind. Auch hier sollte man sich die gleiche Mühe nehmen, die man — mit vollem Recht — etwa der Vermittlung von Kenntnissen über die Zubereitung von Salzburger Nockerln widmet.

Es soll keineswegs übersehen werden, daß auch auf den •-’ anderen der hier umrissenen Gebiete mehr oder minder deutliche Ansätze zur Bewältigung dieser Aufgaben durch das Fernsehen zu finden sind. Aber viel bleibt noch zu tun übrig. Hier könnte das Fernsehen wesentlich dazu beitragen, dem technisch-materiellen Fortschritt der Menschen in den letzten Jahrzehnten auch einen echten geistig-kulturellen folgen zu lassen.

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