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Nicht Herren über Leben & Tod

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Haben Sie kürzlich den Fernsehfilm „Lamor-te” gesehen? Ein Zeitdokument, das den selbstherrlichen Umgang mit dem Leben glorifiziert.

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Haben Sie kürzlich den Fernsehfilm „Lamor-te” gesehen? Ein Zeitdokument, das den selbstherrlichen Umgang mit dem Leben glorifiziert.

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Eine Starbesetzung: Christiane Hörbiger, Nicole Heesters, Senta Berger ... verkörperten ehemalige Schülerinnen, die anläßlich ihres 30. Maturajubiläums gemeinsam ein Wochenende verbringen. In Interviews hatten die Akteurinnen die Botschaft des Stücks, die Freundschaft zwischen Frauen in einer Extremsituation gerühmt.

Was diese Extremsituation war? Eine der Frauen verkündet, sie werde sich in der Nacht des Treffens wegen eines unheilbaren Leidens das Leben nehmen und bittet die Anwesenden um ihren Beistand. Diese entschließen sich dazu - trotz verschiedenster Bedenken: Inszenierter Selbstmord vor Bekannten als Großtat der Freundschaft! Keine der Damen unternahm auch nur den geringsten Versuch, die „Freundin” von ihrem Schritt abzuhalten, ihr eine andere Perspektive zu eröffnen! Kein Wort von Gott, der Tod als süßer Schlaf, das Hinübergleiten als ernstes, wenn auch problemloses Geschehen, Assistenz beim Selbstmord als Feundschaftsdienst. Die Botschaft war eindeutig.

Sie erinnert an das, was ein Antrag im” Europaparlament über die Tötung auf Verlangen formulierte. Da hieß es: „Das Verlangen, für immer einzuschlafen, bedeutet nicht die Verneinung des 1 .ebens, sondern die Forderung, ein Dasein zu beenden, dem die Krankheit letztlich jede Würde genommen hat...” Krankheit und Leiden passen nicht in das auf Selbstbestimmung und Erfolg ausgerichtetete heutige Denken. So heißt es im Antrag auch: „Körperliche Schmerzen sind sinnlos und unheilsvoll und können die Menschenwürde verletzen”..

Wie alles andere, will der moderne Mensch auch seinen Tod in die Hand nehmen. Die Technik (Intensiv- und Transplantationsmedizin, Geburtenregelung, Fertilisations- und Gentechnologie, sowie Abtreibung) hat schließlich unsere Macht über Lebendiges gigantisch erweitert. Von der Heiligkeit des Lebens, von einem Geschenk Gottes zu sprechen, erscheint im Zeitalter des weltanschaulichen Pluralismus als Privatmeinung einer Minderheit.

Wer somit für die letzte Unverfügbarkeit des Lebens plädiert, handelt sich oft sogar den Vorwurf ein, umbarmherzig, ja autoritär und intolerant zu sein. Mit der Schilderung von Fällen extremen Leidens, bei denen man nicht zuschauen dürfe, wird dann argumentiert. Da sei die Medizin herausgefordert, einem sinnlos gewordenen Leben ein menschenwürdiges Ende zu bereiten. Für Tötung auf Verlangen einzutreten, entspricht dem Zeitgeist. Langsam aber sicher findet diese Sichtweise auch Eingang in die Gesetzgebung der Industriestaaten (siehe Seite 14).

Meist wird dabei von fragwürdigen Prämissen ausgegangen: von der Freiwilligkeit des Tötungswunsches, der Sinnlosigkeit und Unerträglichkeit des Indens, des Übertritts in einen problemlosen Zustand nach dem Sterben. Zu all dem ist einiges anzumerken: Wie schwer ist es, unter normalen Umständen schwierige Entscheidungen richtig zu treffen, bei klarem Verstand und oh-, ne drängende Not!

Und da mutet man dem Menschen, wenn es um das eigene Leben geht, in extremer Not also, ein rationales Kalkül zu? In einem medizinischen Umfeld, in dem Fehldiagnosen zur Tagesordnung gehören, wird plötzlich perfekte Vorausschau vorausgesetzt?

Wie oft wird die unbegründete Angst vor extremem Leiden (das heutige Technik wie nie zuvor erträglich machen kann), werden Depression, das Gefühl, nicht geliebt, ja für die anderen belastend zu sein, den Ausschlag für das Verlangen nach Tötung geben? Holländische Untersuchungen über den Sterbewunsch zeigen, daß Angst vor Abhängigkeit und Entstellung viel stärker ins Gewicht fallen als die Unerträglichkeit von Schmerzen. Und was soll man über die Gefahr des Mißbrauchs sagen? Warum sollte gerade hier, wo Menschen tatsächlich zur Belastung werden können, nur das Wohl des Patienten den Ausschlag geben? In Holland jedenfalls hat die freiwillige Euthanasie die unfreiwillige in ihrem Schlepptau gehabt.

Über Leben und Tod zu entscheiden, überfordert den Menschen. Das zeigt auch die mit der Gehrintod-De-finition einhergehende Problematik: Sie läßt den Tod des Menschen eintreten, wenn das Gehirn unumkehrbar ausfällt (Seiten 16-17). Dieses Kriterium wurde eingeführt, weil die Intensivmedizin heute Patienten in einem Zustand zwischen Leben und Tod zu halten gestattet, in dem sich die Frage nach der Grenze zwischen beiden stellt - vor allem auch deswegen, weil die Transplantationsmedizin die Übertragung von Organen zum Routinegeschehen werden ließ. Vorbedingung für die Organentnahme ist allerdings der Tod des Spenders.

Die Hirntod-Definition erfolgte also nicht primär im Interesse des Patienten, sondern Dritter: der Ärzte, die einen Maßstab in die Hand bekommen, ab wann man lebenserhaltende Maschinen abstellen darf, und des Empfängers von Organen.

Sicher ist das Erlöschen der Gehirntätigkeit ein wichtiger Teil des Sterbevorganges. Aber daß der Tod mit dem Ausfall der Gehirnfunktion eintritt, ist mehr als fraglich. Ja, es ist nicht einmal sicher, daß das Gehirn tot ist, wenn bestimmte seiner Funktionen (Seite 17) nicht mehr feststellbar sind. Denn mit ihrem naturwissenschaftlichen Zugang kann die Medizin stets nur die Außenseite des Geschehens, das Meßbare registrieren.

Sterben ist aber ein eminent persönliches Geschehen, die Loslösung einer unsterblichen Seele von einem ganz bestimmten Leib. Ein geheimnisvoller, jeweils einmaliger Vorgang, der Ehrfurcht gebietet. Einwandfrei von außen festsstellbar ist nur sein endgültiger Abschluß. Mit der Hirntod-Definition wird daher ein Organismus, der überwiegend Iebenszei-chen von sieht gibt (Herz, Kreislauf, Leber, Atmung... funktionieren), per Definition für tot erklärt.

Immerhin waren hirn„tote” Frauen lebendig genug, ungeborenen Kindern als „Lebensraum” zu dienen. Auch gibt es Berichte, daß Hirn tote bei der Organentnahme narkotisiert werden, registriert man an ihnen doch Bluttdruckveränderungen, spontane Bewegungen der Gliedmaßen. In.sei-nem Buch „Ten days dead” berichtet, Tom Scarcini, sein Hirn sei eine Stunde lang ohne Sauerstoffzufuhr geblieben. Tagelang habe es keine meßbare Aktivität erkennen lassen.

So einfach ist es offenbar nicht, wie der Philosoph Joseph Schmucker von Koch sagt: „Die Materie-Geist-Verbindung ist hier durch den Tod des Gehirns von der materiellen Seite her aufgelöst...” Denn wer kann sagen, ob der Geist nur über das Gehirn mit dem Körper in Beziehung steht? Eine Wissenschaft, die weder weiß, was das Leben, noch was der Geist ist, hat darauf jedenfalls sicher keine Antwort.

Bei der Frage nach Leben und Tod wird deutlich, daß die Wissenschaft nicht letzte Instanz sein kann. Hier geht es um das AVesen des Menschen, die Weltanschauung, den Glauben. Wer nicht an Gott glaubt, sondern den Menschen und seine Zwecke als einzige Instanz ansieht, hat dem Fortschreiten in die Euthanasiegesellschaft letztlich nichts entgegenzusetzen.

Nüchtern betrachtet, ist der Glaube daran, daß das Leben ein Geschenk Gottes und das Leiden nicht sinnlos, sondern ein Weg der Heiligung ist, die einzig wirksame Barrieren gegen die sich abzeichnende Inhumanität.

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